Über nukleare Aufrüstung und Koalitionen

Deutschland will teilhaben

Ein Teil der SPD macht auf Friedenspartei. Ihr Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Rolf Mützenich, sorgte dafür, dass Eva Högl Anfang Mai zur neuen Wehrbeauftragten des Bundestags gewählt werden konnte. Dafür mussten Hans-Peter Bartels – der bisherige Wehrbeauftragte – und Johannes Kahrs – der es gerne geworden wäre – abserviert werden. Mützenich begleitete das mit Sprüchen, die den Eindruck erwecken konnten, die SPD stehe an der Seite der Friedensbewegung: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil“, ließ er sich zitieren und forderte, die US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen.

Mützenich kann es sich leisten. Er wird nicht in die Verlegenheit kommen, als Minister sein Geschwätz von heute rechtfertigen zu müssen. Vielleicht trägt es dazu bei, so viele Wähler bei der SPD zu halten, dass auch in Zukunft ein sozialdemokratischer Außenminister Sachen sagen kann wie Heiko Maas: Wenn man sich von der „nuklearen Teilhabe“ an den US-Bomben verabschiede „und sagt, ich will damit nichts zu tun haben, wird es nicht eine einzige Atombombe weniger auf der Welt geben“.

Maas führt das alte Stück vom kleineren Übel auf. Wenn die Berliner Strategen bisher behauptet haben, die Teilhabe an der Möglichkeit zur Massenvernichtung diene der deutschen Sicherheit, weil die USA ein zuverlässiger Verbündeter sind, drehen sie ihr Argument nun um. Zuverlässig ist Trump nicht einmal aus dem Blickwinkel des deutschen Imperialismus. Den INF-Vertrag hat er gekündigt, mit dem New-Start-Abkommen läuft Anfang 2021 ein weiteres Rüstungsabkommen aus und es deutet sich an, dass die US-Regierung eine Erneuerung sabotieren will. Gerade weil der US-Präsident eine kaum berechenbare aggressive Politik macht, sei die nukleare Teilhabe mindestens so richtig wie vorher, behaupten nun diejenigen in der großen Koalition, die mehr zu sagen haben als Mützenich.

Besser als die SPD hat die Verteidigungsministerin verstanden, dass ein bisschen Mitsprache im Rahmen der nuklearen Teilhabe kostet. Während die Corona-Pandemie zeigt, wie viel Geld in Kliniken und Pflegeeinrichtungen fehlt, fädelt Kramp-Karrenbauer den nächsten Rüstungs-Deal ein. „Wenn es um Fragen der Sicherheit geht, ist es gefährlich, eine Politik nach Kassenlage zu machen“, erklärte sie und will neben 93 Eurofightern auch 45 Boeing-Kampfjets F18 kaufen. Die F18 braucht die Bundeswehr, um auch in Zukunft in der Lage zu sein, US-Atombomben abzuwerfen – darin besteht schließlich die „Teilhabe“.

Die US-Regierung ist längst weiter. Sie modernisiert ihre Atom-Arsenale und hat im vergangenen Jahr das erste U-Boot mit dem neuen Sprengkopf W 76-2 ausgestattet – wie üblich begleitet von Propaganda über russisch-chinesische Bedrohungen. Der Friedensforscher Otfried Nassauer sieht eine „Zäsur“ in der US-Nuklearstrategie: Die verhältnismäßig kleinen Sprengköpfe und die Stationierung auf U-Booten machen es tatsächlich möglich, Atombomben in einem regionalen Krieg einzusetzen. Offiziell diene das einer differenzierteren Abschreckung.

Die Brüche und Verschiebungen in den imperialistischen Bündnissen ändern nichts daran, dass die deutsche Regierung ein Interesse daran hat, mit den US-Kriegstreibern zusammenzuarbeiten und möglichst weit oben mitzuspielen. Die SPD wird vielleicht in kommenden Wahlkämpfen ihre Friedensrhetorik ausbauen. Die DKP wird jetzt erst recht – wenn auch unter Pandemie-Bedingungen – wie in den vergangenen Jahren gegen die Atombomben in Büchel protestieren.

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"Deutschland will teilhaben", UZ vom 19. Juni 2020



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