Am 20. März 2003 überfiel die von den USA geführte „Koalition der Willigen“ den Irak. Die damalige SPD-Grüne-Bundesregierung sprach sich gegen den Krieg aus, enthielt sich aber aller Schritte, die diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auch nur behindert hätten. Die Regierung zog sich auf die Behauptung zurück, sie habe dazu keine Möglichkeiten und sei im Gegenteil verpflichtet, den USA in Deutschland freie Hand zu lassen. Gregor Schirmer, emeritierter Professor für Völkerrecht an der Universität Jena, schickte diese Expertise an den Kasseler Friedensratschlag, der am 7. und 8. Dezember 2002 stattfand. Sie wurde zuerst hier veröffentlicht.
Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, Deutschland werde an einem Militärschlag der USA und verbündeter Staaten gegen den Irak mit oder ohne Genehmigung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nicht teilnehmen. In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 29. Oktober 2002 sagte Gerhard Schröder, es gelte nach wie vor, „dass wir uns an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen werden“. Auf dem NATO-Gipfel in Prag am 21. November 2002 relativierte der Bundeskanzler diese Aussage beträchtlich. Er erklärte laut Website der Bundesregierung: „Die Bundesregierung werde selbstverständlich ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen. Dabei bleibe es aber bei der deutschen Haltung, sich an einer möglichen Militäraktion gegen den Irak nicht zu beteiligen. Mit Blick auf die mit den Bündnispartnern geregelten Überflugrechte sagte Schröder, es sei selbstverständlich, dass die Bewegungsfreiheit unserer Freunde nicht eingeschränkt würde.“ Laut „FAZ“ vom 23. November 2002 ergänzte Schröder, „das sehen schon die Verträge, die es dazu gibt, so vor und die gedenken wir einzuhalten.“ Am 27. November 2002 kündigte der Bundeskanzler auf einer Pressekonferenz laut Website der Bundesregierung an, „Deutschland werde den Vereinigten Staaten und der NATO im Falle eines militärischen Vorgehens gegen den Irak Überflug-, Bewegungs- und Transportrechte gewähren.“ Die Bundesregierung hält also nunmehr eine passive Beteiligung am Krieg der USA nicht nur für möglich, sondern nach Bündnisverpflichtungen und entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen für rechtlich geboten.
Es entsteht die Frage, ob Deutschland tatsächlich verpflichtet ist, den US-Streitkräften sein Landgebiet und den Luftraum darüber für die Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak zur Verfügung zu stellen, oder ob nicht vielmehr ein Recht und sogar die Pflicht Deutschlands besteht, die Nutzung deutschen Territoriums durch die Streitkräfte der USA für die Vorbereitung und Durchführung eines solchen Militärschlags zu verbieten. Aus völkerrechtlicher Sicht ist die Frage wie folgt zu beantworten (vgl. Dieter Deiseroth: Am Abgrund des Verfassungsbruchs):
I. Territorialhoheit
Weder nach dem allgemeinem Völkerrecht und der UNO-Charta noch nach speziellen Vertragsbeziehungen Deutschlands, multilateral im Rahmen der NATO oder bilateral im Verhältnis zu den USA, bestehen Verpflichtungen der Bundesrepublik, Aktivitäten der US-Streitkräfte auf deutschem Territorium, insbesondere die Nutzung von deren Militärstützpunkten und des deutschen Luftraums, zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak zu dulden, zu genehmigen oder zu unterstützen. Das gilt unabhängig davon, ob ein solcher Militärschlag vom Sicherheitsrat genehmigt ist oder ohne eine solche Genehmigung durchgeführt wird. Es gilt selbst dann, wenn man einen Militärschlag gegen den Irak für völkerrechtlich zulässig hielte.
Seit Inkrafttreten des 2+4-Vertrags vom 12. September 1990 hat Deutschland nach Art. 7 „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“ und ist nicht mehr den bis dahin bestehenden Resten des Besatzungsrechts unterworfen. Die volle Souveränität Deutschlands schließt die vollständige und uneingeschränkte Gebietshoheit ein. Aus der Gebietshoheit resultiert die Lufthoheit, und die Folge ist, „dass jede Benutzung des Luftraumes durch andere Staaten grundsätzlich von der Zustimmung des Bodenstaates abhängig ist“ (Ignaz Seidl-Hohenveldern [Hrsg.], Lexikon des Rechts, Völkerrecht, S. 201). In Art. 3 des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt wird festgestellt, dass kein Militärluftfahrzeug eines Vertragspartners „das Gebiet eines anderen Staates überfliegen oder dort landen (darf), ohne die Erlaubnis, die es durch eine besondere Vereinbarung oder auf andere Weise erhalten hat, und nur nach Maßgabe der darin festgelegten Bedingungen“. Deutschland hat Kraft des in der UN-Charta und gewohnheitsrechtlich verankerten völkerrechtlichen Prinzips der Souveränität das Recht und sogar die Pflicht, die Nutzung des deutschen Territoriums, von Stützpunkten auf dem Landgebiet Deutschlands und des Luftraums über Deutschland durch die Streitkräfte der USA für einen Militärschlag gegen den Irak zu untersagen.
Im Folgenden wird geprüft, ob dem Recht und der Pflicht Deutschlands zur Verhinderung der Ingebrauchnahme deutschen Territoriums durch US-Streitkräfte zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags anderweitige völkerrechtliche Verpflichtungen entgegen stehen. Für die Beantwortung ist wesentlich, ob ein Militärschlag gegen den Irak völkerrechtlich gedeckt wäre oder nicht. Kein Staat ist verpflichtet, an völkerrechtswidrigen Akten anderer Staaten direkt oder indirekt mitzuwirken und sein Territorium dafür zur Verfügung zu stellen. Entgegenstehende Vereinbarungen wären nichtig.
II. Gewaltverbot
Ein Militärschlag der USA gegen den Irak ohne ausdrückliche Genehmigung des Sicherheitsrats wäre ein schwerwiegender Bruch des Völkerrechts, eine Verletzung verbindlicher Prinzipien des Völkerrechts, des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten nach Art. 2 Ziffer 1 der Charta, des Prinzips der Beilegung internationaler Streitigkeiten durch friedliche Mittel nach Ziffer 3 und des Verbots der Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen nach Ziffer 4. Hervorzuheben ist, dass bereits die Androhung von Gewalt verboten ist. Ein Militärschlag wäre eine „Angriffshandlung“ im Sinne von Art. 39 und ein „bewaffneter Angriff gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ im Sinne von Art. 51 der Charta. Die nicht identische Verwendung der Begriffe „Gewalt“, „Angriffshandlung“ und „bewaffneter Angriff“ ist in unserem Zusammenhang unerheblich, weil alle drei Begriffe auf einen Militärschlag der USA zutreffen.
Mit dem Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung könnte ein solcher Militärschlag nicht gerechtfertigt werden (vgl. dazu Dieter Deiseroth, a.a.O. unter III). Die Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts, nämlich ein bewaffneter Angriff des Irak gegen die USA oder einen anderen Staat, liegt offensichtlich nicht vor. „Präventive“ Selbstverteidigung ist völkerrechtlich unzulässig. Abgesehen davon ist auch kein Grund für eine solche „Prävention“ ersichtlich. Ein Angriff des Irak auf die USA oder einen anderen Staat – ob mit irakischen Massenvernichtungswaffen oder durch irakisch gesteuerte Akte des internationalen Terrorismus – steht offensichtlich nicht bevor.
An einem völkerrechtswidrigen Militärschlag darf sich Deutschland weder direkt noch indirekt beteiligen. Eine Beteiligung Deutschlands wäre selbst ein schwerwiegender Bruch des Völkerrechts. Bereits die Duldung von Aktivitäten zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags der USA vom Territorium Deutschlands aus wäre eine Aggressionshandlung Deutschlands. Nach Art. 3 der einstimmig angenommenen Resolution der Generalversammlung 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974 über die Definition der Aggression gilt als Aggressionshandlung „die Erlaubnis eines Staates, sein Territorium, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, durch diesen für Aggressionshandlungen gegen einen dritten Staat verwenden zu lassen“. Für Deutschland kommt die spezielle Verpflichtung aus Art. 2 des 2+4-Vertrags hinzu, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“. Vereinbarungen zwischen Deutschland und den USA und anderen Staaten, die dem entgegen stehen würden, wären allein wegen Verstoßes gegen die jus-cogens-Norm des Gewaltverbots nichtig. Deutschland ist völkerrechtlich verpflichtet, auf Aggression gegen den Irak gerichtete, das Gewaltverbot verletzende militärische Aktionen der USA auf seinem Territorium und in seinem Luftraum zu verbieten und zu verhindern.
III. Mandat des Sicherheitsrats
Die Mandatierung eines Militärschlags gegen den Irak durch eine neuerliche Resolution des Sicherheitsrats als Folge einer Verletzung der Verpflichtungen aus der Resolution 1441 vom 8. November 2002 über die Waffeninspektion durch den Irak würde an der unter I. festgestellten Rechtslage nichts ändern. Die Territorial- und Lufthoheit Deutschlands bliebe erhalten. Ob durch eine Mandatierung die unter II. festgestellte Rechtslage geändert würde, ob also ein durch eine solche Resolution genehmigter Militärschlag der USA gegen den Irak seinen völkerrechtswidrigen Charakter verlieren und in eine legale Aktion umgewandelt werden könnte, ist zumindest zweifelhaft.
Zunächst ist zu betonen, dass vorangegangene Resolutionen des Sicherheitsrats zum Irak, zuletzt die Resolution 1441, ein Mandat zu Militärschlägen gegen den Irak nicht enthalten. Die Resolution 1441 legt in den Ziffern 4 und 11 eine Berichtspflicht der Inspekteure an den Sicherheitsrat über „jedes Versäumnis des Irak“ bei der Erfüllung der Resolution fest. In Ziffer 4 wird ein Versäumnis als „eine weitere erhebliche Verletzung der Verpflichtungen Iraks“ bezeichnet. Sie enthält in Ziffer 12 die Festlegung, dass der Sicherheitsrat nach Eingang eines entsprechenden Berichts zusammen tritt, „um über die Situation und die Notwendigkeit der vollinhaltlichen Befolgung aller einschlägigen Resolutionen zu beraten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu sichern“. Die Resolution enthält in Ziffer 13 schließlich die „Erinnerung“, „dass der Rat Irak wiederholt vor ernsthaften Konsequenzen gewarnt hat, wenn Irak weiter gegen seine Verpflichtungen verstößt“. Das sind kryptische Kompromissformeln. Auflassungen zum militärischen Losschlagen der USA nach deren eigenem Ermessen enthalten sie nicht. Auch die Erklärung des NATO-Gipfels zum Irak enthält nur ein Bekenntnis zur Resolution 1441 und keine darüber hinaus gehenden Absichten.
Für militärische Sanktionen gegen den Irak wäre eine weitere Resolution des Sicherheitsrats notwendig. Darin müsste nach Art. 39 der Charta festgestellt werden, dass mit einer gemeldeten Verletzung der Resolution 1441 durch den Irak „eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt“. Sodann würde eine solche Resolution nach bisheriger Praxis des Sicherheitsrats wahrscheinlich eine Anti-Irak-Koalition „ermächtigen, alle notwendigen Mittel“ gegen den Irak anzuwenden – so die bisher praktizierte vornehme Umschreibung für Militärschläge. Der Sicherheitsrat könnte und würde aber keinen Staat verpflichten, sich an einem Militärschlag direkt oder indirekt zu beteiligen. Eine neuerliche Resolution würde möglicherweise alle Staaten auffordern, einer Anti-Irak-Koalition „geeignete Unterstützung“ für ihre Aktionen zu gewähren. Damit wäre aber keine Verpflichtung Deutschlands begründet, den USA sein Territorium zur Verfügung zu stellen. Ob und wie Deutschland einer solchen Aufforderung nachkommt, wäre in Berlin zu entscheiden. Deutschland behielte also auch im Falle des Vorliegens einer Mandatierung durch den Sicherheitsrat seine juristische Handlungsfreiheit.
Fraglich ist, ob eine Resolution des Sicherheitsrats zur Mandatierung militärischer Schläge gegen den Irak überhaupt mit den Bestimmungen der Charta vereinbar und nicht lediglich eine Bemäntelung einer Aggression der USA wäre. Der Sicherheitsrat hat bei seinen Beschlüssen großen politischen Handlungsspielraum. Er ist aber an die Charta gebunden. Ein formal ordnungsgemäßes Zustandekommen eines Beschlusses des Rats – also ohne Veto und mit mindestens neun Ja-Stimmen – garantiert nicht dessen völkerrechtliche Unantastbarkeit. Der Rat muss der friedlichen Streitbeilegung nach Kapitel VI der Charta und nichtmilitärischen Maßnahmen nach Art. 41 den Vorrang geben. Selbst wenn die Inspektoren ein Versäumnis des Irak bei der Durchführung der Resolution 1441 melden würden, würde die Genehmigung eines Militärschlags dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit widersprechen. Hinzu kommt, dass die Praxis unspezifizierter und inhaltlich unbegrenzter Mandatierung von Staaten zu Militärschlägen durch den Sicherheitsrat der Eigenverantwortung des Sicherheitsrats widerspricht und eine chartawidrige Selbstentmannung des Sicherheitsrats und eine Aufgabe seiner in Art. 21 der Charta festgelegten „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bedeutet.
Ein völkerrechtswidriger Beschluss des Sicherheitsrats über Militärschläge gegen den Irak würde ausschließen, dass daraus rechtliche Verbindlichkeiten für Deutschland entstehen. Deutschland müsste als Mitglied des Sicherheitsrats einem solchen Beschluss seine Zustimmung verweigern.
IV. NATO-Vertrag
Der NATO-Vertrag vom 4. April 1949 liefert keine Begründung dafür, dass Deutschland verpflichtet sein könnte, Bewegungsfreiheit für die US-Streitkräfte auf deutschem Territorium und Überflugrechte zur Vorbereitung und Durchführung von Militärschlägen gegen den Irak zu gewährleisten. Es gibt keine Bündnispflicht zur Duldung von völkerrechtswidrigen Aktionen des Bündnispartners von deutschem Territorium aus. Entgegen stehende Absprachen wären völkerrechtswidrig.
Bei aller Gegnerschaft zur NATO ist festzustellen: Ein Militärschlag der USA gegen den Irak wäre ein Bruch sogar des NATO-Vertrags und könnte daher Bündnispflichten nicht auslösen. Dieser Vertrag enthält in Art. 1 die Verpflichtung der NATO-Mitglieder, „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist.“
Die Anwendung von Waffengewalt ist nach Art. 5 nur zum Zweck der kollektiven Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff möglich. Nur „im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs“ besteht eine Pflicht, dem Angegriffenen Beistand zu leisten, wobei jeder Staat selbst über die Art dieses Beistands entscheidet. Es handelt sich um eine Ausführungsbestimmung zum Recht auf Selbstverteidigung in Art. 51 der Charta. Ein solcher Fall der Selbstverteidigung ist – wie unter II. Ausgeführt – nicht gegeben. Die in Art. 3 des NATO-Vertrags festgelegte „gegenseitige Unterstützung“ bezieht sich auf Erhaltung und Fortentwicklung „der gemeinsamen Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe“, nicht auf völkerrechtswidrige Militärschläge.
Im Übrigen soll der angekündigte Militärschlag gar nicht von der NATO, nach deren Regeln und unter deren Oberkommando, sondern von einer ad hoc geschaffenen Koalition nach den Regeln und unter dem Oberkommando der USA durchgeführt werden. Die USA wollen sich offenbar nicht durch notwendige Abstimmungen innerhalb der NATO die Hände binden lassen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der NATO-Vertrag Deutschland zur Duldung der „Bewegungsfreiheit“ der US-Streitkräfte auf deutschem Territorium für Aktionen verpflichten soll, die sich nicht im Rahmen der NATO vollziehen.
V. NATO-Truppenstatut
Schon aus dem letztgenannten Grund ist das NATO-Truppenstatut vom 19. Juni 1951 und das Zusatzabkommen vom 3. August 1959 in der Fassung vom 18. März 1993 für Aktionen der US-Streitkräfte in Deutschland nicht maßgeblich. Es handelt sich nicht um voraussetzungslose Vereinbarungen, sondern um Folgeabkommen zum NATO-Vertrag. Sie regeln die Rechte und Pflichten der US-Streitkräfte im Rahmen des NATO-Vertrags, nicht aber Aktivitäten außerhalb dieses Rahmens.
Im Truppenstatut werden Fragen der Rechtsstellung der Truppen eines NATO-Staates und ihres zivilen Gefolges beim Aufenthalt in einem anderen NATO-Staat detailliert geregelt. Das betrifft Ein- und Ausreise, Gerichtsbarkeit, Steuern, Zölle, Übungen und Manöver usw. Das Zusatzabkommen enthält spezielle Regelungen für den Aufenthalt von NATO-Truppen in Deutschland. Diese Vereinbarungen beschränken das Recht Deutschlands nicht, über die Nutzung des deutschen Territoriums durch fremde Streitkräfte zu militärischen Aktionen in dritten oder gegen dritte Staaten zu entscheiden. Sie gewähren keine „Bewegungsmöglichkeiten unserer Freunde in Deutschland“, die man nicht einschränken wolle, weil man Verträge einhalten müsse, wie Schröder behauptet.
Das Zusatzabkommen wurde nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschland sowie in Anbetracht der Bestimmungen des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 und des 2+4-Vertrags überprüft und 1993 geändert. Die Bundesregierung betonte in ihrer Denkschrift zu dieser Vertragsänderung als „grundlegende Verbesserung“ die nunmehrige „Zustimmungsbedürftigkeit aller Land- und Luftübungen der Entsendestaaten außerhalb der Liegenschaften, die ihren Streitkräften zur ausschließlichen Benutzung überlassen sind“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 12/6477, S. 59). Zur Neufassung des Art. 45 des Zusatzabkommens wird festgestellt, dass es „künftig von der Zustimmung deutscher Behörden ab(hängt), unter welchen Bedingungen ein Entsendestaat Manöver oder andere Übungen außerhalb der ihm zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften durchführen darf“. Gleiches gilt nach der Neufassung von Art. 46 für Übungen und Manöver im Luftraum. Sie unterliegen der Zustimmung deutscher militärischer Behörden (ebenda, S. 66). Wenn schon Manöver und Übungen zustimmungspflichtig sind, dann umso mehr Truppenbewegungen zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags. Eine Zustimmung kann dann aber auch Kraft der Souveränität Deutschlands verweigert und muss verweigert werden, wenn dies völkerrechtlich und verfassungsrechtlich geboten ist.
Als „grundlegende Verbesserung“ wird ferner die „grundsätzliche Geltung des deutschen Rechts“ auch auf den Liegenschaften der Entsendestaaten herausgestellt (ebenda, S.59). Zur Achtung des Rechts des Aufenthaltsstaates durch eine Stationierungstruppe verpflichtet bereits generell Art. II des Truppenstatuts. In dem insoweit weiter geltenden Art. 53 des Zusatzabkommens wird bestimmt, dass eine Stationierungstruppe innerhalb der zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften und im Luftraum darüber „die zur befriedigenden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen“ kann. In den Liegenschaften sind also nur Maßnahmen erlaubt, die der Verteidigung dienen. Das Änderungsabkommen zum Zusatzabkommen bestimmt: „Für die Benutzung solcher Liegenschaften gilt das deutsche Recht…“. Sodann werden Ausnahmen festgelegt, die im gegebenen Fall nicht zutreffen. Zu den wesentlichsten Bestimmungen des deutschen Rechts, die auch in den Liegenschaften der USA gelten müssen, gehören die Verfassungswidrigkeit der Vorbereitung eines Angriffskriegs nach Art. 26 GG und die Strafbarkeit nach Art. 80 StGB. Daraus ist ein Verbot der Nutzung von Liegenschaften der USA für die Vorbereitung und Durchführung eines völkerrechtswidrigen Militärschlags gegen den Irak abzuleiten.
Im geänderten Art. 57 des Zusatzabkommens werden den Stationierungstruppen Rechte zur „Einreise mit Land-, Wasser und Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik und zur Bewegung im Bundesgebiet“ nur „vorbehaltlich der Genehmigung der Bundesregierung“ zugestanden. Es heißt dann weiter: „Transporte und andere Bewegungen im Rahmen deutscher Rechtsvorschriften einschließlich dieses Abkommens und anderer internationalen Übereinkünfte … gelten als genehmigt“. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass auch Aktionen zur Vorbereitung eines Militärschlags gegen den Irak keiner speziellen Genehmigung bedürfen, sondern pauschal als genehmigt gelten. Es kann sich bei den als genehmigt geltenden Bewegungen nur um landläufige Routine-Vorgänge handeln, nicht aber um so schwerwiegende Aktionen wie die Vorbereitung und Durchführung von Militärschlägen gegen andere Staaten. Das zeigt auch die Denkschrift der Bundesregierung, in der es zu Art. 57 heißt: „Neu eingefügt worden ist der Vorbehalt der Genehmigung der Bundesregierung. Das Erfordernis der Genehmigung beim Überschreiten der nationalen Grenzen ist international üblich. Um nicht jede einzelne Bewegung eines Angehörigen der Streitkräfte einer deutschen Genehmigung zu unterwerfen, ist in Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 zweiter Halbsatz eine Genehmigungsfiktion aufgenommen worden.“ (ebenda, S. 73)
Das Truppenstatut und das Zusatzabkommen können also nicht zur Begründung einer Bündnispflicht Deutschlands herangezogen werden, die Nutzung des deutschen Bodens und Luftraums und der Militärstützpunkte der USA in Deutschland zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak zu dulden. Diese Verträge beschneiden das Recht der Bundesregierung nicht, die Nutzung seiner Häfen und Flugplätze, seines Luftraums und der den USA zur Verfügung gestellten Militärstützpunkte für einen Militärschlag der USA gegen den Irak zu untersagen. Die Verwendung deutschen Territoriums durch die USA verbleibt in der Entscheidungskompetenz Deutschlands.
An eine Besonderheit muss erinnert werden, zumal die Bundesregierung dies bisher unterlassen hat: Nach Art. 5 Abs. 3 des 2+4-Vertrags dürfen ausländische Streitkräfte nicht im Gebiet der ehemaligen DDR und Berlins stationiert oder dorthin verlegt werden. Nach Art. 11 und der Anlage 1 des Einigungsvertrags gelten das NATO-Truppenstatut und die Zusatzvereinbarungen im „Beitrittsgebiet“ nicht.
VI. Bilaterale Abkommen mit den USA
Es bestehen zwei einschlägige bilaterale Verträge zwischen der Bundesrepublik und den USA, nämlich das Abkommen vom 30. Juni 1955 über gegenseitige Verteidigungshilfe und das Abkommen vom 15. April 1982 über Unterstützung durch den Aufnahmestaat in Krise oder Krieg. Beide Abkommen beziehen sich auf den NATO-Vertrag und damit auf einen möglichen Verteidigungsfall und erkennen die Entscheidungsbefugnis der Bundesrepublik Deutschland an.
Im ersteren Abkommen geht das schon aus der Präambel hervor, wo von der Erhaltung und Fortentwicklung der „gemeinsamen Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe“ die Rede ist. Ebenso aus Art. II, wo auf Hilfe Bezug genommen wird, die die Bundesregierung „gegebenenfalls genehmigt“.
Einer genaueren Betrachtung muss das letztere Abkommen unterzogen werden. In Art. 1 heißt es: „Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika beabsichtigt, im Falle einer Krise oder eines Krieges im Einvernehmen mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ihre in der Bundesrepublik stationierten vier Divisionen und dazugehörigen fliegenden Staffeln innerhalb von 10 Tagen um sechs weitere gepanzerte, mechanisierte und Infanteriedivisionen und dazugehörige fliegende Staffeln zu verstärken, um in der Bundesrepublik Deutschland nach Möglichkeit bei Beginn oder erwartetem Beginn der Kampfhandlungen zehn Divisionen und dazugehörige fliegende Staffeln für eine erfolgreiche Vorneverteidigung bereitzustellen. Für Zwecke dieses Abkommens stellen die Vertragsparteien gemeinsam fest, wann eine Krise oder ein Krieg besteht. Die Bereitstellung derartiger Kräfte ist Gegenstand von Konsultationen zwischen den Vertragsparteien und der NATO, die gemäß Art. 3 und 5 des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949 geführt werden.“ In Art. 2 werden Art und Umfang der deutschen Unterstützung detailliert geregelt.
So dubios das Abkommen für einen souveränen Staat auch sein mag: Es soll erstens – wie es in der Präambel heißt – der Stärkung der „Verteidigungsfähigkeit des Nordatlantischen Bündnisses“ dienen. Das zeigt der Verweis auf die Art. 3 und 5 des NATO-Vertrags und auf das Ziel erfolgreicher „Vorneverteidigung“. Ein Militärschlag der USA wäre, wie ausgeführt, kein Verteidigungsfall, auch kein Fall von „Vorneverteidigung“. Zweitens enthält das Abkommen keinen Automatismus dergestalt, dass die Aufstockung der US-Streitkräfte im Einzelfall keiner deutschen Genehmigung bedürfte. Es heißt, dass die Verstärkung der Präsenz der US-Streitkräfte „im Einvernehmen mit der Bundesrepublik Deutschland“ erfolgt. Die Bundesregierung kann die Genehmigung auch verweigern bzw. die Aufstockung untersagen. Drittens gilt auch hier der Einwand, dass es sich um ein Folgeabkommen zum NATO-Vertrag handelt, das für Aktionen außerhalb des NATO-Vertrags nicht anwendbar ist. Und viertens ist daran zu erinnern, dass kein Abkommen dazu herhalten kann, eine Pflicht Deutschlands zur Duldung oder Unterstützung völkerrechtswidriger, aggressiver Handlungen der USA von deutschem Boden aus zu begründen.
Wenn die Bundesregierung duldet oder zusichert, dass deutsches Territorium von den USA zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak missbraucht werden kann, dann nicht, weil Bündnisverpflichtungen ihr das abverlangen, sondern weil ihr der politische Wille und die Durchsetzungskraft fehlt, sich den Kriegsabsichten der USA konsequent zu widersetzen. Sie begeht damit selbst einen schweren Völkerrechtsbruch.
Woltersdorf bei Berlin, 29. November 2002