Roman Stelzig

Deutsche Zukunft – Schnee von gestern

Von Neonaziaufmarsch in Karlsruhe

Kein Platz für Nazis!

Weder in Karlsruhe noch anderswo!

Samstag, 3. Juni 2017

11 Uhr, Bahnhof Karlsruhe-Durlach

Es geht um die Zukunft – nicht weniger als „die deutsche“ und die der Demokratie. Etwa 1 000 Neonazis werden am 3. Juni in Karlsruhe zum „Tag der deutschen Zukunft“ erwartet, der seit 2009 in verschiedenen Städten durchgeführt wird – und der Rechtsstaat rüstet sich gegen „sonstige Extremisten“.

„Raub, Körperverletzung, Vergewaltigung und Mord sind mittlerweile alltäglich geworden“, heißt es im Aufruf des Organisators, die Partei „Die Rechte“ – und gemeint ist damit nicht die deutsche Polizei, sondern: „Oftmals sind ausländische Kriminelle die Täter, meist suchen sie sich Deutsche als Opfer aus. Deutsche Frauen trauen sich in Großstädten nachts oft nicht mehr alleine auf die Straße, ihre männlichen Begleiter werden krankenhausreif geprügelt, wenn sie sie verteidigen wollen“, lautet die bekannte Litanei, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Dabei scheint es doch wahr: „Die demokratischen Politiker in diesem System nehmen die Sorgen und Ängste der deutschen Bürger schon lange nicht mehr ernst.“ Weder hat die Einführung von Hartz IV das Leben der meisten „deutschen Bürger“ verbessert, noch reicht der niedrigste Mindestlohn Europas aus, die sichere Altersarmut durch Arbeit abzuwenden. Während sich der Wehretat der Bundesregierung auf 35,6 Milliarden Euro beläuft und Staatsgelder in Kriegen verausgabt werden, warten viele Einwohner Sachsens, die in den Hochwassern 2002 und 2013 Eigentum verloren haben, immer noch auf Entschädigung für eine verfehlte Baupolitik, die neben dem Wetter die Katastrophen mitverursacht hat. So wurden die Fluchtursachen und der soziale Nährboden für Fremdenfeindlichkeit mit gleicher Hand gesät – und die Früchte des Zornes in den sächsischen Gemeinden Heidenau und Freital ernteten jüngst Neonazis.

Gegen soziale Benachteiligung und ungerechte Verteilung des Reichtums hatten diese aber noch nie etwas einzuwenden. Dies zeigt nicht zuletzt die „Alternative für Deutschland“, deren Vorsitzender in Thüringen, Björn Höcke, sich auf dem „Tag der deutschen Zukunft“ im vergangenen Jahr sogar zu dem Hinweis hergeben durfte, dass Politik in Deutschland einmal auf Tausend Jahre ausgerichtet war (wie wir wissen, hatten die meisten Deutschen aber schon nach zwölf Jahren keine Zukunft mehr): Im Bundestagsprogramm der Partei ist zwar von sozialer Benachteiligung viel die Rede, aber die Forderungen der AfD, wie Ausübung gemeinnütziger Arbeit durch Langzeitarbeitslose oder die gesetzliche Stärkung der privaten Altersvorsorge, sprechen nicht für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. „Grundlegende Elemente für eine prosperierende Wirtschaft sind für die AfD die Eigenverantwortung der Wirtschaftssubjekte mit dem Gegenstück Haftung für das eigene Handeln, die Garantie des Privateigentums und der Marktpreis als Steuerungsmechanismus für wirtschaftliche Entscheidungen“, lautet der Offenbarungseid des Wirtschaftsliberalismus.

Es stimmt also doch nicht: Ob AfD, NPD oder die Partei „Die Rechte“ – Rechtspopulismus und Neofaschismus haben mit „den Sorgen und Ängsten der deutschen Bürger“ in der Wirklichkeit nichts zu tun.

In einem Aufruf des DGB zu einer Gegenkundgebung im Karlsruher-Stadtteil Durlach, an der sogar Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup (SPD) teilnehmen wird, heißt es ziemlich allgemein: „Wir wollen in einer Stadt leben, in der sich alle Menschen angstfrei vor rassistischen Übergriffen und Diskriminierung bewegen können.“ Die Notwendigkeit von Protest zeigt auch, dass sich die Zahl der Teilnehmer am Tag der deutschen Zukunft in den vergangenen Jahren verdoppelt hat.

Die DKP Karlsruhe spricht sich deshalb solidarisch für eine Teilnahme an der Kundgebung des DGB aus, u. a. mit dem Hinweis auf die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 im Interesse des Großkapitals. Zum Feigenblatt einer bürgerlichen Demokratie, in der Faschismus moralisch kritisiert wird, ohne von Eigentumsverhältnissen zu sprechen, darf Gegenprotest aber nicht verkommen, und eine Spaltung in „demokratischen“ und „extremistischen“ Protest gilt es zu verhindern. Die DKP kritisiert, dass der „Ortschaftsrat [des Stadtteil Durlach] sich schon im Vorfeld gegen ‚sonstige extre­mistische Inszenierungen‘ ausspricht und der Karlsruher Gemeinderat sich auch nochmal [davon] im Vorfeld distanzieren möchte […]. Dass Nazis ungehindert marschieren können, würde das Demonstrationsrecht […] der demokratischen Bürger gleichsetzen mit einem vorgeblichen Demonstrationsrecht von Neonazis, die nicht für eine bloß andere politische Meinung, sondern für Faschismus als international geächtetes Verbrechen gegen die Menschheit demonstrieren. Deshalb tritt die DKP dafür ein, sich bereits eine Stunde früher zu einer Demons­tration zu versammeln und sich danach an der DGB-Kundgebung zu beteiligen.

Denn letztlich wird die deutsche Zukunft in den Händen derer liegen, die sich Faschismus entgegenstellen und für eine gerechte Gesellschaft streiten.

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"Deutsche Zukunft – Schnee von gestern", UZ vom 2. Juni 2017



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