Mit großer Mehrheit hat der Bundestag am 6. Juni das „Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ angenommen, gegen die Stimmen der AfD und in Abwesenheit der Abgeordneten des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Die Reform erweitert den Katalog der Kriegsverbrechen im 22 Jahre alten „Völkerstrafgesetzbuch“ (VStGB) um den Tatbestand des „Verschwindenlassens von Personen“, verschiedene Sexualdelikte und – buchstäblich in letzter Sekunde am Vorabend der Abstimmung eingefügt – die Verursachung weitreichender Umweltschäden.
Die Neuerungen sind Teil der Gesetzgebungsoffensive in Folge der von Bundeskanzler Olaf Scholz am 24. Februar 2022 proklamierten „Zeitenwende“. Die Verfolgung und Bestrafung von Kriegs- und Konfliktverbrechen rund um den Globus habe nach den Worten von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) „seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dramatische Aktualität erlangt. Jetzt gilt es umso mehr, das internationale und deutsche Völkerstrafrecht mit Leben zu füllen.“ Weshalb sich Deutschland neben seinem Strafgesetzbuch, in dem bereits alle erdenklichen Straftaten (über 400 an der Zahl) erfasst sind, ein zusätzliches VStGB leistet, ist nicht unmittelbar verständlich.
Seit dem „Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)“ von 1998 (Deutschland ist einer der 123 Unterzeichnerstaaten) obliegt dem IStGH die globale Strafverfolgung und Aburteilung von Kriegsverbrechen. Zuletzt rief sich das Gericht am 20. Mai durch Haftbefehle gegen drei Angehörige der Hamas sowie Israels Premierminister Netanjahu und Verteidigungsminister Galant in Erinnerung. Anders als die übergroße Mehrheit der Signatarstaaten des „Römischen Statuts“ liest Deutschland aus der Präambel des Statuts nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht heraus, auch anstelle des IStGH selbst für Ordnung auf dem Globus zu sorgen. Juristisch und vor allem politisch ist dieses sogenannte „Weltrechtsprinzip“ eine originelle Konstruktion, erlaubt es doch die strafrechtliche Verfolgung von Völkerstraftaten überall auf der Welt, gleich ob ein Deutscher beteiligt ist oder deutsche Belange überhaupt berührt sind.
Eine Handvoll Probeläufe hat die globale Strafverfolgung durch die deutsche Justiz schon hinter sich gebracht, wie 2015 die Verurteilung eines ehemaligen ruandischen Bürgermeisters wegen Beteiligung am Völkermord oder die Aburteilung einiger IS-Schergen wegen Kriegsverbrechen an den Jesiden im Nordirak. Fahrt aufgenommen hat die Strafverfolgung nach dem VStGB aber seit März 2022 mit verschiedenen „Strukturermittlungsverfahren“ (man sammelt Taten, hat aber keine konkreten Beschuldigten) in der Ukraine. Greifbare Ergebnisse liegen hier auch nach zwei Jahren „intensiver Ermittlungen“ nicht vor. Kein Zufall, dass die Ampel-Regierung am Vorabend der Verabschiedung des neuen VStGB noch schnell die Schädigung der Umwelt durch Kriegshandlungen in das Gesetz hineingeschrieben hat. Wenige Tage vorher hatte die von der Bundesregierung gesponserte „Initiative on Greenhouse Gas Accounting of War (IGGAW)“, mit Sitz in Kiew, eine „Klimaschaden-Reparationsforderung“ gegen Russland in Höhe von 32 Milliarden US-Dollar aufgemacht – ein neuer Ermittlungsansatz für die Generalbundesanwaltschaft in Sachen Ukraine-Krieg.
Und damit die Ermittlungen nicht einschlafen, hat sich die Bundesregierung auch das Recht des Justizministers vorbehalten, die Generalbundesanwaltschaft notfalls zum Jagen zu tragen. Gemäß Paragrafen 146, 147 Gerichtsverfassungsgesetz kann das Justizministerium Weisungen an die Staatsanwaltschaft (geläufiges Juristen-Bonmot: die „objektivste Behörde der Welt“) erteilen, ob überhaupt Ermittlungen einzuleiten, nicht einzuleiten, einzustellen sind oder wie im Zweifelsfall ein Strafgesetz auszulegen ist. Der Deutsche Richterbund empörte sich: „Allein der böse Anschein, dass Minister Strafverfahren aus dem Hintergrund politisch steuern könnten, erschüttert das Vertrauen in eine objektive und nur den Gesetzen verpflichtete Strafverfolgung.“ Objektivität und Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft? Den Bundestagsfraktionen von CDU bis Grünen war’s egal.