In den Tagen und Wochen vor der US-Präsidentenwahl haben diverse Berliner Politiker und Think Tanks Forderungen an die künftige US-Regierung vorgelegt. Außenminister Heiko Maas hat sich Ende Oktober in der „Welt“ zu Wort gemeldet, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kurz zuvor mit einer Rede vor der Steuben-Schurz-Gesellschaft. Die vom Kanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat eigens eine „Expertengruppe“ zur sorgfältigen Analyse der deutsch-US-amerikanischen Beziehungen ins Leben gerufen, andere Denkfabriken haben Papiere publiziert. „Nach vier schwierigen Jahren“, erklärte Maas, „ist es Zeit für einen Neuanfang in der transatlantischen Partnerschaft.“ Konkret kündigte er an, Berlin wolle „schnell nach der Wahl mit Vorschlägen auf Washington zugehen“, unabhängig davon, wer im Weißen Haus residieren werde – als „Beitrag zu einer neuen transatlantischen Agenda“.
Die Vorstellungen vom künftigen Verhältnis Deutschlands zu den USA, die in Berlin geäußert werden, kreisen um einige zentrale Punkte, über die weitgehend Einigkeit herrscht. Der erste: Es gebe, verkündete Maas, keine wirkliche „Alternative zur Sicherheitspartnerschaft mit den USA“. Kramp-Karrenbauer lobte nicht nur die NATO, sondern speziell auch die „nukleare Teilhabe“. Jeglichen Gedanken an Bündnisse mit Moskau tat sie als „romantische Russlandfixierung“ ab. Das ist freilich nur die eine Seite der Medaille. Die andere: Im Rahmen des Bündnisses verlangt Deutschlands herrschende Klasse für die Zukunft größere Eigenständigkeit. „Partnerschaft bedeutet … nicht blinde Gefolgschaft“, schrieb Maas in der „Welt“: Dass „Amerika und Europa … unterschiedlich“ auf diverse Weltregionen blickten, das erkläre sich „schon aus unserer unterschiedlichen Geographie und Geschichte“. Eine einseitige Anpassung an die USA lehnt der Minister ab: Man könne entweder „zusehen“, wie Streit über die richtige Politik „einen immer tieferen Keil“ treibe zwischen beide Seiten, äußerte er – oder aber man erkenne an, „dass auch unterschiedliche Ansätze zum Ziel führen“, sich sogar „gegenseitig verstärken können“.
Beispiele für Politikfelder, auf denen die deutschen Eliten auf Eigenständigkeit bestehen? Eines betrifft China. Müsste Berlin sich Washington beugen und auf allen Ebenen den Konflikt mit der Volksrepublik verschärfen – die wirtschaftliche Entkopplung inklusive –, dann wäre das deutsche Kapital seinen Zukunftsmarkt los. Es bliebe im Rahmen des transatlantischen Bündnisses wohl auf Dauer lediglich die Nummer zwei. Berlin unterstütze keineswegs „jeden Vorstoß der Regierung in Washington“ im Machtkampf gegen China, erklärte Kramp-Karrenbauer. Die Bundesrepublik sei „beim Handel an einem funktionierenden Multilateralismus interessiert“. Maas nannte darüber hinaus auch die Russlandpolitik, bei der man „unsere Sanktionspolitik, aber auch mögliche Kooperationsangebote“ enger abstimmen müsse. Mit „Kooperationsangeboten“ war wohl die für Deutschland strategisch höchst vorteilhafte Erdgaspipeline Nord Stream 2 gemeint.
Den deutschen Eliten ist es mit ihrem Aufstiegswillen bitter ernst. Seit geraumer Zeit arbeitet der European Council on Foreign Relations (ECFR), ein Think Tank mit Zentrale in Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt an Instrumenten, die es ermöglichen sollen, künftig extraterritoriale Sanktionen oder ähnliche Pressalien aus Washington erfolgreich abzuwehren. Nur so, lautet der Gedanke, kann man sich auf Augenhöhe mit den USA hochkämpfen. Der Wille zur Weltmacht – an ihm fehlt es Deutschlands herrschender Klasse auch heute nicht. Ob sie damit aber auch Erfolg hat oder sich letztlich dem Rivalen jenseits des Atlantik beugen muss, das ist freilich noch längst nicht ausgemacht.