Am 27. September wurde bekannt, dass Siemens seine Bahntechniksparte mit dem französischen Bahntechnikhersteller Alstom fusionieren will. Siemens Alstom, an dem Siemens die Aktienmehrheit halten wird, wird mit 62 300 Beschäftigten und ca. 15 Mrd. Euro Umsatz als der weltweit zweitgrößte Bahntechnikhersteller in Europa marktbeherrschend sein. Mit dem Ausscheiden des dritten Konkurrenten Bombardier, der seit Jahren Verluste einfährt, wird gerechnet. Der Wettbewerb hatte im Bahntechnikgeschäft die Margen gedrückt. Besonders an den nationalen Prestigeobjekten ICE und TGV habe man kaum etwas verdient. Jetzt soll die neue Firma den Markt jeweils für zweistöckige TGV und einstöckige ICE aufteilen und „mit dem ganzen Europa im Rücken“ den Weltmarkt erobern. Die Regierungen in Paris und Berlin haben bereits ihre Unterstützung der Fusion bekundet, so dass an der Zustimmung der Kartellämter kein Zweifel besteht. Wegen der potentiellen Konkurrenz der weltweiten Nr. 1, der chinesischen CRRC, müsse das so genannte Wettbewerbsrecht nach herrschender Meinung neu interpretiert werden. Im geltenden Recht, das die angebliche Grundlage der „westlichen Wertegemeinschaft“, die „freie Marktwirtschaft“, garantieren soll, wurden bereits marktbeherrschende Fusionen einzelner EU-Länder vom Kartellverbot ausgenommen; der Markt, dessen Beherrschung verboten sei, sei die EU. Jetzt soll Bezugsgröße nur noch der Weltmarkt sein, um dessen Beherrschung und Aufteilung Großbanken und -konzerne in der Realität seit Anfang des letzten Jahrhunderts mit den bekannten Folgen kämpfen.
Das „Handelsblatt“ wies auf die „Aggression“ der chinesischen CRRC hin, gegen die sich Siemens nun verteidigen müsse. Sie besteht darin, dass CRRC mit der kleinen tschechischen Bahntechnikfirma Skoda Transportation seit Monaten Übernahmegespräche führen soll, so die von der deutschen Presse gern aufgegriffenen Gerüchte. Unausgesprochen steht dahinter, dass es schwierig ist, die staatseigene CRRC, die in atemberaubender Geschwindigkeit das größte Noch-Entwicklungsland China mit Bahninfrastruktur ausrüstet, von Investitionen in EU-Firmen fernzuhalten, weil Siemens seinerseits China als Wachstumsmarkt ansieht und dort umfangreich investiert hat.
Jürgen Kerner, der für Siemens zuständige geschäftsführende IG Metall-Vorstand und in dieser Funktion Siemens Aufsichtsrat, begrüßte die Fusion. Kerner ist seit Beginn seiner Ausbildung 1985 bei Siemens und seit 1986 auch bei der IG Metall, wo er seine Karriere als Jugendvertreter begann. Seit 1990 freigestellt und ab 1995 hauptamtlich übernahm er in der IG Metall auch weniger beliebte Posten, die er auch auf Vorstandsebene behielt: Außer Siemens ist er u. a. auch für die Rüstungsbranche zuständig.
Kerner wies auf die im Aufsichtsrat ausgehandelte vier Jahre Garantie für Standorte und Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen hin. Um die gefährdeten 8 500 Beschäftigten bei Bombardier in der BRD möge sich der Staat kümmern, z. B. durch eine Garantie, dass in EU-Staaten nur in der EU produziertes Bahnmaterial verwendet werden dürfe. Der protektionistische Vorschlag von Kerner hat für die Kollegen bei Bombardier einen Beigeschmack. Der unmittelbare Todesstoß für das kanadische Unternehmen, das außer Bahntechnik auch Flugzeuge fertigt, kommt aus den USA. Dort hat Präsident Trump, ebenfalls in „Abwehr ausländischer Marktaggression“, für Flugzeuge von Bombardier gerade einen Strafzoll von 220% verhängt.
SPD-Mitglied Kerner ist ein Beispiel für den Niedergang des Einflusses der einstmals mächtigsten Gewerkschaft der westlichen Welt, der IG Metall, der von vielen auch sozialdemokratischen Kollegen bedauert wird. Die Politik der „Sozialpartnerschaft“ statt Mobilisierung der Kampfkraft erleichtert Siemens–Chef Kaeser die Vorgabe der Aktionäre unter Führung des 300-köpfigen Clans der Siemens-Erben zu erfüllen: Maximale Profite bei Aufrechterhalten des „sozialen Friedens“.