Wer zuerst auf Seite 3 den Artikel von Olaf Harms mit der Überschrift „ver.di-Bundeskongress stellt Weichen für kommende Kämpfe“ und die vier Kurzinterviews liest und dann den Artikel von Herbert Schedlbauer auf Seite 2, wird sich fragen, ob es hier um denselben Kongress geht.
Dass und wie „Deutschland zum Billiglohnland und Leiharbeit sowie prekäre Beschäftigung zur Normalität gemacht“ wurden, spielte beileibe keine „untergeordnete Rolle“, sondern war in vielen Reden – und auch bei Frank Werneke – ein wichtiges Thema (übrigens auch schon bei den vorangegangenen Gewerkschaftstagen). Viele der angenommenen Anträge weisen ver.di als „Gegenpol zur unternehmerischen Willkür“ aus. Dass „die Basis“ dazu maßgeblich beitragen muss, ist eine Binsenweisheit – Auseinandersetzungen sind immer eine Sache „der Basis“, aber auch der „Funktionäre“ (als Gegensatz zur Basis?).
Im Übrigen: Wenn es in den letzten vier Jahren nur eine einzige Woche gegeben hat, in der ver.di nicht gestreikt hat (2015 in der Weihnachtswoche!), so haben daran auch die „Funktionäre“ einen großen Anteil.
„Die Verursacher der jetzigen Lage bleiben auch diesmal wieder außen vor“? – Ich war anscheinend auf einem anderen Kongress.
Ob das Kapital und seine Helfershelfer auch nach diesem Kongress nicht viel zu befürchten haben, wird davon abhängen, wie die Beschlüsse, die sich gegen das Kapital und seine Helfershelfer und ihre Gesetze richten, umgesetzt werden. Der Kongress legte – meiner Meinung nach – gute Grundlagen für eine kämpferische, auf Auseinandersetzungen orientierte Gewerkschaftspolitik in den nächsten Jahren.
Ich hab‘ mich gewundert über die negative Wertung eines Kongresses, den wohl nicht nur ich ganz anders erlebt habe – als Kongress einer durchaus linken, kämpferischen Gewerkschaft, wie er übrigens auch in vielen Artikeln in bürgerlichen Zeitungen gewertet wurde.