Bundesregierung spart bei der Künstliche-Intelligenz-Forschung

Der Zukunft abgewandt

Von Stefan Kühner

Im November 2018 kündigte die Bundesregierung in einem Strategiepapier „Künstliche Intelligenz“ (KI) an: „Wir wollen Deutschland und Europa zu einem führenden Standort machen“ und so zur Sicherung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beitragen. Medienwirksam traten die Bundeskanzlerin sowie die Minister Karliczek (Bildung), Altmaier (Wirtschaft und Energie), Heil (Arbeit und Soziales), Barley (Justiz und Verbraucherschutz) und Scheuer (Verkehr und digitale Infrastruktur) in der ersten Dezemberwoche gemeinsam in Nürnberg vor die Presse und versprachen, dass in den nächsten fünf Jahren 3 Milliarden Euro aus Steuermitteln für die KI investiert werden sollen. Dabei erweckten sie den Eindruck, dass die Summe auf alle bestehenden Forschungsmittel für die Digitalisierung der Wirtschaft aufgesattelt würde. Hundert neue Stellen für Professuren sollten geschaffen werden. Woher die Experten kommen sollten, blieb offen. Der Stellenmarkt ist schon heute leergefegt.

Bei der Vorstellung des Haushalts für 2020 in der vergangenen Woche fand das „Handelsblatt“ heraus, dass die versprochenen 500 Millionen für das Jahr 2020 und in gleicher Höhe für die Nachfolgejahre nicht so ganz zur Verfügung stehen. Statt 3 Milliarden soll es jetzt erst mal nur 500 Millionen geben. BDI-Präsident Dieter Kempf sagte dazu: „Unsere Investition muss in die Künstliche-Intelligenz-Forschung für industrielle Anwendungen gehen.“

Hintergrund für den Eiertanz sind die sinkenden Erwartungen bei den wirtschaftlichen Wachstumsraten. Die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ haben wegen einer sich eintrübenden Konjunktur das Wirtschaftswachstum für 2019 um 0,8 Prozentpunkte nach unten korrigiert. Es gibt also für die einzelnen Ressorts keine Zusicherung, dass alle Wünsche erfüllt werden. „Wenn die Ministerien besondere Wünsche umsetzen wollen, dann müssen sie dies halt durch Umschichtungen in ihren Haushalten organisieren“, zitiert das „Handelsblatt“ Finanzminister Olaf Scholz, der die „schwarze Null“ unbedingt beibehalten möchte.

Bevor man in das Geheul bei der Förderung von KI einstimmt, sollte man prüfen, um was es hier geht. Die weltweite Wirtschaft befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. Zwei Faktoren bedrohen derzeit die Hegemonie der herrschenden kapitalistischen Wirtschaftsmächte in Nordamerika und Europa. Erstens das Emporkommen Chinas als enorm starke und wachsende Wirtschaftsmacht und zweitens eine Überproduktion in vielen Wirtschaftsbereichen, zum Beispiel in der Automobilindustrie. Eine national ausgerichtete Vermarktung reicht nicht aus, um gute Profite zu erzielen. Durch einen neuen Schub in der Produktivkraftentwicklung versuchen die USA und die EU, ihre Dominanz aufrecht zu erhalten. Dieser Vorgang ist nicht neu. „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten“, heißt es im Kommunistischen Manifest. Dabei spielt der wissenschaftlich-technische Fortschritt eine entscheidende Rolle, derzeit vor allem die Digitalisierung sowie die Automatisierung in der Warenproduktion. Es ist aber nicht allein die Technik, die den Wettbewerb vorantreibt, sondern neue Geschäftsmodelle und die damit verbundene Auflösung bestehender Regeln, Tarife und Konventionen. Unter „neuen Geschäftsmodellen“ verstehen die Großkonzerne sowie ihre Fürsprecher in den Think-Tanks und Beratungsfirmen solche Unternehmen wie Amazon, Apple, Google (Alphabeth), Uber und Airbnb. Vor allem an „innovativen Firmengründungen“ mangele es in Deutschland. Bestenfalls „Mittelmaß“ heißt es. Deutschland liegt hier „nur“ auf Platz 10 noch hinter Indien und der Schweiz. Die Firmengründungen sind allerdings nur ein Kriterium; in der KI-Grundlagenforschung gehört Deutschland zu den Top 5.

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"Der Zukunft abgewandt", UZ vom 29. März 2019



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