Derzeit diskutieren die Gliederungen der DKP in Vorbereitung des 26. Parteitags zehn Leitgedanken. Der Parteivorstand hat in diesen seine Analyse der Entwicklung des Imperialismus und der Kräfteverhältnisse dargelegt. Im Rahmen der Referatsdiskussion auf dem Parteitag im Juni 2025 sollen die kollektiven Diskussionsergebnisse eingebracht werden. Zur Unterstützung der Aneignung der Positionen des Parteivorstands und damit der Herstellung eines einheitlichen Wissensstands in der Partei erscheinen in UZ Artikel zur Vertiefung der einzelnen Leitgedanken. Wir haben die Beiträge in einem Dossier zusammengefasst. Ab Ende Januar wollen wir den Gliederungen der DKP die Möglichkeit geben, in der UZ ihre Diskussionsergebnisse darzustellen. Zur Strukturierung werden wir diese in Blöcken zusammenfassen. Beginnen werden wir mit der Einschätzung internationaler Entwicklungen in den Leitgedanken 1 bis 3. Darauf folgt die Analyse der Situation in Deutschland in den Leitgedanken 4 bis 7. Zum Abschluss sollen die Kräfte des Widerstands diskutiert werden. Wir bitten die Gliederungen der DKP ab sofort um Einsendungen ihrer Diskussionsbeiträge mit einem maximalen Umfang von 6.000 Zeichen an: debatte@unsere-zeit.de.
Die Weiterentwicklung der Produktivkräfte betraf nicht nur die Ökonomie. Mit der Entwicklung der großen Industrie traten auch große Veränderungen im Überbau der Gesellschaften ein. Entgegen der Produktionsweise des Feudalismus mit ihren vorwiegend kleinzelligen Strukturen traten mit der großen Industrie Menschenmassen in die Geschichte – das Proletariat. Den Wandel von der bürgerlichen Demokratie zur „Reaktion auf der ganzen Linie“ mit der Epoche des Imperialismus hat Lenin analysiert. Angesichts der schieren Menge der Proleten und der immer mehr sich verkleinernden Schicht der Kapitalisten (Konzentration und Zentralisation des Kapitals) tauchten Ideen für neue Herrschaftsmechanismen auf. Einer der reaktionärsten Vordenker, Gustave Le Bon, schrieb hierzu: „Heute werden die Forderungen der Massen nach und nach deutlicher und laufen auf nichts Geringeres hinaus als auf den gänzlichen Umsturz der gegenwärtigen Gesellschaft, um sie jenem primitiven Kommunismus zuzuführen, der vor dem Beginn der Kultur der normale Zustand aller menschlichen Gemeinschaft war.“
„Propaganda“ – der große Wurf der Manipulatoren
Die „Masse“ wurde erforscht, um sie in den Griff zu bekommen. Das 1895 erschienene Hauptwerk Le Bons, „Psychologie der Massen“, gehörte zur Basislektüre von Joseph Goebbels und ist auch heute noch ein Standardwerk der Manipulatoren. Le Bon war ein rassistischer Menschenverächter: „Allein durch die Tatsache, Glied einer Masse zu sein, steigt der Mensch also mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab. Als einzelner war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Triebwesen, also ein Barbar.“ Le Bon, der passende Denker der menschenverachtenden Ideologie einer ausbeuterischen Gesellschaftsformation.
Erwähnenswert ist auch Walter Lippmann. In seinem Hauptwerk „Die öffentliche Meinung“ aus dem Jahr 1922 kritisierte er das partizipatorische Modell der modernen Demokratie und analysierte die Rolle der Massenkommunikation bei der Erzeugung der öffentlichen Meinung. Lippmann befürwortete die Steuerung der öffentlichen Meinung durch eine intellektuelle Elite im „allgemeinen Interesse“ – für das Gemeinwohl im Sinne der Staatsräson.
Eine zentrale Figur ist Edward Bernays. Sein 1928 erschienenes Buch „Propaganda“ revolutionierte die Werbeindustrie. Für Unternehmen sei es gewinnbringender, den Fokus der Werbung nicht vorrangig darauf zu richten, dem Konkurrenten Marktanteile wegzunehmen, sondern neue Bedürfnisse in den Massen hervorzurufen. Legendär ist seine Kampagne zur Steigerung des Zigarettenabsatzes, indem er das Rauchen als Element der Emanzipation der Frauen propagierte. Die deutschen Faschisten versuchten, Bernays nach Deutschland anzuwerben. Seine Ideen waren gerichtet auf die Durchsetzung der Interessen Reicher und Mächtiger. Er war maßgeblich durch von ihm entwickelte Methoden der Desinformation und Hetzkampagnen an dem von der CIA betriebenen Sturz der Regierung in Guatemala (1954) beteiligt, deren Gesetze zur Bodenreform die Profitinteressen der United Fruit Company („Chiquita Banana“) gefährdeten. Die Verachtung der Menschen war auch bei ihm Grundeinstellung: „Die bewusste und intelligente Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften.“
Schauspieler, Blender und Führer
Sehen wir uns nun den derzeit unbestreitbaren König der Demagogie an: Donald Trump. Die Lüge vom gestohlenen Wahlsieg wurde von ihm ab dem Wahltag am 3. November 2020 in Szene gesetzt und gipfelte in dem „Sturm auf das Kapitol“ im Januar 2021. Jede Geste, jedes Wort von Trump folgt Le Bons Analysen: „Die Wirkungsmittel der Führer: Behauptung, Wiederholung, Übertragung.“ Die Erläuterungen Le Bons hierzu: Die Behauptung bedarf keines Beweises, ganz im Gegenteil: „Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter eine Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie.“ Diese Behauptung muss ständig wiederholt werden, unbeirrt von irgendwelchen Gegenargumenten oder Widerlegungen. „Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen wird.“ Das dauernd Wiederholte entwickelt sich zu einer „geistigen Strömung“. Dann kommt der „mächtige Mechanismus der Ansteckung“, der Übertragung auf auch nicht miteinander verbundene Massen: „Überzeugung und Glaube der Massen verbreiten sich nur durch den Vorgang der Übertragung, niemals mit Hilfe von Vernunftgründen.“
Für solche Art Führer identifizierte Le Bon den „Nimbus“ als wesentlich. Keinesfalls ist hierbei verwunderlich, dass der arme Schlucker in einem Milliardär seine Lichtgestalt erblickt. Im Gegenteil: Der Mächtige bezaubert und fasziniert, gibt dem Subalternen die Illusion, seine Ansichten seien wichtig, man sei bedeutsam, sei Teil der Macht. Le Bon meinte erkannt zu haben, welche Gestalten es da braucht: „Meistens sind die Führer keine Denker, sondern Männer der Tat. Sie haben wenig Scharfblick und könnten auch nicht anders sein, da der Scharfblick im Allgemeinen zu Zweifel und Untätigkeit führt. Man findet sie namentlich unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die sich an der Grenze des Irrsinns befinden.“ Milei in Argentinien hat erfolgreich versucht, sich den Nimbus des Machers aufzubauen – mit seiner Kettensägenshow. Bekanntermaßen findet Ex-Finanzminister Christian Lindner ihn und Elon Musk empfehlenswert.
Fakten haben es schwer, ins Gehirn zu kommen, analysiert der zeitgenössische Linguist George Lakoff. „Es sind immer politische Werte, die bestimmten Fakten eine spezifische Bedeutung beimessen.“ „Die Menschen mochten den Präsidentschaftskandidaten Reagan, weil er hauptsächlich über Werte sprach und nicht über politische Programme.“ Das Auftreten spielt eine große Rolle. Politiker pflegen in der Regel einen Beraterstab zu haben, der sie in Gestik und Sprechweise schult. Das führt bis zu solchen Albernheiten, dass Berlusconi zu spät zu kommen pflegte und Trump sich bei jedem internationalen Treffen in den Vordergrund rüpelt. Wenn man diese Masche kennt, dann bekommt man täglich Realsatire ins Haus geliefert – etwa wenn Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck seine „Ich-bin-einer-von-Euch“-Botschaft vom Küchentisch aus verkündet und CDU-Chef Friedrich Merz sich als der markige Macher in Szene setzt.
Argumenten unzugänglich
Welche Bedeutung dem Setzen richtiger Wörter und „Frames“ – Denkmuster, Denkrahmen – zukommt, kann man dem Umstand entnehmen, dass die Republikaner in den USA landesweit Dutzende politischer Thinktanks unterhalten. „Sie haben Milliarden von Dollar investiert, um ihre politische Ideologie auszuarbeiten und sie in Sprache umzusetzen. Und das seit 1971“, schrieb Lakoff. Die Republikaner in den USA hätten gut verstanden, dass man nicht an nichts denken kann: „Eine Idee sprachlich zu negieren bedeutet – immer –, sie im Gehirn des Hörers zu aktivieren.“ Wenn Frames aufgebaut sind, kann man sie nicht wegreden. Der Denkrahmen „Die Russen werden uns in den nächsten Jahren angreifen“ ist gesetzt und wird tagtäglich bedient.
Die Forschungen zur „Kognitiven Kriegsführung“ wurden seit den 2020er Jahren insbesondere in den USA enorm intensiviert. „Die Ziele der NATO sind hier eindeutig formuliert: Die Kognitive Kriegsführung findet heute statt, sie wird auch in Zukunft verstärkt stattfinden und wenn es nach den Plänen der NATO geht, wird bald der Mensch selbst als neues Einsatzgebiet im Zentrum der Kriegsführung stehen“, schreibt Jonas Tögel in seinem lesenswerten Buch.
Damit nähern wir uns auch dem, was während des VII. Schriftstellerkongresses der DDR 1973 ein Thema war – die „quälende Thematik der Massenbasis des Faschismus“. Kurt Pätzold hat diese Frage jahrzehntelang beschäftigt. Seine Darstellung in dem Buch „Gefolgschaft hinterm Hakenkreuz“ geht entlang der Zeitschiene und hilft nachzuverfolgen, wie Stück für Stück die faschistische Manipulation wirkmächtig wurde. Militarismus und Faschismus bedienen sich der gleichen Methodik. Ihre Ziele und ihren jeweiligen Einsatz gilt es in der politischen Gesamtschau zu untersuchen. Zu Recht insistiert deshalb die DKP darauf, dass Faschismus ohne Verständnis des Militarismus nicht zu begreifen und zu bekämpfen ist.
Grenzen der Manipulation
Es ist wichtig zu verstehen, dass es Faktoren und Wirkweisen in Menschenmassen gibt, an denen Manipulatoren ansetzen können. Es gibt die irrige Vorstellung, bei Marx sei es nur um Ökonomie gegangen und um die Kritik des Kapitalismus. Doch Marx und Engels ging es um Menschen – und in deren Sinn kann Theorie schlagkräftig sein: „Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“ Theorie dient dem Erfassen von Zusammenhängen, von Ursache und Wirkung, vom Wesen der Dinge und nicht nur ihrer Erscheinungen. Bert Brecht fasste es kurz und knapp: „Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“ Das ist Sinn und Zweck der Manipulationsmaschinerie der Herrschenden: Die Beherrschten dürfen ihre Lage nicht erkennen. Deshalb sind Migranten Schmarotzer, die Bürgergeldempfänger arbeitsscheu und die Ossis stasiverseuchte Nostalgiker. Millionäre und Milliardäre sind hingegen our best buddies.
Die Stärke des Kapitals ist die Schwäche der Kräfte des Fortschritts. So wie Lenin für 1905 die miteinander verbundenen Aufgaben beschrieb – den sozialistischen Kampf und den Kampf gegen den Zarismus, um demokratische Rechte –, steht für uns heute ebenfalls die Doppelaufgabe des demokratischen Kampfes: Verteidigung erreichter sozialer und rechtlicher Errungenschaften sowie Kampf gegen Militarisierung und um das sozialistische Ziel.
In unserer Agitation und Propaganda dürfen wir nicht die engen Gedankenrahmen der Bourgeoisie bedienen, sondern müssen eigene Themen setzen. Diese müssen sich an den Bedürfnissen der Arbeiterklasse orientieren. Dabei wird es unumgänglich sein, die Frage von Frieden und Demokratie mit dem Kampf um soziale Rechte zu verbinden. Die Darstellung der kriegerischen Machenschaften des Kapitals muss vermittelt werden über die Frage der sozialen Auswirkungen. Die Gewerkschaften müssen an das Thema Krieg und Frieden herangeführt werden – und dies geschieht heute vermutlich am besten über das Einfordern ihrer sozialen Verantwortung für ihre Mitglieder und deren Familien. Und wir müssen danach streben, in all diese demokratischen Kämpfe einzubringen, dass es eine gesellschaftliche Alternative gibt.
Die Grenzen der Manipulation können und müssen wir setzen.
Verwendete Literatur
Gustave Le Bon: Psychologie der Massen. Kopp-Verlag Rottenburg, 2021
Edward Bernays: Propaganda – Die Kunst der Public Relations. Orange press, 2016
George Lakoff, Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. 4. ergänzte Auflage, Heidelberg, 2016
Jonas Tögel: Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO. Frankfurt/Main, 2023
Kurt Pätzold: Gefolgschaft hinterm Hakenkreuz. Berlin, 2017
Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW Band 1
Bert Brecht: Lob der Dialektik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 1981