Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sowie das zunehmende Säbelrasseln gegen die Volksrepublik China erhöhen die Atomkriegsgefahr. Die deutsche Bundesregierung bemüht sich aktiv um Eskalation – mit massiver Aufrüstung, der geplanten Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, dem Ausbau von NATO-Strukturen wie jüngst dem Taktischen Hauptquartier in Rostock und dem Aufbau der Feindbilder Russland und China. Nie war die Friedensbewegung so nötig wie heute. Wie ihr Kampf weitergeht, darüber verständigen sich Friedensfreunde aus ganz Deutschland traditionell gegen Jahresende auf dem Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel. Was den diesjährigen besonders macht, darüber sprach UZ mit Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
UZ: Am 30. November und 1. Dezember findet der 31. Friedenspolitische Ratschlag in Kassel statt. Worum geht es dabei?
Lühr Henken: Es geht wie jedes Jahr darum, die Friedensbewegung in Deutschland zusammenzubringen, um zu beraten, wie das nächste Jahr friedenspolitisch gestaltet werden soll. Dazu haben wir das Motto „Friedfertig statt kriegstüchtig“ gewählt: Strategien für eine Politik jenseits der Kriegslogik sollen erarbeitet werden. Im Vordergrund steht, die Friedensbewegung zusammenzubringen, zu motivieren und zu befähigen, gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland aktiv zu werden.
Das durchdringt den gesamten Ratschlag. Am ersten Abend organisieren wir dazu eine Veranstaltung im Plenum mit Jürgen Scheffran, der die technischen und politischen Implikationen dieser Stationierung beschreibt. Am Sonntag – traditionell der Tag, an dem die Verständigung über Aktionen im Zentrum steht – gibt es sechs Workshops, darunter „US-Militärstützpunkte, Kriegsmanöver und standortbezogene Aktionen der Friedensbewegung“ mit Karl-Heinz Peil und Torsten Schleip. Hervorheben möchte ich auch den Workshop der SDAJ zur „Wiedereinführung der Wehrpflicht und Militarisierung der Schulen“ und die Beteiligung von Gewerkschaftern. Hans-Jürgen Urban hält einen Vortrag zum Thema „Friedensfragen und ökonomische Krise“.
Zum Schluss gibt es eine Diskussionsrunde im Plenum, in der zusammengeführt wird, was davor diskutiert worden ist. Da geht es speziell darum, den Berliner Appell, der ja die Ablehnung der Stationierung beinhaltet, bekannter zu machen – oder überhaupt einen richtigen Startschuss für die Arbeit damit zu geben und die Aktivitäten um den Appell herum zu vernetzen. Das wird meines Erachtens der Schwerpunkt sein. Deswegen ist dieser Ratschlag, glaube ich, einer der wichtigsten in dessen 31-jähriger Geschichte. Möglicherweise sogar der wichtigste.
UZ: Was macht die geplante Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland so gefährlich?
Lühr Henken: Mich erinnert das nicht nur stark an die Pershing-II- und Cruise-Missiles-Stationierung vor 40 Jahren, für mich ist das quasi identisch. Zwar sind es keine Atomwaffen, die hier stationiert werden sollen, sondern „nur“ konventionelle Waffen. Aber die haben es in sich. Vor allem die Hyperschallrakete „Dark Eagle“. Die ist so konzipiert, dass sie nicht abfangbar ist. Sie fliegt mit extrem hoher Geschwindigkeit in Flugmanövern, die nicht verfolgbar sind, und trifft präzise. Dabei ist die Vorwarnzeit so gering für die russische Seite, dass „Dark Eagle“ für sie äußerst bedrohlich ist. Für den Präsidenten persönlich, aber auch für Frühwarn-Radaranlagen, die im europäischen Teil Russlands stationiert sind, und für die Silos der Interkontinentalraketen im westlichen Teil Russlands. „Dark Eagle“ und die zwei weiteren Waffentypen, die in der BRD stationiert werden sollen, sind Angriffswaffen. Sie haben mit Verteidigung nichts zu tun. Weil es kaum möglich ist für Russland, solche Raketen abzufangen, wird das Land sich wahrscheinlich gezwungen sehen, selbst offensive Maßnahmen zu ergreifen. Das heißt, dass Deutschland ins Visier russischer Hyperschallraketen gerät. Deshalb bedroht die Stationierung US-amerikanischer Raketen die Sicherheit Deutschlands. Für ganz Europa wird die Situation noch brenzliger. Die Stationierung ist brandgefährlich. Da geht es wirklich um unser Überleben. Deshalb müssen wir alles Mögliche unternehmen, um diese Stationierung zu verhindern.
UZ: Wie arbeitet der Bundesausschuss Friedensratschlag mit dem Berliner Appell?
Lühr Henken: Er steht im Zentrum unserer Aktivitäten. Das ist die zentrale Maßnahme des Bundesausschusses in den nächsten Jahren.
UZ: Aktuell ist ja einiges in Bewegung: Trump ist wieder zum US-Präsidenten gewählt worden, die Ampel-Koalition ist zerbrochen, Neuwahlen stehen an. Währenddessen laufen der Krieg in der Ukraine und der Genozid in Gaza weiter. Worauf bereitet sich die Friedensbewegung vor für 2025?
Lühr Henken: Was die US-Wahl betrifft, gucken wir uns erst mal Westasien an. Wenn man sich Trumps Politik während seiner ersten Präsidentschaft anguckt, ist damit zu rechnen, dass er diesen Kurs fortsetzt: Einen ganz stark pro-israelischen und anti-iranischen Kurs, der die Spannungen dort weiter erhöht. Ein Ende des Kriegs im Nahen Osten rückt also in weitere Ferne. Die Spannungen gegen China werden sich auch erhöhen. Was die Haltung zur NATO betrifft, deutet sich für mich an, dass Trump den Druck auf die deutsche und europäischen Regierungen erhöhen wird, so dass die Militärausgaben, die jetzt schon bei 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, noch weiter angehoben werden. Diejenigen in Deutschland, die dafür sind, signalisieren bereits, dass man Trump in dieser Frage folgen wird. Manche Politiker sprechen schon von 3 oder gar 3,5 Prozent. Das wird zur Folge haben, dass der Sozialabbau nach der vorgezogenen Neuwahl noch weiter forciert werden wird. Die CDU will auf jeden Fall ans Bürgergeld ran, wenn sie die Regierung übernimmt.
UZ: Viel Gesprächsstoff also.
Lühr Henken: Als Besucher des Friedenspolitischen Ratschlags hat man die Qual der Wahl: Meistens finden zeitgleich mehrere spannende Veranstaltungen statt. Das Programm soll ja möglichst umfassend alle möglichen Themenfelder abdecken. Das Wichtigste ist unser Umgang mit dem Berliner Appell, der muss im Zentrum stehen. Die Menschen müssen begreifen, dass sie selbst aktiv werden müssen und selbst im Winter wieder Infostände organisieren, auf die Straße gehen, das Gespräch mit anderen suchen, mit Freunden, in den Betrieben, an der Hochschule, in den Schulen.
Das Gespräch führte Valentin Zill
Mehr Infos zum 31. Friedenspolitischen Ratschlag am 30. November und 1. Dezember in Kassel, zu Programm, Kosten und Anmeldung gibt es auf der Website des Bundesausschusses Friedensratschlag: uzlinks.de/friedensratschlag2024