„Sondervermögen“ auch für Weltraumaktivitäten der Bundeswehr

Der Weltraum als Gebiet der Kriegsführung

Seit Oktober ist auch Deutschland Mitglied der US-geführten Weltraumoperation „Olympic Defender“ (OOD), die 2013 geschaffen und 2019 für Verbündete geöffnet wurde. An Olympic Defender beteiligen sich – neben den USA, Kanada, Australien, Großbritannien – seit September Neuseeland und nun auch Deutschland sowie Frankreich. OOD soll vor allem die gemeinsame Verteidigung, Aufklärung und Förderung im Weltraum stärken und „Aggressoren“ abschrecken, internationale Normen für verantwortungsvolle Weltraumaktivitäten „fördern“ und auch der Beseitigung von Weltraumschrott dienen. Aber kriegerische Außerirdische werden uns gewiss nicht angreifen.

Bei einer Feierstunde im Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) am 14. Oktober erklärte Generalleutnant Schneider in Vertretung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Breuer, gegen wen OOD gerichtet sei: „Die Aktivitäten Russlands und Chinas stellten die internationale regelbasierte Ordnung in Frage – auch im Weltraum.“ Beide Staaten seien eine wachsende Bedrohung und Herausforderung für Deutschland und seine Partner auf der ganzen Welt.
(uzlinks.de/­olympicdefender)

Tatsächlich schoss die VR China zum Beispiel 2007 einen eigenen ausgedienten Satelliten ab. Auch Russland verfügt über solche Fähigkeiten. Indien besitzt gleichfalls die Technologie. Aber es sind die US-Regierung und ihre Partner, die in den letzten 16 Jahren alle Vorschläge Chinas und Russlands ignorieren, zu neuen internationalen Übereinkommen zu kommen. So unterbreiteten zum Beispiel China und Russland 2014 der Genfer Abrüstungskonferenz einen Vertragsentwurf zur Demilitarisierung des Weltraums. Dieser sah das Verbot der Stationierung von Waffen im Weltraum sowie das Verbot der Androhung von Gewalt gegen Weltraumobjekte vor. Die Entwicklung landgestützter ASAT-Systeme – Anti-Satelliten-Technik – sollte aber zugelassen werden. – So weit zur Behauptung, man wolle internationale Normen für verantwortungsvolle Weltraumaktivitäten „fördern“.

Chancen für die Diplomatie …

Ausgerechnet mitten im Kalten Krieg hatte die Diplomatie mehr Erfolg. Mit dem Start von Sputnik 1 im Oktober 1957 und dem ersten erfolgreichen Start eines US-Satelliten im März 1958 war klar, dass nächste Schritte in der Entwicklung der aktiven Raumfahrt folgen würden. Von Anfang an war auch das Interesse des Militärs an den sich dadurch ergebenden Möglichkeiten groß. Im Januar 1958 schrieb US-Präsident Eisenhower jedoch an den sowjetischen Regierungschef Bulga­nin. „Ich schlage vor, dass wir uns darauf verständigen, dass der Weltraum nur für friedliche Zwecke genutzt werden soll. (…) Sowohl die So­wjet­union als auch die Vereinigten Staaten nutzen derzeit den Weltraum, um Raketen für militärische Zwecke zu erproben. Jetzt ist die Zeit, damit Schluss zu machen.“ Drei Monate später antwortete die Regierung der UdSSR mit einem Vertragsentwurf, der die Stationierung von Atomwaffen im Weltraum grundsätzlich verbieten sollte: Sie legte der UN-Vollversammlung ein erstes Dokument für ein „Verbot der Nutzung des Weltraums zu militärischen Zwecken“ vor.

Als John F. Kennedy 1960 zum neuen US-Präsidenten gewählt wurde, hofften einige Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates auf eine neue Orientierung zugunsten des Militärs. Doch Kennedy lehnte ab. Ein Jahr später erläuterte er: „Ich bin überzeugt, dass der Weltraum erforscht und beherrscht werden kann, ohne das Feuer des Krie­ges anzuheizen.“ Seine Regierung setzte sich mit dafür ein, dass im Januar 1967 ganz in diesem Sinne ein internationaler Weltraumvertrag abgeschlossen wer­den konnte. Mit dem Weltraumvertrag verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten, keine Objekte mit Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen auf eine Umlaufbahn zu bringen und keine derartigen Waffen auf Himmelskörpern oder auf andere Weise im Weltraum zu stationieren. Zudem verbietet der Vertrag die Errichtung von Militärbasen, Anlagen, Befestigungen sowie die Erprobung jedweder Waffen und der Durchführung militärischer Manöver auf Himmelskörpern (Art. IV). Dem voraus ging 1963 die „Erklärung über die Rechtsgrundsätze zur Rege­lung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Welt­raums“. In den 60er und 70er Jahren folgten weitere Abkommen, mit denen die Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke eingeschränkt werden sollte.

Trotzdem entwickelte die So­wjet­union und forcierten auch die USA sowohl während Eisenhowers als auch Kenne­dys Präsidentschaft militärische Raumfahrtprojekte. Von den USA wurde auch der Einsatz von Fusionswaffen getestet. Im Juli 1962 erzeugte die Explosion einer Wasserstoffbombe in der Höhe von 400 km, also im Weltraum, einen elektromagnetischen Puls, so dass viele der eingesetzten Messgeräte ausfielen und noch im etwa 1.445 km entfernten Hawaii Störungen auftraten. Und auch Satelliten für das Militär wurden entwickelt.

In den 70er und vor allem den 80er Jahren zeigte sich, dass die Kriegsführung sich durch den Einsatz von Satelliten bereits verändert hatte. Land-, Luft- und Seestreitkräfte wurden, wie der „Spiegel“ am 29. November 1976 berichtete, „abhängig von der Weltraumtechnologie; sie benützen Satelliten zur Nachrichtenübermittlung, zur Überwachung des Gegners und um eigene Bomber oder Kriegsschiffe bei der Navigation zu unterstützen“. Im Falklandkrieg 1982 versorgte das US-Verteidigungsministerium ohne Wissen des Kongresses die Briten mit Raketen, Treibstoff und Satelliteninformationen. Schon vor „Desert Storm“ 1990/1991 wurden Aufklärungs-, Kommunikations- und Navigationssatelliten unmittelbarer Bestandteil der Kriegsführung.

Strategie des Pentagons

Nachdem die USA im Bereich der konventionellen Rüstung nicht den erhofften Vorsprung vor der So­wjet­union erreicht hatte, orientierten Politik, Militär und Rüstungsindustrie Ende der 1970er Jahre zunehmend auf den Weltraum. Anfang der 1980er Jahren wurde in Umsetzung eines Pentagon-Leitlinienpapiers eine entsprechende Doktrin beschlossen. Am 1. September 1983 verkündete US-Präsident Reagan seine Grundsatzent­scheidung über den Aufbau eines mehrfach gestaffelten weltraumgestützten Raketenabwehrsystems. Die „Strategische Verteidigungsinitiative“ (SDI) der USA war darauf ausgerichtet, „die Vorherrschaft im Weltraum zu erlangen und aufrechtzuerhalten“. Die Doktrin beinhaltete in ihren Schwerpunkten die Schaffung weltraumgestützter Waffensysteme, die Ausbildung von Weltraumstreitkräften und die Entwicklung entsprechender Einsatzkonzeptionen. Die US-Regierung und das Pentagon spekulierten damals vor allem darauf, die UdSSR durch die Entwicklung von Weltraumwaffen zu überrunden und das gesamte militärische Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern.

Das SDI-Programm scheiterte letztlich an seiner Größe, an den technischen Schwierigkeiten, an den immensen Kosten, vor allem auch an weltweiten Protesten – und auch an den Bestimmungen des 1972 geschlossenen ABM-Vertrags.

Von Reagan zu Bush – und Trump

Doch nicht alle SDI-Projekte wurden damals eingestellt. 1999 beschloss das US-Verteidigungsministerium neue Richtlinien für die militärische Weltraumpolitik: Der Weltraum wurde wie das Land, das Meer und die Luft als Medium bezeichnet, in dem militärische Aktivitäten ausgeführt werden sollen, „um nationale Sicherheitsinteressen der USA zu verfolgen“.

Nach der Wahl von Georg W. Bush im Jahr 2000 arbeitete die neue US-Regierung auf die Zerschlagung des ABM-Vertrages hin. Die bisherigen Instrumentarien zur Rüstungskontrolle – vor allem auch, was die Weltraumrüstung betraf – sollten ausgehebelt werden. Pläne zur amerikanischen Raketenabwehr wurden vorangetrieben. 2006 wurden neue Richtlinien beschlossen: „Eine absichtliche Störung von Weltraumsystemen der USA wird als eine Verletzung unserer Souveränitätsrechte betrachtet. Die USA werden alle angemessenen Maßnahmen zur Selbstverteidigung ergreifen, wozu auch der Einsatz von Gewalt gehört (…).“ Festgelegt wurde auch: „Handlungsfreiheit im Weltraum ist für die Vereinigten Staaten ebenso wichtig wie Fähigkeiten in der Luft oder zur See.“ Und: „Die USA werden sich der Entwicklung neuer rechtlicher Vereinbarungen oder anderer Beschränkungen widersetzen, die ihren Zugang zum All oder dessen Nutzung verhindern oder einschränken wollen.“

Unter Trump stiegen dann die US-Rüstungsausgaben auf eine neue Rekordhöhe. Eine eigenständige „Space Force“, ein sechster Zweig der US-Streitkräfte, wurde geschaffen. Bei der Unterzeichnung der entsprechenden Direktive am 18. Juni 2018 erklärte Präsident Trump: „Zur Verteidigung Amerikas reicht eine einfache Präsenz im Weltraum nicht, wir müssen den Weltraum dominieren“, wie „der Himmel, die Erde und das Meer ist der Weltraum zum Schlachtfeld geworden“. Doch das „Interesse“ am Weltraum beschränkt sich in den US-Streitkräften nicht auf die Space Force.

NATO: Operationsgebiet Weltraum

Frankreich gab im Sommer 2019 die Gründung eines Weltraumkommandos bekannt. Sein Land wolle künftig seine Satelliten „auf aktive Weise“ schützen, erklärte Präsident Macron. Verteidigungsministerin Parly verkündete die Entwicklung von Laserwaffen. Im September 2019 äußerte sich der russische Außenminister Lawrow auf einer gemeinsamen Sitzung der Außen- und Verteidigungsminister beider Länder besorgt über die Aussicht eines (neuen) Wettrüstens im All: „Die USA haben eine solche Möglichkeit in ihren Dokumenten festgelegt, und heute haben wir unsere französischen Partner gebeten, die Bestimmungen ihrer eigenen Militär- und Weltraumdoktrin, die am 25. Juli angenommen wurde, zu erklären. Im Zusammenhang mit dem Weltraumthema haben wir unsere Kollegen aufgefordert, verantwortungsbewusst an die Diskussionen in der UNO und auf der Abrüstungskonferenz in Genf über den Vorschlag Russlands, Chinas und mehrerer anderer Länder zur Annahme eines rechtsverbindlichen Dokuments über die Verhinderung der Platzierung von Waffen im Weltraum heranzugehen.“

Ende 2019 deklarierte die NATO den Weltraum als mögliches „Kriegsgebiet“ beziehungsweise – neben Cyberraum, Land, See und Luft – zu ihrem „Operationsgebiet“. Die NATO meinte, dass ein „feindlicher Angriff“ auf strategisch wichtige Satelliten im Weltraum die eigenen Fähigkeiten und „das westliche Bündnis“ gefährlich schwächen könnte. Man wolle künftig aber „nur“ die Satelliten – militärisch wie zivil genutzte – der eigenen Mitglieder schützen, keine eigenen Systeme oder gar Waffen im Weltraum stationieren und auch keine eigenen NATO-Operationen im Weltraum durchführen. Man wolle vielmehr vor allem eine koordinierende Rolle übernehmen.

Im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ von 2006 wurde der Weltraum – noch – nur im Zusammenhang mit den Aufgaben der Luftwaffe genannt. Im „Weißbuch“ von 2016 wurde er bereits als Interessen- und Operationsgebiet bezeichnet. Mit dem NATO-Beschluss von 2019 war die weitere Entwicklung absehbar. Und so wurde im Oktober 2020 auf der Air-Base in Ramstein das Weltraumzentrum der NATO eingerichtet. Die Bundeswehr gehörte zu den Mitbegründern.

Weitere Schritte folgten:

  • Frankreich und Deutschland traten 2020 der Combined Space Operations Initiative (CSpO) bei und folgten damit den USA, Großbritannien und den nicht der NATO angehörenden Staaten Australien, Kanada, Neuseeland. Mitglieder sind inzwischen auch Italien, Japan und Norwegen. Aufgabe ist es laut NATO, „die Zusammenarbeit, Koordination, Interoperabilität, Belastbarkeit, Ausbildung sowie die nationalen und kollektiven Fähigkeiten für gemeinsame militärische Operationen im Weltraum zu verbessern“. (uzlinks.de/natospace)
  • Seit 2021 gibt es auch ein Weltraumkommando der Bundeswehr. Es soll vor Gefahren im Weltall schützen – auch vor militärischen Angriffen, aber auch Einsätze koordinieren – und verfügt unter anderem über ein Lagezentrum in Uedem am Niederrhein. Als Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Mitte Juli 2024 das Lagezentrum besuchte, erklärte er: „Wir (…) müssen uns stärker aufstellen im Weltraum. (…) Wir müssen einfach erkennen, dass der Weltraum eine strategische Dimension ist (…).“ Dabei gehe es etwa um Datensicherheit und Satellitensicherheit, aber auch um die Abwehr von Angriffen auf die Kommunikation.
  • Im Oktober 2024 wurde man nun Mitglied der US-geführten ODD. „Das Weltraumkommando der Bundeswehr wird (…) in der Operation Olympic Defender eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere die Gruppe ‚Planen und Führen von Weltraumoperationen‘ ist dafür verantwortlich, die Aufgaben umzusetzen, die mit der deutschen Beteiligung verbunden sind.“ (uzlinks.de/mehrweltraumkrieg) OOD wird vom U.S. Space Command geleitet, einem Weltraumkommando des US-Verteidigungsministeriums. Darin sind alle Teilstreitkräfte der USA, also einschließlich der Space Force, vertreten.

Im September 2023 beschloss die Bundesregierung eine – eher allgemein gehaltene – Weltraumstrategie. „Sicherheit“ bedeutet für die Bundesregierung dabei vor allem auch, „dem Weltraum als strategische Dimension verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen und ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet auszubauen“. Raumfahrt sei ein wichtiges Element der gesamtstaatlichen Sicherheit. Bis Ende dieses Jahres soll übrigens zudem eine spezielle nationale Sicherheitsstrategie für den Weltraum erarbeitet werden.

Übrigens: Das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro dient auch dem Ausbau der Weltraumaktivitäten und -fähigkeiten der Bundeswehr.

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"Der Weltraum als Gebiet der Kriegsführung", UZ vom 20. Dezember 2024



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