Der wandelnde rechte Kompromiss

Lucas Zeise zum Bundespräsidentschaftskandidaten Steinmeier

Steinmeiers Ernennung zum gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition ist zunächst ein taktischer Sieg für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der Steinmeier gegen die Union durchgedrückt hat. Entsprechend sehen Frau Merkel und Horst Seehofer ein wenig beschädigt aus, weil sie als bei weitem größte Fraktion in der Bundesversammlung nicht in der Lage waren, einen eigenen Kandidaten zu finden. Frau Merkel hätte wohl gern den stramm konservativen Grünen Winfried Kretschmann zum Bundespräsidenten gemacht, um damit eine schwarz-grüne Koalition nach den Bundestagswahlen in die Wege zu leiten. Das wollte die CSU ausdrücklich nicht. Für sie und Teile ihrer Wählerbasis sind die grünen Yuppies einschließlich der altschwäbischen Kretschmanns ein Gräuel.

Wir können jetzt also – auch das ist der weitgehende Konsens der Kommentatoren – nach der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres wieder mit einer Großen Koalition aus Union und SPD rechnen. Das ist in vielerlei Hinsicht von Vorteil. Es zeigt deutlich, wie nah sich die beiden „großen Volksparteien“ sind. Ob nun, wie in der dezidiert rechten Presse seit Jahren zu lesen ist, Frau Merkel die CDU sozialdemokratisiert hat, oder ob vielmehr die SPD offen ins konservative Arbeitgeberlager gewandert ist, wie Realisten das nennen würden, beides beschreibt die nun fast traute Einigkeit und Einheitlichkeit der politischen Klasse. Nur schade, dass die FDP (wegen ihrer Abwesenheit im Bundestag) und die Grünen (wegen der unfreundlichen Haltung der CSU) nicht dabei mitmachen können. Die radikalkonservative AfD kann erst dann mit dabei sein, wenn sie ihre Anti-Establishment-Attitüde etwas abgeschliffen hat. Letzte Bemerkung zu diesem Themenkomplex: Das ohnehin aussichtslose Projekt einer rotrotgrünen Bundesregierung ist nun noch töter als zuvor. Man muss zuweilen auch das Positive sehen.

Schließlich zum Kandidaten selber: Er wird in diesen schwierigen Zeiten vom Stil her als „Anti-Trump“ gelobt. Das ist schon etwas. Wenn man es positiv ausdrückt, ist Frank-Walter Steinmeier der wandelnde Kompromiss im Hinterzimmer. Er drückt den Konsens innerhalb des politischen Systems unseres heiteren Landes gut aus. Sein Kompromiss ist kompromisslos ein rechter Kompromiss. Die Führung der Linkspartei hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Steinmeier wesentlich verantwortlich ist für die Agenda 2010, also das größte Sozial- und Lohnabbauprogramm, das diese Republik gesehen hat. Als Außenminister hat er es verstanden, die Rolle Deutschlands als zweitwichtigste Nation im Lager des US-Imperialismus unaufgeregt in Stellung zu bringen. Die Begeisterung zum Kriege, die sein Vorgänger Gauck präsentierte, fehlte ihm bisher. Man muss auch hier das Positive sehen.

Der Kandidat fürs Präsidentenamt war in seiner Zeit als Leiter des Kanzleramts unter Gerhard Schröder verantwortlich für die Geheimdienste dieser Republik. Die Inlandsaufklärung, absurderweise „Verfassungsschutz“ genannt, begann zu dieser Zeit (1999) die Mörder und Terrortruppe vom „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“ anzuleiten, zu bewachen, zu beschützen oder auch nur zu tolerieren. Wir wissen bis heute nicht, was genau geschah. Auch das Versprechen der heutigen Kanzlerin, die Angelegenheit aufzuklären, ist bisher nicht eingelöst. Es wäre auch nach bürgerlichen Maßstäben angemessen, wenn diese Kleinigkeit geklärt wäre, bevor die Bundesversammlung den Mann zum Präsidenten wählt.

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"Der wandelnde rechte Kompromiss", UZ vom 18. November 2016



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