Gerhard Feldbauer
Mussolinis Überfall auf Äthiopien.
Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges.
Pahl Rugenstein Verlag Nachfolger, Bonn 2006.
Als am 5. Mai 1937 Paradetruppen der Kolonialarmee Mussolinis in die äthiopische Hauptstadt einzogen, ging ein barbarischer Eroberungsfeldzug vorerst zu Ende, bei dem 275 000 Menschen umgebracht worden waren. Begonnen hatte der von Großbritannien und Frankreich mit der Politik des Appeasements (der Beschwichtigung der Öffentlichkeit über die Kriegsvorbereitung Mussolinis) beförderte Überfall am 2. Oktober 1936. Als der Vormarsch der 400 000 Mann starken Kolonialarmee trotz der Überlegenheit an Panzern, Artillerie und massiver Luftangriffe auf Städte und Dörfer zum Stehen kam, befahl der „Duce“ das Giftgas Yperit einzusetzen. Nach unvollständigen Angaben wurden über den äthiopischen Stellungen über 350 Tonnen abgeworfen.[1] Um keine Berichte darüber an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, befahl Mussolini, gefangen genommene Europäer, die in der äthiopischen Armee gekämpft hatten, zu erschießen.[2] In den Reihen der Armee Kaiser Haile Selassies kämpften auch 38 italienische Kommunisten. Unter ihnen befand sich der spätere Kommandeur des Garibaldi-Bataillons in Spanien Ilio Barontini, der nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 an der Formierung des bewaffneten Widerstandes gegen Hitlerdeutschland beteiligt war.[3]
Eroberung des Territoriums – Zugriff auf Rohstoffe
Mit der kolonialen Unterjochung Äthiopiens wurden dem italienischen Kapital reiche Rohstoffquellen erobert. Um die Vorkommen an Eisen, Kupfer, Mangan, Schwefel, Nickel, Platin und Gold rasch ausplündern zu können, stellte der Staat den größten Monopolen nahezu unerschöpfliche Kredite zur Verfügung. Während für unzählige Äthiopier ein Hungerdasein begann, transportierten Frachter das Getreide des Landes nach Italien. Einige Zehntausend arbeitslose Italiener fanden für einige Jahre Arbeit in der Kolonie.
Nach der Eroberung schloss der „Duce“ Äthiopien mit Eritrea und Italienisch Somalia zur Kolonie Italienisch Ostafrika zusammen. Dieser Akt entsprach dem vor Beginn der Aggression verkündeten Anspruch, „die Kolonialkarte Afrikas zu ändern und damit die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen“.[4] König Vittorio Emanuele III. setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und der sich Missionspapst nennende Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern ihrer koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf. Der Mailänder Kardinal Ildefonso Schuster feierte im Dom der Stadt die „Heldentaten des italienischen Heeres“, das das „Licht der Zivilisation nach Äthiopien getragen“ habe.
Es traf „unwissende und unschuldige Menschen“
Es gelang nicht, Äthiopien völlig zu unterwerfen. Das Kolonialregime beherrschte nur die großen Städte und etwa ein Drittel des Landes. Die verschiedenen Stämme unter Führung ihrer Ras (Herzögen vergleichbar) und Partisanenabteilungen, die sich vor allem aus früheren Soldaten und Offizieren zusammensetzten, kontrollierten die schwer zugänglichen Bergregionen und Wüstengebiete. Um den Widerstand zu zerschlagen, führten Abteilungen der Schwarzhemden „Strafexpeditionen“ durch. Der Korrespondent des Mailänder „Corriere della Sera“ Ciro Poggiali schilderte erst 1971, was sich zutrug: „Alle Zivilisten, die sich in Addis Abeba befanden, hatten auf Grund der fehlenden militärischen oder polizeilichen Organisation die Aufgabe der Rache übernommen, die in echter faschistischer Squadrismus-Manier[5] ausgeführt wurde. Mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnet liefen sie umher und erschlugen die Einheimischen, die sich noch auf der Straße befanden. (…) Nach kurzer Zeit waren die Straßen um die Hütten von Toten übersät. Ich sah einen Busfahrer, der, nachdem er einen alten Neger mit einem Hammerschlag niedergemacht hatte, ihm den Kopf mit einem Bajonett durchbohrte. Man muss nicht erwähnen, dass das Gemetzel sich gegen unwissende und unschuldige Menschen richtete.“[6]
Mussolini wies an, jeden bewaffneten Äthiopier sofort zu erschießen und ebenso mit gefangen genommenen Rebellen zu verfahren. Wörtlich befahl er eine „Politik des Terrors und der Vernichtung“. Allein von den Carabinieri wurden bis Juni 2 500 Einheimische erschossen. Gegen den äthiopischen Widerstand wurde ein weiteres Mal Giftgas eingesetzt. Nach einem gegen sich erfolglosen Attentat befahl der Generalgouverneur der Kolonie, Marschall Rodolfo Graziani, am 19. Februar 1937 ein Massaker, dem nach äthiopischen Angaben allein in der Hauptstadt 30000 Menschen zum Opfer fielen.[7] Etwa 1 000 Häuser wurden niedergebrannt. Graziani ordnete an, die äthiopische Intelligenz als einen potentiellen Oppositionsherd zu liquidieren. Unzählige christlich-koptische Geistliche und alle Kadetten der Militärakademie von Addis Abeba wurden umgebracht. Nur auf den Verdacht hin, dass sie an dem Attentat beteiligt gewesen sein könnten, ließ der Generalgouverneur im Mai 1937 nahezu 300 Ordensbrüder des Klosters Debra Libanos erschießen. Unzählige Äthiopier sperrte das Kolonialregime in Konzentrationslager, wo die meisten elendiglich zu Grunde gingen.[8]
Insgesamt kamen unter der faschistischen Herrschaft etwa 750 000 Äthiopier ums Leben.
Anmerkungen:
1 Angelo Del Boca: Le Guerre coloniali del Fascismo. Rom/Bari 1991, S. 232 ff.,
2 Gabriele Schneider: Mussolini in Afrika. Köln 2000, S. 143.
3 „Aginform“, Foglio di Corrispondenza comunista, Nr. 51/2005. Außer über Barontini ist kaum etwas über diese Kommunisten und ihr Schicksal bekannt.
4 Palmiro Togliatti: Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale. In: Die Offensive des Faschismus. Referate auf dem VII. Kongress der Kommunistischen Internationale, Berlin/DDR 1960, S. 215.
5 Squadrismus, der italienische Begriff für Terror der Sturmabteilungen.
6 Ciro Poggiali: Gli Appunti segreti dell’ Inviato del „Corriere della Sera“, Mailand 1971, S. 182.
7 Schneider, a. a. O., S. 145.
8 Angelo Del Boca: La Conquista dell’ Impero, Rom/Bari1979, S. 96 ff.