Der Vidiot-Beweis und die Zweite-Platz-Ultras

Von Karl Rehnagel

In Dortmund pfeift der Schiri, keiner hört’s so richtig, die Murmel rollt über die Torlinie, das Stadion tobt: TOR! Oder nee? Oder doch? Oder wie jetzt eigentlich? Abwarten.

Fußball mit Videobeweis ist wie ein geiler Spielfilm auf Pro 7. Man freut sich auf die mit Spannung erwartete Szene und es kommt: Werbung. Die gibt’s in der Bundesliga (noch!) nicht, die Pause aber wohl. Das schwarze Männchen fummelt sich im Ohr rum und alle hängen zwei Minuten lang mit den Füßen in der Luft, weil sie zum Torjubel schon angesetzt haben. Und daaaaaaann… DOCH TOR! Jetzt darf man seinen Sprung beenden und auch noch „Juchei“ rufen, wenn man denn noch Lust hat. Ganz ehrlich: Das ist doch Scheiße. Oder wie die Fans (Kölner UND Dortmunder übrigens) im Stadion brüllten: „IHR MACHT UNSEREN SPORT KAPUTT!“. Wenn der ganze Quatsch ja wenigstens dazu führen würde, dass jetzt alles ultra brutal gerecht ist. Ist es aber nicht. Das Tor für Dortmund hätte nicht zählen dürfen, der Schiri hatte VORHER abgepfiffen. Ergo: Kein Tor, denn so ist die Regel, weil: „Jeder Pfiff unterbricht das Spiel.“

Schlimmer die Geschichte in Stuttgart: Der Wolfsburger Tormann Casteels faustet zwar den Ball weg, trifft dabei aber – mit angezogenen Knien und in voller Geschwindigkeit – den Stuttgarter Gentner voll im Gesicht. Letzterer wird mit schlimmsten Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht. So aus dem Tor zu kommen ist kein unglücklicher Zusammenprall mehr, sondern ein rücksichtsloses Foul. Sieht das der Schiedsrichter nicht, MUSS der Video-Assistent eingreifen. Das tat er aber nicht. Wenn also nun der Videoschiedsrichter Fehler macht, was ist daran besser als der normale Schiedsrichter, der Fehler macht? Antwort: überhaupt nichts. Außer dass das Spiel langweiliger, zerhackter, emotionsloser wird.

Was ein hübscher Übergang zu Wolfsburg ist. Die spielen so fürchterlich emotionslos, dass jetzt sogar ihr Trainer zu Hause bleiben darf. Jonker, der immer so aussieht wie „Dressman meets Stock verschluckt“, hat es nicht geschafft der Truppe (Durchschnittsgehalt 2 Millionen Euro!) eine Spielidee oder eben Emotionen zu geben. Ich denke aber, allzu viel Schuld trägt er nicht, Wolfsburg wird immer ein Retortenclub bleiben. So spannend und sexy wie ein Golf Diesel.

Und sonst? Die Blauen gewinnen kurios und nicht wirklich verdient (und auch hier nach einem bösen Foul!) gegen Bremen, Frankfurt verliert gegen Augsburg, die schon erstaunliche sieben von möglichen zwölf Punkten gesammelt haben. Und ganz oben stehen wie immer Dortmund und Bayern. Ach nee. Hannover. HANNOVER? Okay, sie haben nur den HSV geschlagen, aber davor immerhin auch Mainz und Schalke. Eine Momentaufnahme sicherlich, aber für die Hannoveraner eine hübsche.

Außer für die Ultras. Die fordern, dass Präsident Martin Kind aus dem Land verschwindet, weil er die 50+1 Regelung in Hannover kippen will. Heißt für weniger eingeweihte: Er will die alleinige Macht über den Verein. Das ist natürlich falsch und die Ultras liegen richtig, eine merkwürdige Situation aber ist es schon, wenn die Ultras dem Verein den Rücken zudrehen, der gerade völlig unerwartet auf Platz zwei der Liga steht.

Und sonst? Die Spieltagszersplitterung nimmt weiter ihren unheilvollen Lauf. Der ohnehin schon unfassbar interessante Vergleich zwischen Hoffenheim und Berlin wird angepfiffen sonntags um… 13.30 Uhr! Aber sicher, lieber DFB, aber sicher. Die unzähligen Fans in Tokio (Anstoßzeit dort 20.30) werden wie gebannt auf die Bildschirme gestarrt haben. Alle beide.

Da kann man eigentlich nur noch: Abschalten.

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"Der Vidiot-Beweis und die Zweite-Platz-Ultras", UZ vom 22. September 2017



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