Die Antifaschistische Karawane ist zurück im Donbass – fast neun Jahre nach Beginn des Krieges, der mit Angriffen der ukrainischen Armee auf die Republiken des Donbass begann und dem die freiwilligen Milizen der Volksrepubliken seitdem zu widerstehen versuchen, und ein Jahr nach dem russischen Eingreifen in diesen Konflikt.
Nach einer langen und komplizierten Reise kommen auch in diesem Jahr wieder Mitglieder aus verschiedenen Ländern zusammen, um aus erster Hand zu erfahren, was auf dieser versteckten Seite des Konflikts geschieht.
„Wir können nicht mit den Medien konkurrieren, aber wir wollen ein kleines Gegengewicht schaffen und sagen, dass nicht alle Menschen in der sogenannten Europäischen Union mit diesem aus der Osterweiterung der NATO resultierenden Krieg einverstanden sind. Wir sind Arbeiter, wir wollen nicht, dass mit unseren Steuergeldern Waffen gekauft werden, um hier Menschen zu töten“, sagt David Caccione von der italienischen Band Banda Bassotti, die seit Beginn des Konflikts im Jahr 2014 die treibende Kraft hinter der antifaschistischen Karawane ist.
Der erste Halt der Reise ist in Stachanow, in einem der Waisenhäuser, mit denen die Karawane seit ihrem ersten Besuch in der Volksrepublik Lugansk zusammenarbeitet.
Die Teilnehmer haben Spielzeug und Hilfsgüter für die Kinder mitgebracht. In diesem Waisenhaus lernen die Kinder, haben eine Bibliothek und Spielräume und Sportstätten. Einer unserer Begleiter, der aus der Region stammt, erzählt uns: „Bei einem unserer Besuche in diesem Waisenhaus trafen wir auf die Kinder, und mir fiel auf, dass eines von ihnen sich nur entlang der Wände bewegte. Zuerst dachten wir, es sei ein Spiel. Aber dann fanden wir heraus, dass das Kind während der Bombardierungen in der Region monatelang in einem Keller versteckt bleiben musste und wegen der Bomben immer wieder schützende Deckung suchen musste, was es dazu brachte, Türen und Fenster zu meiden und sich nur dicht an den Wänden zu bewegen. Das Kind wuchs heran und schaffte es glücklicherweise, diese Traumata zu überwinden und ist heute ein junger Mann.“
David antwortet: „Das sind die Kinder, denen wir helfen wollen, denn Kinder sind unser Aller Zukunft.“
In der Stadt Lugansk findet ein Treffen mit der Abgeordneten für die Einhaltung der Menschenrechte, Victoria Alexandrowa Serdjukowa, statt. Sie erzählt uns: „Wir haben sehr detaillierte Berichte mit Beweisen für die Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, die ständig von ukrainischen Truppen begangen werden.“ Im Januar habe es viele Opfer unter der Zivilbevölkerung gegeben, so Serdjukowa. Es waren etwa 900 Tote, darunter 30 Kinder. „All das ist sehr gut dokumentiert, wir haben die Beweise gesammelt und dem UN-Vertreter übergeben, aber wir haben nie eine andere Antwort erhalten, als dass sie sie erhalten haben. Es ist, als ob die Opfer hier keine Rolle spielen würden.“
Serdjukowa berichtet, dass mit der Lieferung von moderneren Waffen mit größerer Reichweite an die ukrainische Armee die Angriffe und die Zahl der Opfer zugenommen haben.
Auf ihrem Weg kommt die Karawane an einem improvisierten Friedhof vorbei. Dort ruhen fünfhundert zivile Opfer, die noch immer nicht identifiziert sind. Die meisten von ihnen sind 2014 getötet worden.
Stefan Natke, ein weiteres Mitglied der Karawane aus Berlin, sagt: „Viele Menschen bei uns fühlen sich nicht mehr von einer Regierung vertreten, die, anstatt auf ihre Bürger zu hören oder zumindest logisch zu handeln, weiterhin unhinterfragt dem von den USA und der NATO vorgegebenen Drehbuch folgt“. Am vergangenen Wochenende demonstrierten in Berlin rund 50.000 Menschen gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine durch die EU. „Die Friedensbewegung gewinnt langsam wieder an Schwung,“ so Natke.
„Es ist unerklärlich, dass nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-2-Pipeline, die Deutschland und das übrige Westeuropa mit russischem Gas zu günstigen Tarifen versorgen sollte, kein Sturm der Entrüstung aufbaust. Anstatt den inzwischen belegten Sabotageakt der USA zu skandalisieren, interessiert sich niemand in dieser Regierung für den Verlust von rund zwei Milliarden Euro. Es wird so getan, als sei nichts passiert.“
Die Fahrt durch den Donbass ist holprig, es geht vorbei an zahllosen zerbombten zivilen Einrichtungen, was im Zeitalter der intelligenten Raketen, die per Satellit mit modernster Technik gesteuert werden, Fragen aufwirft. Die Karawane kommt an Studentenwohnheimen, Hotels, Krankenhäusern, Theatern, Geschäften und Märkten vorbei, die von moderner Militärtechnik der ukrainischen Streitkräfte beschossen wurden. Die HIMARS-Raketenwerfer aus den USA haben eine hohe Reichweite und richten auch weit im Hinterland großen Schaden an.
Als die Karawane an einem alten Bergwerk mit einem roten Stern vorbeikommt, erfahren wir: „Die Ukrainer griffen es mit schwerer Artillerie an, um den Stern zu zerstören, wobei sie das gesamte Werk zerstörten. Der Sowjetstern prangt aber wie ein Wunder immer noch auf dem Zechenturm. Der Hass auf sowjetische Symbole ist in den neonazistischen Truppen tief verwurzelt.“
Bei der Rückkehr in die Stadt Donezk stellt die Karawane fest, dass die Stadt stark von der Zunahme der Angriffe betroffen ist: Das Hotel, in dem die Karawane wohnt, wurde zweimal angegriffen. Das Krankenhaus wird ständig bombardiert und es besteht erneut die Gefahr, dass Bomben kleine Sprengfallen verstreuen, die an verschneiten Tagen unmöglich zu entdecken sind.
Ich stelle fest, dass die Artillerie ständig zu hören ist, in der Nacht und jetzt auch am Tag.
Wenn man die Mitglieder der Karawane fragt, ob sie Angst vor dem Risiko haben, sich zwischen den Bomben und Raketen zu bewegen, antworten fast alle das Gleiche: „Wir sind nur auf der Durchreise, die Menschen, die hier leben, haben keine Alternative.“
Die Karawane bricht in Richtung Schachtjorsk und Gorlowka, das auch tagsüber ständig beschossen wird, auf. Zuerst geht es zum Waisenhaus in Schachtjorsk, um Hilfsgüter abzugeben und die Kinder zu besuchen.
Der Besuch des Waisenhauses in Gorlowka ist jedes Jahr fester Bestandteil der Reise der Karawane. Die Aufenthalte sind zeitlich immer recht knapp bemessen, aber die Kinder haben bei jedem Besuch eine Show für uns vorbereitet. Wenn wir die glücklichen Gesichter der Kinder sehen, wenn wir sie tanzen und singen sehen, dann vergessen wir alle für einen Moment, dass gerade diese Gruppe von Kindern von Traumata, Wunden und Nachwirkungen betroffen sind, die alle mit diesem Krieg zu tun haben. Sie kommen auf uns zu und bitten um Fotos, als wäre es ein ganz normales Schulfest. Für einen Moment fühle ich mich wie bei den Schulaufführungen, an denen meine Kinder teilnehmen, wenn sie erwarten, mich unter den Zuschauern in der Menge der Eltern zu sehen. Für die Kinder ist es sehr wichtig, sich bestätigt und anerkannt zu fühlen. Das ist eines der wichtigsten Geschenke der ganzen Reise. Für ein paar Minuten sind wir die Erwachsenen, die gekommen sind, um sie zu sehen, um ihnen zu applaudieren und ihnen ein wenig von dem zurückzugeben, was der Krieg ihnen weggenommen hat.
Eine der Köchinnen des Waisenhauses berichtet, dass die Artillerie der ukrainischen Armee im Jahr 2014 ihr Haus zerstört hat. „Es war sehr schwierig, jetzt sind die Männer wieder an der Front, fast alle Männer sind von hier. Niemand will, dass Nazis und Nationalisten hierher kommen. Wir wissen, was sie in anderen Dörfern angerichtet haben, das wollen wir nicht erleben.“
Der Leiter des Waisenhauses, trotz allem immer sehr optimistisch, bedankt sich für die Unterstützung.
Wie im letzten Jahr findet der Besuch inmitten von Explosionsgeräuschen statt.
Während der ganzen Zeit, in der wir im Waisenhaus in Gorlowka waren, konnte man das Donnern der Artillerie hören, mal weiter weg, mal näher. Wir sahen Kampfflugzeuge am Himmel manövrieren, und ein paar Minuten später hörten wir, dass eines von ihnen abgeschossen wurde.
In der Mitte der Straße befindet sich eine kleine Gedenkstätte für die Opfer eines Angriffs auf das angrenzenden Gebäude, unter ihnen auch Kinder.
Es ist schockierend, dass in den acht Jahren, in denen diese Menschen starben, niemand über diesen Krieg gesprochen hat, obwohl es viele Berichte und Beweise für zivile Opfer gibt. Erst wurden sie getötet, jetzt werden sie auf andere Weise unsichtbar gemacht.
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