Neue skandalöse Diffamierung

Der verbotene Schwur

Von Ulrich Sander

Der Mangel an Geschichtskenntnissen, der sich z. B. in den Twitter-Meldungen des US-Präsidenten offenbart, wird derzeit überboten durch Veröffentlichungen des Verfassungsschutzverbundes, eines Zusammenschlusses von Geheimdiensten des Bundes und der Bundesländer in Deutschland. Der hat sich einfallen lassen, das Vermächtnis der befreiten Häftlinge von Buchenwald, den Schwur von Buchenwald selbst, als Ausdruck eines „orthodox-kommunistischen“ und damit verfassungsfeindlichen Faschismus-Verständnisses zu stigmatisieren.

So begründete es der hessische Verfassungsschutz in seiner Erwiderung auf die Klage von Silvia Gingold gegen ihre erneute Bespitzelung – nach einem Berufsverbot vor vielen Jahren. Dabei wird ausdrücklich die Losung „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ angeführt. Allerdings wird fälschend hinzugefügt: mit „all“ seinen Wurzeln.

Zu all diesen Wurzeln zähle der Kapitalismus, wie es die Dimitroff-Aussage von 1935 zeige, die jedoch vom Faschismus „an der Macht“ spricht. Diese drei Worte fehlen beim VS. Die Abwehr jeglichen Versuchs, den Antikapitalismus als politische Alternative darzustellen, wird also auch noch mit Fälschungen begründet. Zudem hält der VS daran fest, die VVN-BdA sei durch Mitglieder der DKP, die sie in ihren Reihen, ja sogar in ihrer Führung „dulde“, auch weiterhin „linksextremistisch beeinflusst“ und müsse als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Dass der politische antifaschistische Widerstand zu drei Vierteln von Kommunisten geleistet wurde, macht diesen ja schon lange in der BRD höchst verdächtig.

Zu diesen „Erkenntnissen“ kommt nicht nur das für Silvia Gingolds Bespitzelung zuständige Landesamt Hessen, sondern – wie aus einem dem Gericht vorgelegten Schreiben hervorgeht – ein Verbund der Landesämter und des Bundesamtes des Inlandsgeheimdienstes. Für die mittels Fälschungen und komplettem Unsinn belästigte VVN-BdA kommt nun ein praktisches Problem hinzu. Die Vereinigung hatte Stellen für „Bundesfreiwillige“ (Bufdi) angeboten und entsprechend beantragt. Als Antwort traf ein Schreiben des Bundesfamilienministeriums ein, mit dem die Anträge „aufgrund von Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden“ abgelehnt werden, denn es sollten das Rechtssystem der Bundesrepublik und die Grundrechte des Grundgesetzes geachtet und eingehalten werden. Und das sei bei der VVN-BdA wohl nicht gewährleistet.

Die VVN-BdA ist dabei, eine Kampagne „Aufstehen gegen den Rassismus“ voranzubringen, die von der VVN-BdA mit Bündnispartnern aus Gewerkschaften, Parteien – auch die Partei der Familienministerin ist darunter –, Gewerkschaften und Jugendverbänden betrieben wird.

Der Vorgang erinnert an eine eindringliche Aufforderung des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, der eine Aufklärungsschrift an die Schulen des Bundeslandes richtete, in der dazu aufgefordert wird, die „verfassungsfeindliche“ Losung „Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ nicht mehr zu verwenden. Warum? Weil sie deutschen Staatsbürgern ein Grundrecht abspreche. Jäger, der erfreulicherweise seinen Stuhl räumen muss, dehnt oder zwängt nach Bedarf seine Vorstellungen der Grundrechte. Der Vorgang erinnert auch daran, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Freispruch für die als hundertprozentig nationalsozialistisch eingestufte NPD dazu riet, dieser Partei durch die Mittelstreichung zu schaden. Bundesminister wie de Maizière und Maas sind dabei, die entsprechenden Änderungen im Parteiengesetz so zu gestalten, dass sich dies gegen alle „ex­tremistischen“ Parteien und Vereinigungen richten. Die Formel, die Partei sei trotz ihrer Bedeutungslosigkeit zu verbieten, dies war eine Formulierung aus dem KPD-Verbotsurteil, wurde aufgehoben. Jetzt heißt es, die NPD sei wegen ihrer Bedeutungslosigkeit nicht zu verbieten. Die durch die Haltung von BVerG und Bundesregierung manifestierte Vorgehensweise gegen Antifaschisten lässt noch manche Überraschungen erwarten. Leider keine guten.

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"Der verbotene Schwur", UZ vom 19. Mai 2017



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