Die SPD und die britische Labour Party starten eine Initiative zum Ausbau der deutsch-britischen Militär- und Rüstungskooperation inklusive der gemeinsamen Entsendung von Flugzeugträger-Kampfgruppe in den Pazifik. Ein Papier mit entsprechenden Vorschlägen haben in der vergangenen Woche die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und das Londoner Royal United Services Institute (RUSI) vorgelegt. Demnach sollen nicht nur die Streitkräfte sowie die Waffenschmieden beider Länder künftig deutlich enger zusammenarbeiten; auch sollen die Außen- und die Verteidigungsminister aus Berlin und aus London sich intensiv abstimmen. In Berlin raten Außenpolitikexperten zu derartigen Schritten, um der militärischen und rüstungsindustriellen Abhängigkeit von den USA zu entkommen, die seit dem Beginn des Ukraine-Krieges deutlich zugenommen hat. John Healey, Schattenverteidigungsminister der Labour Party, kündigt ein britisch-deutsches Militärabkommen in den ersten sechs Amtsmonaten einer kommenden Labour-Regierung an. Nils Schmid, Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, stimmt den Vorschlägen zu.
Berlin strebt eine engere bilaterale Militärkooperation mit Britannien bereits seit rund zehn Jahren an. Hintergrund war zunächst die Erkenntnis, dass Britannien – wohl die stärkste Militärmacht Europas – sich nicht in die EU-Militärstrukturen einbinden lassen werde; man müsse daher notgedrungen bilateral mit ihm kooperieren. Außerdem ging es Berlin darum, ein Gegengewicht gegen die Lancaster House Treaties vom 2. November 2010 zu schaffen, einen britisch-französischen Militärpakt, der sich erstmals im Libyen-Krieg von 2011 in der Praxis zeigte, der aber nicht zuletzt auch gegen die deutsche Dominanz in der EU gerichtet war. Im Jahr 2014 sprach die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mehrmals mit ihrem britischen Amtskollegen Michael Fallon über einen Ausbau der militärischen Zusammenarbeit. Einen neuen Schub erhielten die Bemühungen unmittelbar nach dem Brexit-Referendum am 23. Juni 2016. Nun zielten sie darauf ab, die britischen Militär- und Rüstungspotenziale, deren Ausscheiden aus der EU jetzt beschlossene Sache war, zumindest mit einem deutsch-britischen Abkommen einzubinden. Der Plan litt seit dem Amtsantritt von Premierminister Boris Johnson am 24. Juli 2019 darunter, dass sich London nun in keiner Weise mehr durch bindende Vereinbarungen politisch festlegen wollte.
Aktuell kommt ein weiteres Motiv für den Ausbau der deutsch-britischen Militärkooperation hinzu. Der Ukraine-Krieg hat unter anderem die militärische und die rüstungsindustrielle Abhängigkeit Deutschlands und der EU von den Vereinigten Staaten erheblich verstärkt; in gut vernetzten Thinktanks ist bereits von einer „Vasallisierung Europas“ die Rede. Neben der besonders auch von Frankreich vorgebrachten Forderung, im EU-Rahmen die eigenen Streitkräfte und die eigene Rüstungsindustrie energisch zu fördern und sich auf dem europäischen Kontinent künftig noch enger zusammenzuschließen, dringt beispielsweise der European Council on Foreign Relations (ECFR) darauf, wieder enger mit London zu kooperieren. „Der Verlust der kompetentesten Streitkräfte“ habe die EU „geopolitisch mehr geschwächt“, als sie es sich eingestehen wolle, urteilt der ECFR. Nun, da die Zerwürfnisse in Sachen Brexit abflauten, könne man wieder aufeinander zugehen. Die EU solle attraktive Mechanismen schaffen, um Britannien zum „Andocken“ an ihre Institutionen und Programme zu motivieren, rät die Denkfabrik; das könne helfen, größere „strategische Souveränität“ zu erreichen.
In London gilt eine Zusammenarbeit mit Berlin als deutlich besser vermittelbar als eine engere Bindung an die als schwerfällig und wenig handlungsfähig wahrgenommene EU. Berlin wiederum könnte sich mit einer rein bilateralen Kooperation als einflussreiche Schnittstelle positionieren. Der Stand der deutsch-britischen Militär- und Rüstungszusammenarbeit gilt als dürftig. So berichtete Healey, aktuell seien lediglich 26 deutsche Soldaten in die britischen Streitkräfte und britischen Militärlehrgänge integriert und sogar gerade einmal sechs britische Soldaten in die Bundeswehr. Es gebe – anders als im Falle der deutsch-französischen Militärkooperation – nur eine einzige Einheit, in der Militärs beider Länder dienten: das Brückenlege-Pionierbataillon in Minden an der Weser. Selbst in Rüstungsfragen seien die Beziehungen schwach, wird berichtet; ein „Paradebeispiel“ sei die „Fertigung der Radpanzer Boxer“, eines deutschen Militärfahrzeugs, das „für die britische Armee in England gebaut“ werde. Viel mehr sei nicht zu erkennen.
Nach denVorschläge von Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Londoner RUSI könne man den „strategischen Dialog“, den die Außenminister beider Länder vor zwei Jahren vereinbart hätten, verstetigen und ihn zu regelmäßigen Treffen im 2+2-Format ausweiten, also zu gemeinsamen Treffen der Außen- und der Verteidigungsminister. Man könne die Militärkooperation vertraglich festschreiben. Was die regionalen Schwerpunkte anbelangt, heißt es in dem Papier, zum einen solle man sich in Richtung Nordeuropa orientieren, wo man etwa mit Norwegen in der Seeraumüberwachung intensiv zusammenarbeiten könne. Zum anderen solle Britannien Deutschland und womöglich auch andere EU-Staaten einladen, sich an der Entsendung einer Flugzeugträger-Kampfgruppe in den Indischen und den Pazifischen Ozean mit eigenen Kriegsschiffen zu beteiligen. In Betracht gezogen wird auch eine Kooperation bei den jeweiligen Arbeiten an Kampfjets der sechsten Generation; der britisch-italienisch-japanische Tempest kommt deutlich schneller voran als das deutsch-französisch-spanische FCAS.
Die Vorschläge haben durchaus Chancen, in absehbarer Zeit umgesetzt zu werden. Die Labour Party liegt seit rund eineinhalb Jahren in Umfragen zum Teil erheblich vor den Konservativen und hätte nach derzeitigem Stand beste Aussichten, die nächste Regierung zu stellen. Healey kündigt an, im Fall eines Wahlsiegs werde eine Labour-Regierung schon in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit ein militärisches Kooperationsabkommen mit Deutschland schließen, das gleichwertig neben den Vereinbarungen mit Frankreich stehen solle. Anlässlich der Präsentation der Vorschläge der Ebert-Stiftung und des RUSI erklärte Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, auch nach seiner Auffassung sei die Zeit reif für eine britisch-deutsche Vereinbarung zur militärischen wie auch zur rüstungsindustriellen Zusammenarbeit. Unklar ist freilich, wie sich all dies auf die Militär- und die Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Frankreich auswirken würde, die als tragende Säule der Militarisierung der EU gilt. Healey betont, in einer britisch-deutschen Kooperation müsse die Orientierung auf die NATO aus Londoner Sicht klaren Vorrang vor einer Anpassung an die EU haben.