Washington und die NATO steigerten zu Wochenbeginn erneut die Kriegsgefahr in der Ukraine. Die „New York Times“ hatte zunächst berichtet, US-Präsident Joseph Biden werde zu Wochenbeginn über Vorschläge entscheiden, die ihm am Wochenende ranghohe Pentagon-Mitarbeiter in Camp David gemacht hätten. Dazu zähle neben der Entsendung von Kriegsschiffen und Militärflugzeugen auch die Verlegung von 1.000 bis 5.000 Soldaten. Diese Größenordnung könne man im Fall einer weiteren Eskalation verzehnfachen – auf bis zu 50.000 Mann.
Am Montag bestätigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel vor der Presse den Bericht. Er zählte auf, welche NATO-Staaten außer den USA zusätzliche Schiffe und Flugzeuge in die Ostsee, ins Baltikum, ins Schwarze Meer und nach Polen sowie Rumänien und Bulgarien schicken werden. Auch die Bundesrepublik beteiligt sich demnach ab 22. Februar mit Eurofightern an der Luftraumüberwachung über Rumänien. Bodentruppen wird laut einem Bericht der „FAZ“ vom Dienstag nur Frankreich entsenden. Stoltenberg behauptete zugleich: „Das ist eine defensive Maßnahme, die NATO bedroht Russland nicht.“
In Washington erklärte ein Pentagon-Sprecher am selben Tag, die US-Regierung versetze 8.500 Soldaten in den USA in erhöhte Alarmbereitschaft als „klares Signal an Herrn Putin“. Das US-Außenministerium zog zudem Personal aus seiner Botschaft in Kiew ab. Am selben Tag stellten die Außenminister der 27 EU-Staaten der Ukraine Unterstützung bei der Militärausbildung in Aussicht.
Die jetzige Eskalation erfolgte, nachdem die NATO kurz vor Weihnachten bereits die Einsatzbereitschaft ihrer schnellen Eingreiftruppe und die von Spezialkräften erhöht hatte. Zudem hatte sie ihre elektronische Spionagetätigkeit massiv verstärkt. Seit Ende 2021 fliegen laut „FAZ“ „häufiger Militäraufklärer der Bündnisstaaten, um die Truppenbewegungen der Russen rund um die Ukraine zu verfolgen“. Der „Spiegel“ schreibt in seiner aktuellen Ausgabe, das militärische Nachrichtenwesen der NATO überwache die Grenzregion zu Russland „täglich unter anderem mit einer Armada von Aufklärungsflugzeugen“. Mitte vergangener Woche habe sich auch ein deutscher P3-Seefernaufklärer in den Schwarm eingereiht. Der „mit Sensortechnik vollgestopfte Flieger“ kreise eigentlich über dem Mittelmeer, nun drehe er Runden über der Ostsee vor Kaliningrad. Das deutsche Lagebild, so das Nachrichtenmagazin, decke sich weitgehend mit der Einschätzung der USA: Russland sei „noch nicht zu einer Invasion der Ukraine und dem Halten des Gebiets bereit“. Diese Lagebeurteilung galt in Washington und Brüssel offenbar als unbefriedigend, jedenfalls fiel zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichungen die Entscheidung, mehr Öl ins Feuer zu gießen.
Moskau reagierte noch am Montag. Der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, erklärte, nicht Russland sei der Ursprung der Spannungen, sondern die „Informationskampagne“ und „Hysterie“ des Westens. Das werde von einer Vielzahl „einfacher Lügen“ begleitet. Die Mitteilung des Militärbündnisses zur Verlegung von Truppen nach Osteuropa führe dazu, „dass die Spannung wächst“. Peskow wies darauf hin, dass die Ukraine Truppen und Ausrüstung in sehr hoher Zahl entlang der Linie zu den Volksrepubliken Donezk und Lugansk konzentriere: „Der Charakter dieser Konzentration deutet auf die Vorbereitung eines Angriffs hin. Und tatsächlich ist diese Gefahr jetzt sehr groß.“ Die „Hitzköpfe“ in der Ukraine würden aktuell durch Waffenlieferungen ermuntert in ihrem Ziel, sich die abtrünnigen Gebiete zurückzuholen. Russland würde es begrüßen, wenn die NATO die Stimmung nicht weiter aufheizen, sondern Kiew von einer gewaltsamen Lösung des Konflikts abraten würde.