Zum Sammelband „Der Schwarze Kanal“ der „jungen Welt“

Der Ukraine-Feldzug der deutschen Medien

Mirco Kolarczik

„Sie lügen wie gedruckt – wir drucken, wie sie lügen“: Für diesen Slogan der Tageszeitung „junge Welt“ steht kaum etwas so sehr wie die Kolumne „Der Schwarze Kanal“ in der Wochenendbeilage. In der Regel greift jede Kolumne einen unter der Woche publizierten Artikel aus den BRD-Leitmedien („FAZ“, „Handelsblatt“, „Spiegel“ und andere) auf und ordnet ihn politisch ein. Der Klassenauftrag der „Qualitätsjournalisten“ wird dabei ebenso entlarvt wie ihre handwerklichen Schlampereien. An Polemik wird nicht gespart, was die Lektüre besonders unterhaltsam macht – und Arnold Schölzel, der die Kolumne 2014 als Hauptautor übernahm, ist in Sachen Polemik natürlich ein Meister.

In diesen fast zehn Jahren musste sich Schölzel zwangsläufig einem Thema immer wieder widmen: dem „Ukraine-Feldzug deutscher Medien“. Ein neuer Sammelband aus der Reihe „Reserven“ der „jungen Welt“ fasst nun 66 Kolumnen aus den Jahren 2014 bis 2022 zu diesem Themenkomplex zusammen – 59 davon aus Schölzels Feder, sieben weitere von Reinhard Lauterbach. Trotz offiziell zweier Autoren trägt der Band also klar die Handschrift Schölzels. Es ergibt sich eine spannende Rückschau auf die gesamte Vorgeschichte der Eskalation im Frühjahr 2022. Und doch beschlich mich schon beim ersten Durchblättern des Bandes das Gefühl, dass hier eine Chance vergeben wurde.

Warum? Jeder Leser versucht beim ersten Aufschlagen eines Buches, sich zu orientieren. In diesem Fall fiel mir das schwer, denn das Inhaltsverzeichnis besteht aus einer chronologisch sortierten Liste von Titeln, die zu ihrer Zeit sicher pointiert waren, aber Jahre später kaum noch einen Hinweis auf den Inhalt geben. Also suchte ich Hilfe beim Autor und las das Vorwort Schölzels vom Januar 2023. Der Text beginnt – ganz im Stil der Kolumne ­– mit Zitaten von Heribert Prantl, der sich in der „Süddeutschen Zeitung“ mit der Forderung nach einem Ukraine-Sondertribunal und der Ausbootung des Internationalen Strafgerichtshofs befasst hatte. „That aged badly“, dachte ich mir, nachdem sich eben jener Strafgerichtshof vor wenigen Wochen nicht entblödet hatte, einen Haftbefehl gegen den russischen Staatspräsidenten auszustellen – zur Beruhigung kann ich hinzufügen: Die meisten Texte im Buch sind weit besser gealtert. Letztlich hilft aber auch das Vorwort nicht dabei, eine historische Orientierung zu gewinnen.

Mehr Struktur und ergänzendes Material hätten der Textsammlung gut getan. So wäre es möglich gewesen, die Abfolge der Kolumnen nach Etappen des Konflikts zu gliedern – beispielsweise unter den Schlagworten „Euromaidan“, „Konfrontation in Syrien“ und „Eskalation in der Ukraine“. Immer wieder stellt man sich als Leser auch die Frage: Wie bewerten die Autoren ihre Texte rückblickend? Wie haben sie als Beobachter die Entwicklung des deutschen Journalismus erlebt? Auf welche Aspekte und Akteure würden sie heute besonders hinweisen? Um diese größeren Bögen in der Rückschau zu entdecken, wird dem Leser leider nichts an die Hand gegeben. Hinzuweisen ist jedoch auf das umfangreiche Register mit Namen von Journalisten und Politikern. Wer also zu bestimmten Personen recherchieren möchte, wird schnell fündig werden.

So bleibt das Buch, was es sein will: Eine Sammlung von Kolumnen zu einem definierten Themenkomplex. Viele davon lassen sich auch heute noch mit Genuss lesen. Überdies halte ich es für ein richtiges Signal, das Wirken der wichtigen progressiven Journalisten unserer Zeit auch durch solche Sammlungen zu würdigen – und Schölzel gehört ohne Frage in diese Riege. Will man das Buch jedoch als Quelle nutzen, um die Entwicklung des neuen Ost-West-Konflikts selbst detaillierter zu verstehen, sollte man die Bereitschaft mitbringen, immer mal wieder im Internet die damaligen Hintergründe zu recherchieren. Ein solches Auffrischen der Erinnerungen an zeitgeschichtliche Ereignisse kann aber auch eine wertvolle Erfahrung sein.

Mein Resümee: Trotz aller Kritik sei die Sammlung allen politisch und am „Kriegstreiben“ der deutschen „Qualitätsmedien“ Interessierten dringend empfohlen. Für mich jedenfalls hat sich die kleine Zeitreise absolut gelohnt.

Arnold Schölzel/Reinhard Lauterbach
Der Schwarze Kanal
Ukraine-Feldzug deutscher Medien 2014 – 2022

Verlag 8. Mai, Berlin 2023, 160 Seiten, 16,90 EUR
Erhältlich im UZ-Shop

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"Der Ukraine-Feldzug der deutschen Medien", UZ vom 5. Mai 2023



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