An einem Freitag Ende letzten Februars wurden binnen 24 Stunden allein in Wien vier Frauen ermordet. Laut der Statistiken, die das bundesdeutsche Familienministerium bis 2022 publiziert hat, steigen die Zahlen zu Fällen häuslicher Gewalt auch hierzulande – zwischen den Pandemiejahren 2021 und 2022 allein um 8,5 Prozent. Derweil bleibt die „Gender Pay Gap“ weiterhin bestehen: Vergangenes Jahr verdienten Frauen 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, eine Zahl, die sich seit 2020 hält. Auch „bereinigt“ – vergleicht man also gleiche Qualifikationen, Tätigkeiten und Biografien im Hinblick auf die geleistete Lohnarbeit – bleiben 6 Prozent, die Frauen für gleichwertige Arbeit weniger erhalten.
Keine Risse in der Ordnung, sondern strukturelles Element: „Historisch betrachtet waren Sexismus und Rassismus ein Kernelement der Wertschöpfung im Kapitalismus. Sexismus lässt die unbezahlte Arbeit der Frauen im Haushalt, die für die Gesellschaft essenziell ist, als natürlich geleisteten ‚Liebesdienst‘ erscheinen“, so Nicole Aschoff, Redakteurin der US-amerikanischen Ausgabe des linken Magazins „Jacobin“. „Sexismus und Rassismus sind außerdem ein Werkzeug des Unternehmertums, um Arbeiterinnen zu spalten und dadurch Forderungen nach besseren Löhnen und Zusatzleistungen zu verhindern oder die gemeinsame gewerkschaftliche Organisierung zu blockieren.“
Nicht historisch betrachtet, sondern literarisch, ist das Verhältnis von Frau und Mann in Lana Lux’ neuem Roman „Geordnete Verhältnisse“. Philipp wünscht sich darin Mitte der 1990er zum zehnten Geburtstag mal wieder einen Kumpel fürs Leben, steht er doch sonst mit seinen Aggressions- und Inkontinenzproblemen im Abseits. Ein paar Monate drauf wird er erhört: „Das ist Faina“, stellt die Lehrerin die Neue vor, die gerade mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Gelsenkirchen gekommen ist. Und: „Sie kommt aus Russland (sic!) und kann nicht so gut Deutsch.“ Der bindungsgestörte Philipp, Sohn einer gewalttätigen Alkoholikerin, nimmt sich Fainas an und wird sie nicht mehr loslassen.
Die Päckchen der beiden Hauptfiguren, aus deren Perspektiven Lux abwechselnd erzählt, sind keine kleinen: Faina kommt aus einer armen, so konservativen wie an ihren Traditionen desinteressierten jüdischen Familie, der Vater ist cholerischer Despot, wie die Mutter trägt er einen schwarzen Gürtel in der Disziplin Manipulation. Kein Rückhalt also für Faina, bei der später eine bipolare Störung festgestellt wird und die in einer manischen Episode während eines Auslandssemesters in Israel nicht nur ihr Studium gegen die Wand fährt, sondern auch schwanger nach Berlin zurückkehrt, wo sie die Partnerin vor die Tür setzt. Die Rückkehr zu den Eltern misslingt dementsprechend: „Ich liege auf dem Ausklappsofa im sogenannten Gästezimmer meiner Eltern. Beinahe hätte ich das sogenannte vor Eltern statt vor Gästezimmer gestellt.“
Bleibt also Philipp als sogenannter Held und Retter, der nach dem als Unfall deklarierten Fenstersturz seiner Mutter das Geld aus deren Lebensversicherung an der Börse investierte und so zu angenehmem Wohlstand gekommen ist. Im Vergleich zur von ihm mit moderner Sterilität hergerichteten Wohnung ist dieser Kniff für die Figurenentwicklung zwar recht preiswert und ästhetisch fast heikel, dafür bleibt aber aus, die folgenden häuslichen Terrorszenen als reines Ergebnis von Armut zu deuten und damit zu vergessen, dass Gewalt an Frauen nicht aufhört, nur weil die Steuerklasse eine höhere ist.
Philipp also baut Faina ein Nest und lässt sich behördlich als Vater des Kindes, der er biologisch nicht ist, eintragen, um Faina als sein Anhängsel an sich zu binden. Sein frei von Impulskontrolle ausgeprägter Kontrollwahn hat seine Grenzen, die seiner Meinung nach auch Faina einzuhalten hat: Er zeigt, ohne den Begriff selbst anzuwenden, Züge von Asexualität, die sich bei ihm mit einer exaltierten Misogynie verquicken. „Philipp spürt, wie es ihn ekelt vor dieser Frau. Vor Frauen allgemein. Er muss an seine Exfreundin denken, wie nass sie da unten zwischen ihren Beinen wurde, wie sehr sie ihn anflehte, mit ihr zu ficken. Er schüttelt sich“, heißt es in einer der wenigen personal erzählten Passagen. Darin steht er komplementär zur bisexuellen und ihre Sexualität auslebenden Faina, von der die Presse am Ende weiß, sie sei „als Masseurin und in der Sexarbeit tätig gewesen“, ehe das passierte, was immer noch mit dem Fantasiewort „Beziehungsdrama“ beschönigt und verzerrt wird.
„‚Geordnete Verhältnisse‘ ist ein Roman mit dunkler Atmosphäre, sporadisch hässlich und gelegentlich lustig“, sagt die Autorin selbst auf dem YouTube-Kanal der Verlagsgruppe über ihr Buch. Ungeschönt ist er in jeglicher Hinsicht: Die frauenverachtenden Verhältnisse werden skandalisiert, die Sprache dabei ist weitgehend plauderhaft, oft ausgelatscht („Einmal, nach einem schlimmen Streit, bei dem er wieder mal die Hand gegen mich erhoben hat, habe ich ihm gesagt, dass es besser ist, wenn ich mir eine eigene Wohnung suche.“) und der so eingängige wie vorhersehbare Plot verrät, dass man hier vorauseilend denjenigen Arbeit abnehmen wollte, die den Roman für das Öffentlich-Rechtliche als Drehbuch adaptieren werden.
Lana Lux
Geordnete Verhältnisse
Verlag Hanser Berlin, 288 Seiten, 23 Euro