70 Jahre Putschversuch am 17. Juni 1953 in der DDR – Teil 3

Der „Tag X“

Am 17. Juni jährt sich zum 70. Mal der Putschversuch gegen den Aufbau des Sozialismus in der DDR. Von Anfang an wurde er in der Bundesrepublik als „Volksaufstand“ verklärt. Unser Autor Anton Latzo berichtet in einer Serie über die Hintergründe. Im zweiten Teil in der vorigen UZ-Ausgabe befasste er sich mit den Geschehnissen Mitte Juni 1953 in der DDR. Heute geht es um die systematische Vorbereitung der „Machtübernahme in der Sowjetzone“.

Im Kommuniqué des Politbüros der SED vom 9. Juni 1953 – also noch vor den Unruhen und Demonstrationen am 17. Juni – wurde festgestellt, dass „seitens der SED und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurden, die ihren Ausdruck in Verordnungen und Anordnungen gefunden haben, wie zum Beispiel die Verordnung über die Neuregelung der Lebensmittelversorgung, über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuererhebungen“. Es wurde empfohlen, dass „in nächster Zeit im Zusammenhang mit Korrekturen des Planes der Schwerindustrie eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden, die die begangenen Fehler korrigieren“. Auch für andere Bereiche wurden entsprechende Korrekturen eingeleitet. Sie sollten „der entschiedenen Verbesserung der Lebenshaltung aller Teile der Bevölkerung und der Stärkung der Rechtssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik dienen“.

Am 16. Juni 1953 erklärte die SED zur Normenfrage: „Das Politbüro hält es zugleich für völlig falsch, die Erhöhung der Arbeitsnormen in den Betrieben der volkseigenen Industrie um 10 Prozent auf administrativem Wege durchzuführen.“

Die Korrekturen wurden also schon vor dem 17. Juni vorgenommen. Dass es trotzdem zu Demonstrationen und Erscheinungen des Vandalismus kam, weist darauf hin, dass es Kräfte gab, deren Ziel nicht die Korrektur von Fehlern, sondern die Beseitigung des Sozialismus in der DDR und die „Befreiung“ der „Brüder und Schwestern in den Ostgebieten“ war, wie es Konrad Adenauer formuliert hatte.

Für die systematische Vorbereitung der Aktionen gegen die DDR wurde schon im März 1952 in Bonn ein sogenannter „Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands“ gebildet. Der Beirat erhielt die Aufgabe, „ein detailliertes Sofortprogramm für alle Überleitungsmaßnahmen im Falle der Machtübernahme in der Sowjetzone“ – den „Tag X“ – auszuarbeiten, so der „Spiegel“ am 8. Juli 1952.

Dazu gehörte eine intensive Agententätigkeit der westlichen Geheimdienste in Betrieben, staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen. Am 15. Januar 1953 wurde der damalige Außenminister der DDR, Georg Dertinger, wegen Spionagetätigkeit verhaftet. Die Bundesregierung und die Westmächte stützten sich auf das mitten in der DDR gelegene Westberlin. Dort bauten sie Dutzende von Spionage-, Sabotage- und Terrorgruppen auf, um sie in der DDR einzusetzen – Westberlin wurde „Frontstadt“.

Große Hoffnungen machten sich die Bundesregierung und die Westmächte nach dem Tod Josef Stalins im März 1953. Die Erwartung war, dass in der Führung der KPdSU Turbulenzen entstünden und diese politische und ideologische Auswirkungen hätten, die die sowjetische Führung zu einer „Preisgabe“ der DDR veranlassen würden.

Der Verlauf der Ereignisse vor dem und am 17. Juni 1953 zeigt, dass die Regierung der BRD eine feindselige Haltung gegenüber der DDR einnahm. Sie weigerte sich jahrzehntelang, das Recht der Bevölkerung der DDR auf einen eigenen Staat anzuerkennen. Der Kalte Krieg war wesentlich davon geprägt.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Der „Tag X“", UZ vom 16. Juni 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit