Nach dem Krieg geht es auch um ein Israel ohne Netanjahu

Der Tag danach

Drei Wochen lang herrschte Funkstille zwischen US-Präsident Joseph Biden und dem israelischen Ministerpräsidenten. Zu sehr hatte Benjamin Netanjahu immer wieder die Vorschläge und Forderungen der USA ignoriert. Schließlich telefonierten sie doch wieder miteinander und Biden glaubte nach dem Gespräch, Netanjahu werde einer Zweistaatenlösung zustimmen. Keineswegs. Dreimal innerhalb von 48 Stunden betonte Netanjahu, es werde keinen palästinensischen Staat geben – nicht, solange er Ministerpräsident sei.

Immer wieder nehmen ihn tausende Demonstranten in Tel Aviv und anderen israelischen Städten beim Wort, fordern Verhandlungen mit Hamas über die Rückkehr der Geiseln und Netanjahus Rücktritt. Und für die USA gewinnt der „Tag danach“ eine ganz andere Bedeutung. Es geht nicht mehr nur um den Tag nach dem endlichen Sieg über Hamas, sondern um den Tag nach dem Ende von Netanjahus Tätigkeit als Ministerpräsident.

Auf seiner Nahostreise besuchte US-Außenminister Antony Blinken zunächst arabische Hauptstädte, wo ihm vor dem Hintergrund einer massiven Protestwelle das Offensichtliche gesagt wurde: Es brauche eine Zweistaatenlösung. Für Israel weit über Netanjahu, Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir hinaus ein No-Go.

Auf die Frage eines Journalisten, ob Netanjahu der Richtige sei, um die Nachkriegsentwicklungen im Nahen Osten zu gestalten, äußerte sich Blinken bewusst unbestimmt. Das sei eine Frage, die die Israelis entscheiden müssten. Die USA helfen bei dieser Entscheidung. Blinken traf sich in Israel im Einzelgespräch mit Mitgliedern des Kriegskabinetts, Vertretern der Zivilgesellschaft und Politikern wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Jair Lapid, um die Möglichkeiten für eine Nachfolgeregierung auszuloten.

Benjamin Gantz, der ehemalige Oppositionspolitiker und jetzige Minister im Kriegskabinett, gehört zu den Favoriten. Für die westlichen Unterstützer Israels ist Gantz gerne gewählter Ansprechpartner – weit vor Netanjahu. Dabei gehört auch er zu den Hardlinern, mit denen Blinken schon „angespannte“ Gespräche hatte. So zu seiner Zeit als Verteidigungsminister, als Gantz den Siedlungsbau auf der Westbank vorantrieb.

Und die USA wollen die Politik und Zukunft Palästinas noch mehr bestimmen als die israelische. Biden betonte, es gebe eine Reihe von Möglichkeiten, wie eine Zweistaatenlösung aussehen könne und etliche Staaten, die Mitglieder der Vereinten Nationen seien, verfügten über kein Militär. Ein souveräner Staat Palästina gehört jedenfalls nicht zu den Modellen, die die US-Politik bevorzugt.

In Israel reichen mittlerweile die Stimmen, die Verhandlungen fordern, bis ins Kriegskabinett. Dort verlangt der frühere Generalstabschef Gadi Eizenkot einen realistischen Blick auf den Krieg. Die Opposition im Kriegskabinett, vor allem Gantz und Eizenkot, gewinnen an öffentlicher Unterstützung. Auf der anderen Seite steigen auch die Umfragewerte der Rechtsradikalen im israelischen Kabinett, Ben-Gvir und Smotrich. Gantz und Eizenkot stehen immer wieder vor der schwierigen Frage: Gewinnen sie an öffentlicher Unterstützung, wenn sie im Kabinett verbleiben? Oder würden sie mehr – oder weniger – gewinnen, wenn sie zum Sturz von Netanjahu beitragen?

Hamas zu zerstören und die Geiseln zu befreien, wie es Netanjahu einmal als Ziel des Krieges definierte, ist kaum beides zusammen möglich. Netanjahus Stärke ist, dass Israel, die USA und der Westen diesen Krieg in irgendeiner Form beenden müssen, die sie als Sieg darstellen können. So lange hat es keine Eile mit dem „Tag danach“. Auch wenn mittlerweile der Krieg immer mehr die gesamte Region bedroht.

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"Der Tag danach", UZ vom 26. Januar 2024



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