Paul Robeson setzte seinen Ruhm als Waffe im Kampf um Gleichberechtigung ein

Der streitbare Sänger des Friedens

Von Martin Schwander

„Entzücken erregten die zahlreichen internationalen Gäste“, schreibt der Korrespondent des Neuen Deutschland über das Eröffnungsprogramm des 3. ND-Pressefestes vom 19. Juni 1960 in Berlin, Hauptstadt der DDR. Es sei schwer zu entscheiden, wem der größere Beifall gegolten habe: dem Mongolischen Volksensemble, den „Los Inkas“ aus Südamerika oder Liedern aus Trinidad. „Aber ganz sicher, dass der größte, nicht enden wollende Beifall dem Mann galt, der überall dort zu finden ist, wo die Völker ihre Stimme gegen den Krieg erheben: dem Mann, dem man in der ganzen Welt mit der gleichen Liebe und Verehrung begegnet, in Berlin ebenso wie in New Yorks Negerviertel Harlem: Paul Robeson.“

Bereits einen Tag zuvor war der US-Amerikaner in Berlin eingetroffen und bei der offiziellen Eröffnung des Pressefestes stürmisch begrüßt worden. Eisenhower, so sagt ND-Chefredakteur Hermann Axen in seiner Eröffnungsrede, habe man in Japan die Tür gewiesen, aber dem Vertreter des amerikanischen Volkes, dem Demokraten und Friedenskämpfer Paul Robeson stünden die Herzen und Hirne aller Völker offen.

Es war nicht Paul Robesons erster Besuch in Berlin. Schon 26 Jahre zuvor, unter ganz andern Umständen, hatte er in der damaligen Reichshauptstadt Station gemacht. Als bereits weltberühmter Sänger und Schauspieler war der Afro-Amerikaner einer Einladung Sergej Eisensteins in die Sowjetunion gefolgt und musste von Genua her kommend in Berlin umsteigen. „Auf dem Bahnhof kam eine Frau und starrte mich an“, erzählt Robeson während des ND-Pressefestes. „Ich sah, wie sie davonzog und auf dem Bahnsteig auf drei Männer einsprach, die schwarze Uniformen trugen. Die sahen mich an, und was ihre Gesichter nicht verrieten, konnte man in den Augen lesen. Merkwürdig, erst wurde ich an die Schwarzhemden in Genua erinnert und dann an die Negerkiller in den Südstaaten. Es waren genau die gleichen Visagen. … Und da sie mich anstarrten, fiel mir auch ein Wort meines Bruders ein, der Pfarrer ist. ‚Wenn du mal gehen musst, Paul, dann nimm einen mit‘, hatte der einmal zu mir gesagt. Gut, dachte ich, und ich war damals nicht kleiner und nicht schmaler. Ich trat einen Schritt nach vorn, und sie konnten auch aus meinen Augen einiges lesen. Da wandten sie sich um und gingen …“

Robeson, am 9. April 1898 als Sohn eines entflohenen Sklaven geboren, war mit Rassismus und Lynchjustiz aufgewachsen – und dem Widerstand dagegen. Sein Vater hatte ihn gelehrt, dass er sich als Afroamerikaner mit 98 oder 99 Punkten nicht zufrieden geben darf, wenn es 100 zu erreichen gibt: Um sich durchzusetzen, musste er überall mit Höchstleistungen punkten.

So schwang er oben aus, in der Schule, im Studium, in der Leichtathletik, auf dem Baseballfeld und als Footballer, er wurde zweimal in die allamerikanische Footballmannschaft berufen, als erster und einziger Schwarzer überhaupt, war bester Absolvent einer weißen Universität, hätte also alle Voraussetzungen mitgebracht, seinen Weg zum „Vorzeigeschwarzen“ zu gehen, seinen ganz persönlichen American Dream zu verwirklichen.

Robeson war aber nicht zu verbiegen. Nach Abschluss seines Rechtsstudiums findet er zwar sofort Arbeit als Rechtskonsulent in einer angesehenen New-Yorker Anwaltskanzlei. Als sich dort jedoch eine weiße Sekretärin weigert, von ihm, einem „Nigger“, ein Gutachten in die Maschine zu tippen, verlässt er seinen Beruf, für den er alles gegeben, für den er nächtelang Teller gewaschen, Kohle geschleppt und die Mülleimer der reichen Weißen geleert hatte, und widmet sich fortan den Künsten. Robeson tritt der kleinen, verschworenen Theatergruppe um den Dramatiker und späteren Nobelpreisträger Eugene O‘Neill bei, spielt dessen „Emperor Jones“ und geht damit auf Tournee nach England und in das vorfaschistische Deutschland, zu Max Reinhardt. Er erhält Hauptrollen in ernsthaften europäischen Filmproduktionen, so zum Beispiel im avantgardistischen Stummfilm „Borderline“, den er 1930 an den Gestaden des Genfer Sees dreht, oder im walisischen Bergarbeiterdrama „Proud Valley“.

Mittlerweile hatten er und seine Freunde auch seine wunderbare Stimme entdeckt. Zwar wurde Robeson bei seinem ersten Auftritt auf dem Footballfeld die Nase gebrochen, was ihn sein Leben lang beim Singen behinderte, und als ungelernter Bass-Bariton hatte er nur begrenzte gesangliche Ausdrucksmöglichkeiten. Innerhalb seiner gesanglichen Möglichkeiten jedoch wurde Robeson unerreichbar. „Wenn er singt“, notiert eine englische Zeitung 1958, „hört man den unbefleckten Ausdruck des menschlichen Geistes“. Jerome Kern und Oscar Hammerstein schreiben ihm Ende der Zwanzigerjahre ein Lied auf den Leib, dem Robeson mit den Jahren neue Worte gibt, es von einem Klagelied in ein Kampflied umwandelt und das weltweit zu seine Visitenkarte, zu seiner gesanglichen Signatur wird: „Ol‘ Man River“.

Über 300 verschiedene Schallplatten werden schließlich von Robeson gepresst, Negro Spirituals, immer mehr aber auch Volkslieder in über 20 verschiedenen Sprachen, Lieder der Arbeitswelt, der „Undsoweiter und Etceteras“, Lieder für den Frieden, gegen den Faschismus. Denn war er auch zum bestbezahlten Künstler seine Zeit geworden, machte er als Othello in England und am Broadway Furore, versammelte er mit Leichtigkeit zu einem Konzert an die 200 000 Leute: Er konnte und wollte seine Wurzeln nicht vergessen und auch nicht, dass mit einem schwarzen Star, mit einem Farbigen, der „es geschafft“ hatte, sich am Los seiner Brüder und Schwestern in den USA, am Los der Unterdrückten in der ganzen Welt noch gar nichts verändern würde. Er setzte seinen Ruhm und seine Popularität ein als Waffe im Kampf für die Gleichberechtigung, bekämpfte mit seinen künstlerischen Mitteln und seinem rhetorischen Talent den Faschismus, sang für jüdische Flüchtlinge in England und für die Demokratie im republikanischen Spanien, für die Opfer der Lynchjustiz im eigenen Lande, für die Gefangenen der Apartheid, für die Befreiung der Kolonien, aber auch für die Emanzipation der Arbeitenden, welcher Hautfarbe auch immer. Die „Welt“ schreibt am 20. Juli 1958: „Seine Stimme, dieser mit dunklem Orgelton zarte und machtvolle Bass-Bariton, der die frommen Spirituals seiner schwarzen Ahnen, Revolutionsgesänge und schlichte Wiegenlieder zu unvergleichlicher Wirkung zu bringen vermag, hat Millionen Menschen jeder Hautfarbe aufhorchen lassen, hat sie bewegt und erschüttert.“

Nächtelange Gespräche in England mit George Bernhard Shaw, Kwame Nkrumah, Pandit Nehru und Jomo Kenyatta, aber auch die Erfahrung, dass die weißen Proletarier Großbritanniens nicht viel besser behandelt werden als die Schwarzen Amerikas und die Völker der Kolonien, nähren sein Interesse am Sozialismus, an der Arbeiterbewegung und an den Freiheitsbestrebungen der Dritten Welt. Er sei als Darling der Oberschicht nach Großbritannien gekommen und habe das Land als Partisan für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse verlassen, schreibt Robeson selbst. „Ich war dort mit walisischen Bergarbeitern in den Schächten, habe Eisenbahner besucht, Hafenarbeiter, Textilarbeiter. Ich habe mit ihnen ihren Kummer und ihre kleinen Triumphe geteilt, habe ihre Lieder gesungen und die Wärme ihrer Freundschaft und ihrer Großzügigkeit aufgesogen. Ich habe in diesen Jahren eine wichtige Lektion gelernt: die Probleme der Arbeitenden sind weltweit dieselben.“

1934 bereist er auf Einladung seines Freundes Sergej Eisenstein erstmals die Sowjetunion. Er habe sich dort zum ersten Mal in seinem Leben nicht als Schwarzer, sondern als Mensch gefühlt, bemerkt er später. Fortan bereicherten seine Konzertprogramme nun auch russische und sowjetische Lieder, was von einem breiten Publikum begeistert aufgenommen wurde: Es war die Zeit der Anti-Hitler-Koalition, und die UdSSR stand in den USA als Verbündete hoch im Kurs, bei der einfachen Bevölkerung zumal, die an Robesons Konzerten längst die sogenannte bessere Gesellschaft abgelöst hatte.

Robeson hält an seiner Zuneigung zum sowjetischen Vielvölkerstaat auch dann noch fest, als der Wind sich drehte und der Kalte Krieg den Westen politisch wie kulturell mit einer lähmenden Decke überzog. Und er hielt fest an seiner Überzeugung, dass die Zeit längst gekommen war, den Schwarzen und Farbigen Amerikas, den Völkern der Dritten Welt einen gleichberechtigten Platz in Geschichte, Gegenwart und Zukunft einzuräumen. Die USA fordert er auf der Pariser Weltfriedensversammlung von 1949 auf, ihre Armee nicht gegen den Osten aufzurüsten, sondern in Missouri, in Mississippi einzusetzen, wo der rassistische Terror wütete, und er meinte, wenn die Schwarzen schon zu den Waffen greifen müssen, dann würden sie diese nicht gegen ihre Brüder in Usbekistan, in Kirgisien oder Aserbaidschan richten, sondern gegen den Ku-Klux-Klan im eigenen Lande.

Robeson muss dafür hart büßen. Die Oberschicht, die ihm zugejubelt, die noch während des Weltkrieges jedem GI eine Robeson-Biografie in den Kampfanzug gesteckt hatte, sie ertrug diesen unbeugsamen, stolzen Schwarzen, der seinen Mund nicht halten konnte und der partout nicht einfach Geld scheffeln wollte, nicht mehr: „Big Paul“ wird vor den berüchtigten „Ausschuss gegen unamerikanische Aktivitäten“ zitiert, und als er auch dort sein Haupt nicht senken und sich nicht von seinen kommunistischen Freunden distanzieren will, wird er aus dem gesellschaftlichen Leben getilgt. Seine Filme werden verboten, seine Stimme aus dem Äther verbannt, seine Konzerte abgesagt und seine Platten aus den Regalen entfernt. Das US-Außenministerium erklärt ihn zum Staatsfeind Nr. 1 und entzieht ihm seinen Reisepass, ganze acht Jahre lang. „Die Kulturfeinde in Washington haben Angst vor dem größten Sänger unserer Zeit“, schreibt das ND am 2. August 1951. „Paul Robeson ist ein Künstler, der seine Kunst und seine ganze Tätigkeit in den Dienst seines Volkes und aller friedliebenden Völker gestellt hat. Die ganze Welt will diesen Sänger hören, der nicht nur von den Leiden der Unterdrückten singt, sondern auch mutig dafür kämpft, dass diese Leiden ein Ende nehmen.“

Der lautstarke Friedenskämpfer sollte zum Schweigen gebracht werden. „Man lässt uns nicht singen, mein Bruder“, schreibt der türkische Dichter Nazim Hikmet in seinem Gedicht „An Paul Robeson“. „Willkür und Dunkel verschließen den Mund uns mit schmutziger Hand.“ Doch auch in dieser dunklen Zeit verstummt Robesons Stimme nicht: Er singt an Straßenecken und in kleinen Kirchen, gibt Konzerte an der US-kanadischen Grenze, wo er von US-Boden aus ein 40 000-köpfiges Publikum auf der kanadischen Seite begeistert, bringt seine Lieder über Telefonleitungen in die St.-Pancras-Halle nach London und zu den Bergarbeitern nach Wales. Die Küche seines Bruders wird zum Tonstudio und er nimmt dort das Titellied zum Film „Lied der Ströme“ von Joris Ivens auf, zu welchem Schostakowitsch die Musik und Bertolt Brecht den Text geliefert hatten.

Ende der 50er Jahre erlangt Robeson seine Reisefreiheit zurück. Noch einmal wird er in England als Othello gefeiert und strömen Tausende von Menschen in ganz Europa an seine Konzerte. Nach dem Auftritt beim Pressefest des ND vom Juni 1960 gastiert er zum 11. Jahrestag der DDR ein weiteres Mal in Berlin und erhält aus den Händen von Walter Ulbricht den neu geschaffenen Orden „Stern der Völkerfreundschaft“. „Plötzlich bricht ein Beifallssturm los“, berichtet das „ND“ am 8. Oktober 1960 über das darauf folgende Konzert auf dem Marx-Engels-Platz. „Der mit Spannung Erwartete, der große Sänger, der große Friedenskämpfer aus Amerika Paul Robeson steht auf der Bühne. … Von Darbietung zu Darbietung steigert sich der Beifall, und als der beliebte und berühmte Gast schließlich ‚Old Man River‘ singt, geht ein Orkan los. Die Berliner springen von den Bänken. Väter und Mütter halten ihre Kinder in die Höhe. Und Paul Robeson winkt, klatscht, lacht, winkt wieder.“

1963, nach intensiven Konzert- und Theaterauftritten in Ost und West, kehrt ein erschöpfter Robeson, schwer krank und von tiefen Depressionen gejagt, in seine Heimat zurück, wo er, von den jungen Aktivisten der Black-Po­wer-Bewegung vergessen und von der US-amerikanischen Gesellschaft verdrängt, 1976 stirbt. Auf Robesons Grabstein wurden die Worte gesetzt, die er 1938, vor seiner Abreise nach Spanien, ausgesprochen hatte: „Der Künstler muss sich entscheiden, ob er für Freiheit oder für Sklaverei kämpfen will. Ich habe mich entschieden, für mich gab es keine Alternative.“

Im sozialistischen Teil Deutschlands blieb Paul Robeson unvergessen. Noch zu seinen Lebzeiten und mit seiner Billigung entstand bei der Berliner Akademie der Künste das umfangreichste Archiv über sein Leben und Werk, ein Paul-Robeson-Komitee sorgte bis zum Ende der DDR für Gedenktage und Symposien und 1990 feierte der abendfüllende DEFA-Dok-Film „I’am a Negro, I’m an American“ von Kurt Tetzlaff im Berliner Kino „International“ Premiere. Geblieben bis heute sind der Berliner Paul-Robeson-Chor, die Paul-Robeson-Straße im Prenzlauer Berg und die Paul-Robeson-Schule in Leipzig.

Unser Autor Martin Schwander ist Redakteur von „Unsere Welt“, der Zeitung der Schweizer Friedensbewegung

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"Der streitbare Sänger des Friedens", UZ vom 6. April 2018



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