China folgt einem Aufstiegsplan, der nach der ökonomischen Führung in der Welt auch die militärische Dominanz zumindest in der Region vorsieht.“ So fasste die „Süddeutsche Zeitung“ am 20./21. Februar zusammen, welche Rolle der VR China auf der diesjährigen Münchener „Sicherheitskonferenz“ zugeschrieben wurde.
Der VR China ist es nach der siegreichen Revolution 1949 durch die Politik der „Reformen und Öffnung“ seit 1979, durch die Niederschlagung der Konterrevolution 1989 und durch den konsequenten Aufbau des „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas gelungen, sich zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht direkt hinter den USA zu entwickeln. Und doch ist China nach wie vor ein Entwicklungsland und nach dem Human Development Index der UN von 2020 immer noch auf Platz 85 von 189. Dies mag überraschen angesichts der Industriestädte im Osten Chinas wie Schanghai, Peking oder Shenzen. Man darf aber dabei die Größe des Landes und seiner Bevölkerung nicht vergessen. Deng Xiaoping formulierte diesen Widerspruch vor Jahren so: „Alles wird viel, wenn man es mit einer Milliarde multipliziert, und alles wird wenig, wenn man es durch eine Milliarde dividiert.“ Der Faktor ist zwischenzeitlich 1,4 Milliarden.
Die Neue Seidenstraße
Für die friedliche Entwicklung Chinas ist der Jahrhundertplan der „Neuen Seidenstraße“ ein wichtiger Baustein. Zentrales Ziel ist, enger mit anderen Ländern zum gegenseitigen Nutzen Handel zu treiben. Dieses friedliche Entwicklungsangebot wird zunehmend zum Konkurrenzproblem für die hoch entwickelten westlichen Großmächte mit den USA an der Spitze. Insbesondere die USA sehen den zunehmenden weltweiten Einfluss Chinas als Bedrohung ihrer Vormachtstellung. Sie versuchen auf allen Ebenen den Einfluss der VR China mit ökonomischen Maßnahmen wie Zöllen und Sanktionen sowie politischen und militärischen Mitteln zurückzudrängen und China einzukreisen. Schon Barack Obama läutete mit seinem „Pivot to Asia“ (2011) einen Schwenk der Hauptinteressen der USA in Richtung pazifischer Raum ein. Die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestehende US-amerikanische Dominanz im Pazifik soll gegen Chinas zunehmenden Einfluss mit allen Mitteln aufrechterhalten werden. Henry Kissinger formulierte 2014 auf der Münchener „Sicherheitskonferenz“: „Die Lage in Asien ähnelt mehr und mehr der Europas im späten neunzehnten Jahrhundert und man kann einen bewaffneten Konflikt nicht ausschließen.“
In einem Strategiepapier der US-Regierung vom Dezember 2017 heißt es: „China und Russland fordern die amerikanische Macht, ihren Einfluss und ihre Interessen heraus und versuchen, Amerikas Sicherheit und Wohlstand zu untergraben (…) Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass die militärische Überlegenheit der USA weiterbesteht (…) Wir werden mit allen nationalen Machtmitteln sicherstellen, dass Regionen der Welt nicht von einer Macht dominiert werden.“ Außer eben der Macht der USA!
In den letzten Jahren wird von den USA, unterstützt von interessierten Kreisen des deutschen Imperialismus, die „Ein-China-Politik“, welche besagt, dass Hongkong, Macau und Taiwan zwar autonom, aber Teile der VR China sind, in Frage gestellt. Die angebliche Unterdrückung von Minderheiten (früher Tibet und aktuell Xinjiang mit „den“ Uiguren) wird scheinheilig vorgeschoben, um Stimmung gegen die VR China und ihre Kommunistische Partei zu machen. So soll die immer offenere Aggression gegen China gerechtfertigt werden.
Die Militärstrategie Chinas
Die 18.000 Kilometer lange pazifische Ostküste Chinas und die dort konzentrierten Häfen und Industriezentren sind die Achillesferse der chinesischen Sicherheitsinteressen. Daher gilt neben der Luftwaffe und den Raketeneinheiten die Marine als besonderer Schwerpunkt für die Modernisierung und Neustrukturierung der Volksbefreiungsarmee (VBA). Wir beziehen uns im Folgenden auf das offizielle „Weißbuch zur Militärstrategie Chinas 2015“ sowie auf die aktualisierte Version vom Juli 2019 („Chinas Landesverteidigung im neuen Zeitalter“), übersetzt aus dem Englischen und bearbeitet durch den ehemaligen Oberst der NVA Bernd Biedermann.
„Die internationale strategische Situation erfährt gegenwärtig grundlegende Veränderungen. Die heutige Welt ist gekennzeichnet von gravierenden Veränderungen, wie sie sich noch nie in einem Jahrhundert vollzogen haben. Die Welt ist im Umbruch. In dieser multipolaren Welt sind Frieden, Entwicklung und Kooperation unumkehrbare Trends der Zeit. Nichtsdestoweniger gibt es destabilisierende Faktoren und Unwägbarkeiten der internationalen Sicherheit. Der strategische Wettlauf hat sich verschärft. Die USA haben ihre Strategie geändert und führen eine unilaterale Politik durch, die erneut einen intensiven Wettbewerb zwischen den Hauptländern ausgelöst hat. Sie erhöhen ihre Verteidigungsausgaben, stärken ihr Kernwaffenpotenzial und bauen ein länderübergreifendes Stützpunkt- und Raketenabwehrsystem auf.“
Die historischen Erfahrungen Chinas
China ist eine große Nation, die stolz auf ihre vieltausendjährige Kultur zurückblickt. Dabei sind die letzten 150 Jahre geprägt von leidvoller Demütigung und Unterdrückung durch fremde Mächte. Mit den Opiumkriegen gegen das chinesische Kaiserreich, ausgelöst durch England, begannen Mitte des 19. Jahrhunderts die Erniedrigungen und Gebietsannexionen – etwa Hongkong, Tsingtau und Taiwan. China hatte der militärischen Überlegenheit der Imperialisten nichts entgegenzusetzen. Die Aufteilung Chinas gipfelte ab Anfang der 1930er Jahre in den Annexionen durch den japanischen Imperialismus, der unter anderem die Mandschurei besetzte. Japanische Truppen wüteten mit Mord, Vergewaltigung und Plünderung unter der chinesischen Zivilbevölkerung. Nach chinesischen Schätzungen kamen insgesamt 35 Millionen Chinesen in diesen Kriegsjahren ums Leben. Endgültig befreien von den imperialistischen Mächten konnte sich China erst 1949 mit dem Sieg der Volksbefreiungsarmee unter Mao Zedong über die Kuomintang unter Chiang Kai-shek und der Gründung der VR China. Die Reste der Kuomintang zogen sich unter dem Schutz der USA auf die Insel Taiwan zurück.
Niemals soll sich Ähnliches wiederholen können – dies ist der Hintergrund für Chinas heutigen Willen zur Verteidigung des Landes gegen jegliche Aggression der imperialistischen Metropolen.
Wo steht die VR China heute militärisch?
Nach dem Stockholmer Friedensinstitut SIPRI beliefen sich die Militärausgaben 2019 für die USA auf 732 Milliarden US-Dollar, für China auf eher hoch geschätzte 261 Milliarden US-Dollar. Das sind – bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt – im Falle der USA 3,4 Prozent, hinsichtlich Chinas nur 1,9 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung. Dabei muss berücksichtigt werden, dass China für eine effektive und robuste militärische Verteidigung seiner Sicherheitsinteressen im Vergleich zu den USA einen enormen Aufholbedarf hat. Daher wird die VBA kontinuierlich modernisiert und mit neuester Digitaltechnologie auch im Cyberspace ausgerüstet. Die VR China treibt mit ganzer Kraft die Entwicklung von Quantencomputern voran, da hierdurch digitale Programme nicht nur erheblich schneller, sondern auch unangreifbar werden.
Die US-Kriegsmarine ist in der Lage, alle internationalen Seewege und insbesondere die wichtigsten Meerengen auf der Welt zu kontrollieren. Die USA verfügen weltweit über 750 Militärstützpunkte. China hingegen hat einen Militärstützpunkt in Dschibuti am Horn von Afrika. „Die Wahrnehmung von Übersee-Interessen ist für China von großer Bedeutung (…) Um die Defizite zu überwinden, werden entsprechende militärische Kontingente gebildet und logistische Einrichtungen geschaffen. Im August 2017 wurde die chinesische Basis in Dschibuti in Dienst gestellt.“ 2019 hatte China mit 335 Kriegsschiffen im aktiven Dienst zwar weltweit die größte Marine, doch ist die US Navy mit 291 Einheiten, darunter elf Flugzeugträger-Verbände, bezüglich Technologie, Qualität und Kampfkraft weit überlegen.
Gegen die massive Präsenz der 7. US-Flotte unter anderem im Südchinesischen Meer wurden Luftwaffenstützpunkte eingerichtet, um die Möglichkeiten der Luftüberwachung und der Verteidigung gegen die zunehmend aggressiven maritimen Militärmanöver vor Chinas Küste zu verbessern. Dies ist eine sehr zurückhaltende Reaktion der VR China auf diese bedrohliche Entwicklung. Man stelle sich umgekehrt vor, China würde mit seinen Flottenverbänden im Golf von Mexiko oder vor San Francisco an der pazifischen Küste der USA in Dauerpräsenz operieren.
Die nukleare Abschreckung
Nach Angaben des SIPRI-Jahrbuchs 2020 verfügte China 2019 möglicherweise über vier atomgetriebene U-Boote mit je 12 atomaren Gefechtsköpfen sowie über Interkontinental- und Mittelstreckenraketen mit insgesamt 320 Atomsprengköpfen. China betont als einzige Atommacht immer wieder, niemals als erstes Land Atomwaffen einzusetzen und niemals einen anderen Staat damit zu bedrohen, der keine Atomwaffen besitzt. Nach SIPRI verfügen alleine die USA über 18-mal mehr Atomsprengköpfe als China, insgesamt 5.800.
Auch die Luftwaffe der VBA wird Schritt für Schritt durch neue Kampfjets mit Luftbetankung modernisiert. Schon 2016 wurde der 1.000. moderne Hubschrauber in Dienst gestellt und seit Anfang 2018 verfügt China über das moderne Kampfflugzeug Chengdu J-20. Daneben entwickelt es ein Drohnenprogramm als Ergänzung zur bemannten Luftwaffe. Zuletzt wurde einer der größten Militärtransporter weltweit, das Großraum-Transportflugzeug Y-20 Kunpeng, in Dienst gestellt. Damit ist China neben den USA und Russland die dritte Nation, die über die Fähigkeit zum Bau solcher Großflugzeuge verfügt. Gleichzeitig entwickelte die chinesische Aviation Industry Corporation mit der AG- 600 das größte Wasserflugzeug der Welt, das unter militärischen Gesichtspunkten die Verbindung zu abgelegenen Inseln im Südchinesischen Meer ohne Landebahn herstellen kann. Auf besondere Aufmerksamkeit stieß im Dezember 2020 die erstmalige Vorstellung des ersten chinesischen „Tarnkappenbombers“ H-20, der eine Reichweite von rund 8.500 Kilometern hat.
Die gegen eine Militarisierung des Weltraums gerichteten Bemühungen Chinas und Russlands in den UN scheiterten am Widerstand der führenden NATO-Länder. Daher steht im Weißbuch 2019: „China wird in der Dynamik im Weltraum mithalten, sich den Bedrohungen und Veränderungen auf diesem Gebiet stellen, um den Zugang zum All zur Sicherung der ökonomischen und sozialen Entwicklung zu gewährleisten und die Weltraumsicherheit zu bewahren.“
Für friedliche Koexistenz
Die USA im Verbund mit Japan, Südkorea, den Philippinen, Australien und auch der EU versuchen China ökonomisch und politisch zu schaden.
Die VR China steht dabei einem militärisch überlegenen Gegner gegenüber. China verteidigt seine unmittelbaren nationalen Sicherheitsinteressen gegenüber den imperialistischen Aggressoren mit den USA an der Spitze. Die Stärke des chinesischen Staates besteht dabei in seiner breiten Verankerung in der chinesischen Nation, der breit aufgestellten und durch die historischen Erfahrungen gestählten Kommunistischen Partei, seiner ökonomischen und wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie den zunehmend modernen Verteidigungsstreitkräften der VBA. Weiterhin nutzt die Führung der VR China sehr geschickt die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten aus, um keinem geschlossenen Block der Imperialisten gegenüberzustehen. Auch wenn die Hauptkriegsgefahr von den USA ausgeht, wird in China für die nächste Zeit nicht unmittelbar mit einem Krieg gerechnet.
Die Außenpolitik Chinas beruht auf den fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz, die zum Ziel haben, eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ aufzubauen. Xi Jinping erläuterte diese Außenpolitik auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas:
„Kein Land kann im nationalen Alleingang die verschiedenartigsten Herausforderungen der Menschheit meistern und sich auf die Insel der Selbstisolation zurückziehen. Wir appellieren an alle Völker, mit geeinten Kräften eine Schicksalsgemeinschaft der Menschheit zu gestalten und eine Welt aufzubauen, die durch dauerhaften Frieden, allgemeine Sicherheit, gemeinsame Prosperität sowie Offenheit und Inklusion gekennzeichnet, sauber und schön ist (…) China wird sich keinesfalls auf Kosten der Interessen anderer Staaten entwickeln, es wird umgekehrt auch nie auf seine legitimen Rechte und Interessen verzichten, niemand sollte also erwarten, dass China die bittere Pille des Verlusts seiner eigenen Interessen schlucken würde. China verfolgt eine defensive Landesverteidigungspolitik. Chinas Entwicklung bedroht kein Land. Gleichgültig, wie weit sich China auch immer entwickelt hat, es wird niemals nach Hegemonie und Expansion streben.“