Seit einigen Wochen dominiert ein durchdringendes Dröhnen die sonst beschauliche Binzer Bucht vor Rügen. „Der Strand vibriert, die Geräuschkulisse ist erschreckend“, beschreibt eine Inselbewohnerin im „Deutschlandfunk Kultur“ die aktuelle Situation. Ursache des Geräuschs, das sich je nach Windrichtung noch in kilometerweiter Entfernung nicht überhören lässt, sind die rund um die Uhr laufenden Dieselaggregate der „Energos Power“. Das 300 Meter lange Spezialschiff legte Ende Februar am Hafen Mukran an. Im Grunde handelt es sich um eine schwimmende Raffinerie, die das von Tankern angelieferte verflüssigte Erdgas (LNG) in seinen gasförmigen Zustand umwandelt und anschließend über eine Pipeline ins Netz einspeist. Die Ampel-Koalition hatte die Ankunft des Schiffes im Zuge des Wirtschaftskriegs gegen Russland mit dem sogenannten LNG-Beschleunigungsgesetz vorbereitet: Übliche Planungsschritte wurden ignoriert, Umweltschutzprüfungen ausgesetzt, die Bevölkerung übergangen.
Entsprechend unbeliebt ist das Vorhaben auf der Insel, die abhängig ist vom Tourismus, von der Attraktivität der Seebäder und von einer intakten Natur. Die „Energos Power“ fuhr ohne das verpflichtende Ortungs- und Identifikationssignal AIS (Automatic Identification System) nach Rügen. Wie die „Ostsee-Zeitung“ (OZ) berichtete, geschah das „vermutlich um wenig Aufmerksamkeit bei Gegnern des umstrittenen Projektes zu erregen“. Für den Fall der Fälle waren jedoch mehrere Polizeischiffe und Schlauchboote im Einsatz. Ob es eine Genehmigung für die „Geisterfahrt“ ohne Signal gab, war laut OZ unklar.
Wenn nicht, würde es aber auch nicht verwundern. Denn für die Errichtung des LNG-Terminals wurden zahlreiche rechtliche Normen missachtet. Begleitet wurde dies von einer Kampagne zur Irreführung der Betroffenen. Der Standort Mukran war im ursprünglichen LNG-Beschleunigungsgesetz nicht vorgesehen, die Auseinandersetzungen konzentrierten sich deshalb zunächst auf andere Orte. Erst nachträglich kam Mukran in das Gesetz – und zwar für gleich zwei Terminalschiffe. Es folgte eine Petition an den Bundestag, die von mehr als 60.000 Menschen unterzeichnet wurde. Darin hieß es, dass Rügen „nicht in das LNG-Beschleunigungsgesetz aufgenommen werden“ solle. Im September vergangenen Jahres kam der Petitionsausschuss des Bundestages dann zu einem „Ortstermin“. Doch Gegner des Terminals trafen die Abgeordneten nicht. Stattdessen diskutierten sie die Pläne mit Vertretern der Deutschen Regas, die das Terminal betreibt. Carsten Schneider, der Bürgermeister der Gemeinde Binz, sprach in Bezug auf die Ausschussreise von einer „Werbeveranstaltung pro Terminal“.
Davon haben er und die Einwohner seiner Stadt schon genug erlebt. Denn von kommunaler Selbstverwaltung wollten Bund und Land nichts mehr wissen. Das bekam Bürgermeister Schneider auch selbst zu spüren. Im Interview mit der „Berliner Zeitung“ erzählte er, wie mit ihm und seiner LNG-kritischen Stadtverwaltung umgegangen wird. Mehr als elf Jahre habe es in seinem Rathaus keine Kontrollen übergeordneter Behörden gegeben, „seit LNG fast jede Woche“. Kontrolliert würden Formalitäten, etwa Satzungen oder Datenschutz. Die Kommunalaufsicht interessiert sich außerdem intensiv dafür, wie die Gemeinde Binz ihre Gegenwehr gegen das Terminal finanziert. „Ein Vierteljahr lang wurden wir außerdem unter Druck gesetzt, zu rechtfertigen, wo wir das Geld für so eine Kampagne herbekommen“, so Schneider. Neben der Peitsche gab es auch Zuckerbrot, um die aufmüpfigen Insulaner zum Schweigen zu bringen: „Man hat es versucht, mit einer schnelleren Bahnverbindung von Berlin nach Rügen, mit neuen Radwegen, einer Außenstelle einer Universität.“
Davon lässt sich der Bürgermeister jedoch nicht beeindrucken. Noch gibt es keine Betriebsgenehmigung für das Terminal, das Schiff läuft im Probebetrieb. Sobald diese vorliegt, will Schneider klagen und rechnet sich gute Chancen aus. Auch Bürgerinitiativen und Umweltverbände bereiten sich auf die Auseinandersetzung vor. Sie alle wollen dafür sorgen, dass der Strand wieder aufhört zu zittern, damit das empfindliche Biotop und die Region überleben.