Selma Schacht ist Betriebsratsvorsitzende und Arbeiterkammer-Rätin für KOMintern in Wien
Seit Januar „tourt“ sie durch Österreich: Die Wahl zur Arbeiterkammer (AK) als die gesetzliche Interessenvertretung für alle Lohnabhängigen (außer jene im öffentlichen Dienst), die ungeachtet ihrer Nationalität wahlberechtigt sind. Ab 20. März ist Wien und Niederösterreich dran, den Abschluss macht kurz darauf die Steiermark. Bis jetzt ist eine Tendenz erkennbar: Die jeweils „regierende“ Mehrheitsfraktion verliert leicht – in den zwei westlichsten Bundesländern traditionell die Christlichen Gewerkschafter, in den anderen die Sozialdemokraten. Im Gegenzug haben die jeweils anderen Oppositionsfraktionen etwas dazugewonnen.
Die AK ist einerseits wichtiger „Thinktank“ der gewerkschaftlichen Bewegung mit einem großen Apparat an Expertinnen und Experten, hat die Möglichkeit, Gesetzestexte vor Beschlussfassung zu begutachten und schickt Vertreterinnen und Vertreter in die Selbstverwaltungsgremien in der Sozialversicherung. Doch nicht die unmissverständliche und kompromisslose Vertretung der Interessen der Arbeitenden steht dadurch für alle Vorstandsfraktionen, von rosa über schwarz bis zu grün, im Vordergrund, sondern der Erhalt der Sozialpartnerschaft. In der Selbstdefinition der AK liest sich das so: „Was ist die Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft? Die Zusammenarbeit der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite untereinander und mit der Regierung. Dabei geht es nicht nur um die Verhandlungen über Kollektivverträge, sondern um alle Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, z. B. Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen etc. Wie der Name „-partnerschaft“ andeutet, geht es dabei um eine friedfertige Auseinandersetzung: Interessenskonflikte sollen vor allem am Verhandlungstisch gelöst werden. Kampfmaßnahmen wie Streiks oder Aussperrungen sind immer das letzte Mittel.“
Auch auf europäischer Ebene wird daran festgehalten: Bereits drei Jahre vor dem Beitritt Österreichs zur EG eröffnete die AK ein Büro in Brüssel und ist, analog zur Politik der SPÖ, eine der emsigsten Verfechterinnen von EU und Euroregime sowie einer europäischen „Sozialpartnerschaft light“. Verleugnet wird dabei der Charakter der EU als das imperialistische, neoliberal verfasste Europa der Banken, Konzerne und ihrer Kriegspolitik.
Die vorherrschende, naive gewerkschaftliche Sichtweise einer gesellschaftspolitisch neutralen Währungsunion verkennt die strukturellen Zwänge, die vom Euro ausgehen. Die wirtschaftspolitischen Regulierungsinstrumente und makroökonomischen Anpassungen im Euroraum und in Österreich verlagern sich vorrangig auf die Lohnpolitik und jene Politikbereiche, die die Lohnpolitik mittelbar beeinflussen, allem voran die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Wenn heute in der EU allerorten Lohnflexibilität und Lohnsenkungen eingefordert werden, ist das nicht zuletzt eine direkte Folge des Euro und seiner Konstruktion.
Nicht zufällig beanspruchte und sicherte sich die EU-Kommission mit Ausbruch der Krise denn auch einen immer stärkeren Einfluss auf die Lohnpolitik der Mitgliedsstaaten. Nach ihren brachialen – bis zur Zerschlagung der Tarifvertragssysteme gehenden – Interventionen in die Lohnpolitik der südeuropäischen „Krisenländer“ Griechenland, Portugal und Spanien, aber auch jener in Irland, Rumänien oder Italien, nahm sie mit ihrem „Entwurf zur Reform der Eurozone“ zwischenzeitlich die Tarifautonomie auf EU-Gesamtebene ins Visier. Dem bereits seit Jahren beharrlich verfolgten Unterfangen der EU-Kommission, die Lohnverhandlungen zu „dezentralisieren“, also von den Branchen-Kollektivverträgen stärker auf die Betriebsebene zu verlagern, wäre damit zunehmend schwerer Einhalt zu gebieten. Couragiertere gewerkschaftliche Forderungsprogramme sowie ihre zur Durchsetzung einhergehender Kampfmaßnahmen würden schon im Ansatz delegitimiert.
Darin liegt: Ohne konsequente Klassenkämpfe und eine scharfe Konfrontation – auch in den Vollversammlungen der AK, welche KOMintern (ein kämpferisch-internationalistischer Zusammenschluss und gewerkschaftliches Kampfbündnis von Werktätigen, BetriebsrätInnen, Arbeitslosen und gewerkschaftspolitischen AktivistInnen) dafür nutzt – beziehungsweise Bruch mit der EU, ihren Institutionen und dem Euro-Regime gibt es keine Möglichkeit der Durchsetzung einer grundlegenden gesellschaftlichen Wende.