Der Sozi macht‘s

Lars Mörking über Jeremy Corbyn

In Britannien mangelt es an bezahlbarem Wohnraum, an Personal im Gesundheitswesen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse weiten sich auf immer weiter aus und die britische Bahn kommt immer zu spät und ist zu teuer, seit sie privatisiert wurde. Die britische Bevölkerung hat drängende Probleme, die unseren sehr ähneln. Es gibt nur einen kleinen, aber feinen Unterschied: Sie haben als Chef der Labour-Partei einen Sozialdemokraten, der diese Probleme benennt. Dieser Sozialdemokrat heißt Jeremy Corbyn.

Auch in der Debatte um den Brexit hat Corbyn immer wieder soziale Themen eingebracht. Mit seiner linken Brexit-Rhetorik hat er es sogar geschafft, rechten Parteien wie UKIP das Wasser abzugraben. Er vertrat die Auffassung, dass es Neuwahlen – und eines Richtungswechsels – bedürfe und nicht etwa eines zweiten Referendums. Damit kam er nicht durch. Obwohl Premierministerin Theresa May eine wichtige Parlamentsabstimmung nach der anderen verlor und eigentlich gar nicht mehr klar war, über was sie mit wem in Brüssel eigentlich noch verhandeln soll, haben Medien und Kapital an ihr festgehalten – nicht wegen ihr, sondern aus Angst vor dem Sozialdemokraten Jeremy Corbyn. Es wurde versucht, ihn mit einer Medienkampagne zu disziplinieren, ihn wiederholt als Antisemiten darzustellen und die Corbyn-Kritiker aus den eigenen Reihen in Stellung zu bringen. Zuletzt verließen ein paar Abtrünnige die Labour-Fraktion im Unterhaus und Umfragen sollten belegen, dass 72 Prozent der Labour-Mitglieder für ein zweites Referendum seien.

Jetzt knickt Corbyn ein. Zu einem Zeitpunkt, wo der Brexit nur noch einen Monat entfernt sein sollte, spricht Corbyn sich für ein zweites Referendum aus – und May für eine Verschiebung des EU-Austritts. Das Gespenst eines „harten“ Brexits, ohne ein Abkommen mit der EU, geistert seit Monaten durch die Presse. May hat den Karren vor die Wand gefahren, heißt es. Corbyn könnte – in guter Tradition der Sozialdemokraten – zu dem werden, was Alexis Tsipras für die EU und Griechenland war: Ein schillernder Hoffnungsträger in höchster Not, der einerseits die Aufgabe hat, zwischen den Kapitalfraktionen zu vermitteln und andererseits – und das ist seine eigentliche Aufgabe – dem Volk wieder einmal in Erinnerung ruft, dass die Durchsetzung der Kapitalinteressen alternativlos ist.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Der Sozi macht‘s", UZ vom 1. März 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit