Das Harlem Cultural Festival 1969

Der Sound der Freiheit

Woodstock kennt jeder. Aber schon mal was vom Harlem Cultural Festival 1969 gehört? Das Festival, dass nur elf Tage nach Woodstock startete und an sechs Sonntagen im Juli und August 1969 im Mount Morris Park (dem heutigen Marcus Garvey Park) im New Yorker Stadtteil Harlem stattfand, wurde dem Vergessen überlassen. Bis heute.

Der Musiker Ahmir „Questlove“ Thompson hat aus dem Filmmaterial über das Festival nun die Dokumentation „Summer of Soul (… or when the revolution could not be televised)“ gemacht. Und das Originalmaterial, das jahrelang in einem Keller verstaubte, so mit Interviews und Kommentaren von heute kombiniert, dass schnell klar wird: Das Harlem Cultural Festival war mehr als ein Musikereignis.

Da ruft und singt zum Beispiel Nina Simone in die Menge: „Are you ready, black people?“ und Gladys Knight sagt rückblickend: „Wir wollten Fortschritt. Wir sind schwarze Menschen und wir sollten darauf stolz sein.“ Der Schlagzeuger Max Roach trat mit der Sängerin Abbey Lincoln auf und interpretierte John Coltranes „Africa“. Der Sohn von Max Roach, Raoul Roach, kommentiert heute: „Mein Vater und Abbey sahen den Kampf für die Bürgerrechte nicht nur als eine amerikanische Angelegenheit, sie sahen die Kämpfe in der Karibik, in Südamerika und in Afrika als Teil eines gemeinsamen Kampfes.“ Zu den weiteren Protagonisten des Films über das Harlem Cultural Festival gehören B. B. King, David Ruffin, die Chambers Bro-thers, Mongo Santamaría, die Edwin Hawkins Singers und ein neunzehnjähriger Stevie Wonder. Sly and the Family Stone, der einzige Act, der auch in Woodstock auftrat, sind mit ihrem antirassistischen „Everyday People“ dabei. Während Mahalia Jackson und Mavis Staples sich zusammentun, um den Gospel „Take my hand, precious Lord“ zu singen, erzählt Reverend Jesse Jackson von dem Tag in Memphis, als Dr. Martin Luther King ermordet wurde. Kurz zuvor sagte King, dass dieses Lied zu seinen liebsten gehört. Die Menge weint. Aber sie feiert sie auch, ihre toten Helden und Vorkämpfer, von Malcom X bis Martin Luther King. Geschützt wird das Festival durch die Black Panther Party.

Der Regisseur Hal Tulchin filmte damals die Konzerte. Ein Feature von zwei Stunden lief in einem New-Yorker TV-Kanal, danach hieß es, es gebe kein Interesse an einem „schwarzen Woodstock“. Der Drehbuchautor und Produzent Robert Fyvolent hörte von den unveröffentlichten Aufnahmen und sicherte sich die Rechte daran. Questlove Thompson machte daraus in seinem Regiedebüt halb Musikfilm, teils historische Dokumentation und erzählt anhand der auftretenden Künstlerinnen und Künstler nicht nur von dem Wunsch nach einem revolutionären Aufbruch in eine Zeit jenseits von Rassismus und Unterdrückung, sondern auch schwarze Musikgeschichte von Latin bis Jazz. Bisher blieb das Kapital des Harlem Cultural Festivals unerzählt. Die Geschichtsbücher werden von den Herrschenden geschrieben. Das gilt auch für die Bücher der Musikgeschichte.

Der Untertitel des Films „… or when the revolution could not be televised“ (oder als die Revolution nicht im Fernsehen übertragen werden konnte) ist eine Anspielung auf Gil Scott-Herons „The revolution will not be televised“. Das Original ist da näher an der Wahrheit. The revolution will not be televised. The revolution will be no re-run, brothers. The revolution will be live.

Summer of Soul (… or when the revolution could not be televised)
Regie: Ahmir „Questlove“ Thompson
Mit: Stevie Wonder, Nina Simone, Sly & The Family Stone, Gladys Knight & The Pips, Mahalia Jackson, B. B. King, The 5th Dimension und vielen mehr
Streambar bei Disney+

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"Der Sound der Freiheit", UZ vom 13. August 2021



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