Klaus Gietinger und Winfried Wolf: Der Seelentröster. Wie Christopher Clark die Deutschen von der Schuld am I. Weltkrieg erlöst
Schmetterling Verlag, Stuttgart 2017
ISBN 3–89657-476–0, 19,80 Euro
Im Jahr 2013 erschien das Buch „Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ des in Großbritannien lehrenden australischen Historikers Christopher Clark in deutscher Übersetzung (Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013). Der Inhalt dieses in der Öffentlichkeit viel beachteten Buches ist einfach: Das Deutsche Kaiserreich trägt keine besondere Verantwortung am Beginn des Ersten Weltkrieges. Vielmehr seien alle Beteiligten eben wie Schlafwandler in diesen Krieg hineingeschlittert. So war nach Clark der „Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen“. Somit knüpft Clark an die gängige Geschichtsdeutung vor 1960 zu diesem Thema an. In eben diesem Jahr belegte der Historiker Fritz Fischer in seinem Werk „Griff nach der Weltmacht“ umfangreich, dass gerade das Deutsche Kaiserreich (und auch dessen Verbündeter Österreich-Ungarn) mit ihrer besonders aggressiven Außenpolitik den Weltkrieg vom Zaun brach, um die Neuaufteilung der Welt zu erreichen.
An diese Position Fischers knüpft das vor kurzem im Schmetterling Verlag erschienene Buch von Klaus Gietinger und Winfried Wolf an. In dem treffend auf Clarks Bestseller gemünzte „Der Seelentröster. Wie Christopher Clark die Deutschen von der Schuld am 1. Weltkrieg erlöste“ betitelte Werk, unterziehen die Autoren dessen Thesen einer umfangreichen Kritik. Sie weisen nach, dass sich Clark nicht auf neu zugängliche Quellen stützt, sondern im Gegenteil, einige von Fritz Fischer seinerzeit neu erschlossenen Quellen außer Acht lässt. Detailliert zeigen die Autoren so auf, dass Clark somit die Verantwortung Deutschlands am Beginn des Weltkriegs herunterspielt und mindestens zu gleichen Teilen den Mächten der Entente zuschiebt. Indirekt werden durch diese Darstellung auch deutsche Revanchegelüste nach dem Versailler Frieden gerechtfertigt, was wieder zeigt, dass der auf Clark anspielende Titel gut gewählt ist.
Im Besonderen neigt Clark dazu, den serbischen Nationalismus sowie Russland als besonders expansiv und gewalttätig darzustellen. Gerade hier zeigt sich auch die Stärke der Arbeit Gietingers und Wolfs: Es wird vorzüglich erklärt, warum Clarks revisionistischer Vorstoß medial in großem Format positiv begleitet wurde. Zum einen, weil er die Vorstellung verbreitet, dass militärische und besonders eskalierende Außenpolitik zur Normalität gehören sollen. Insbesondere für eine Macht wie Deutschland. So werden implizit die derzeitigen Kriege der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt. Zum anderen werden auch die aktuellen Feindbilder eben solcher Kriege bedient: Der serbische Nationalismus (als groß inszeniertes Schreckgespenst im Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren) und selbstverständlich Russland, an dessen Westgrenze heute erneut deutsche Soldaten stationiert sind.
Das Buch „Der Seelentröster“ besticht aus zwei Gründen: Es ist eine Arbeit, die sehr detailliert die Vorgeschichte und den Beginn des Ersten Weltkriegs schildert. Und außerdem entlarvt es revisionistische Geschichtsschreiber wie Clark als die Kriegspropagandisten, die sie sind. Denn imperialistische Kriege fallen nicht vom Himmel oder brechen aus, weil Staatsoberhäupter und Regierungschefs schlafwandelnd Politik betreiben. Sie sind Teil und Folgen des kapitalistischen Systems.