Bela Bs „Scharnow“ ist kein guter Debütroman, aber ein ganz gutes Soloalbum

Der Schriftschläger

Von Ken Merten

Bela B Felsenheimer

Scharnow

Heyne Verlag

München 2019

416 Seiten, 20 Euro

(eBook: 15,99 Euro)

Die Welt ist einfach und jeder und jede hat Platz und Aufgabe: Schlagzeuger sind da, um Schläge zu erzeugen oder um Zeug zu schlagen – je nachdem wie gut das dann klingt – und Schriftsteller, die stellen halt Schrift. Verwirrt man das Ganze, dann passiert es eben, dass Schlagzeuger Schrift schlagen.

So ähnlich schon oft geschehen, im akuten Fall ist es gerade Bela B Felsenheimer, 56 Jahre alt und ein Drittel der überlagerten Punkband „Die Ärzte“. Ganz zufällig erschien Bela Bs Debütroman „Scharnow“ im Fahrwasser jenes Hypes, den seine Band entfachte, indem sie nach langem Ankündigen nicht etwa ihren Abschied von der Bühne verkündete, sondern mit dem Song „Abschied“ versuchte, den Soundtrack zur „Fridays-for-Future“-Bewegung zu lancieren.

Ein gutes Klima, um auf sich und sein 400-seitges Buch aufmerksam zu machen, dachten sich da wohl Verlag und (na ja) Autor, der ja auch irgendwie Schauspieler ist (die Schau spielt er unter anderem als „bleicher Mann“ in der österreichischen Krimiserie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“).

Das Buch erfüllt bestimmte Erwartungen und ist kein gutes, wie soll es auch? Es wurde ja entgegen aller Naturgesetze geschrieben. Weswegen es schlicht unsinnig wäre, „Scharnow“ als Roman zu besprechen und hier eine Blütenlese zu veranstalten, die hinkende Sprache auszustellen, die grausamen Dialoge und einen verschachtelten Plot, der nur mit viel Gewalt so eben zusammenhält. Betrachten wir es als das, was ein Musiker produziert, und gehen an „Scharnow“ heran, als wäre es ein Musikalbum:

Nur scheinbar verbirgt sich dahinter ein Konzeptalbum. Der Titel suggeriert zwar, dass es eine einzige Verortung gibt, Scharnow, ein Kaff kurz außerhalb des Speckgürtels um Berlin. Dabei kommt jeder Song aus einer Parallelwelt: Die des antigroßbourgeoisen Prologs aus dem Kämmerlein des schmierigen Literaturbloggers Wassmann, der einen hochsensiblen Gaumen hat und von einem satanischen Buch zuerst beim Wichsen gestört und dann mit Papierseiten erstickt wird.

Oder der (sicher ungewollte) Versuch, mit dem sterbenskranken Superhelden Trotsky einen Griff zurück in die Geschichte (genauer: die Geschichte der Sowjetunion der 1930er) zu machen, so jedenfalls lässt sich diese Strophe leicht interpretieren: „Es machte Trotsky keinen Spaß, mit rechten Verschwörungstheoretikern zusammenzuarbeiten. Aber wenn diesen Deppen tatsächlich ein erfolgreiches Attentat gelang, würde das die Weltenlenker mal so richtig aufschrecken. Und die Drecksarbeit hätten andere für ihn übernommen. Wunderbar.“

Den Bezug zu den „Weltenlenkern“ findet Bela B hier in seinem Soloprojekt ganz „Ärzte“-typisch über kindischen Klamauk, denn die Bande der Verschwörungsspinner ist bei ihren Anschlägen Haustieren hinterher, die eine Verbindung zu Haustieren der Mächtigen haben, dem Bruder des Familienhundes der Obamas etwa oder der Ex-Katze Gregor Gysis. Auch das mag in Scharnow passieren, verhandelt aber Konflikte aus einer Welt der Science Fiction.

Zärtlich werden Bela Bs Töne dann bei der Liebes-Ballade, der Beschreibung zwischen dem syrischen Geflüchteten Hamid und dem frischen Youtube-Star und Manga-Girl Nami. Hängengeblieben ist der schmalzig-schöne Refrain: „Mit diesem Mädchen könnte er weinen, und es würde sich wundervoll anfühlen.“

Gröber wird das Album „Scharnow“, wenn es um die nicht nur platonische Männerliebe des „Paktes“ geht, eines Quartetts von Säufern und Gore-Horror-Fans, die lieber die Küche zumauern, als sie aufzuräumen, und lieber den Supermarkt nackt und mit Bratenspieß überfallen, als vorher wieder auszunüchtern.

Leider machen sich die Intermezzi sehr überflüssig, vor allem die Origin-Geschichte des Supermanns Trotsky, dem als Kind auf fantastische Weise die Kräfte verliehen wurden, nachdem er auf Klassenfahrt im Gerangel den pädophilen Schulleiter messert, damit der nachts die Finger von ihm lässt.

Alles in allem sollte man „Scharnow“ nicht lesen, aber vielleicht kann man es ganz gut hören. Der Verlag hat parallel auch schon das Hörbuch mit Bela Bs Erzählstimme herausgebracht.

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"Der Schriftschläger", UZ vom 12. April 2019



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