Esther Kinskys Erdbebenroman „Rombo“ ist ein brüchiges Unternehmen

Der Schrecken, auf dem wir leben

Man nehme den Rahmen eines Bildes und rahme den Rahmen ein, als Bild selbst. Das ist Nature Writing für die Literatur. Alles, was die Handlung mit biologischer Welt eigentlich ausschmücken soll, rückt in die Mitte. Photosynthesebetreibendes ragt nicht mehr nur vom Rand herein oder wächst im Hintergrund vor sich hin. Das Naturschöne gerät zum Wesentlichen des Werks.

Naturschönes aber – da sind sie sich von Aristoteles bis Peter Hacks alle recht einig – ist an sich ein Etikettenschwindel: Natur erhält nur da ästhetischen Wert, wo ihn der Mensch hineinliest; und er liest ihn ab von den Verhältnissen, in denen er lebt, von denen er weg-, zu denen er hinwill. Naturschönes also ist eigentlich Gesellschaftsschönes, nur in der Pampa.
Die Pampa ist wichtig für jene literarische Mode als Krisensymptom: Die Natur ist nicht nur bedroht, sie ist auch Refugium. Will man es ganz reaktionär, dann soll sie die Antworten auf gesellschaftliche Phänomene liefern.

Esther Kinsky, im deutschsprachigen Raum die populärste Romanautorin des Nature Writing, hat ihr neues Buch „Rombo“ vorgelegt. Rombo, das ist das unheilvolle Geräusch, das einem Erdbeben vorausgeht. Im Nordosten Italiens, Friaul-Julisch Venetien, kündigt im Jahr 1976 solches Geräusch gleich zweimal, zum Ein- und Ausgang des Sommers, schwere Erdbeben an, die Häuser zum Einsturz bringen, Mensch und Tier verschütten, ganze Dörfer vernichten. Denn der Rombo ist kein Warnschuss, er geht der Katastrophe kakophon voraus. Man hört den Rombo und weiß, es ist zu spät.

„Was ist ein Erdbeben?“, heißt es im Roman, der für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominiert wurde. Und weiter: „Ein Erdbeben ist doch, als bewegte sich etwas Gewaltiges im Traum. Oder als wäre einem Riesen nicht wohl im Schlaf. Und das Erwachen ist eine neue Ordnung der Dinge in der Welt. Da wird der Mensch mit seinem Leben so klein wie der kleinste Stein im Fluss.“

Was hier felsenspaltend und Steinlawinen losstoßend aus dem Erdinneren kommt, begräbt in „Rombo“ keinen Garten Eden unter sich: Der Landstrich ist verarmt, viele wollen zum Arbeiten nach Deutschland. Die Gebirgsjäger, die nach dem ersten Erdbeben als Katastrophenhelfer kommen, lassen schwangere Dorfbewohnerinnen mit ihrem menschlichen Unglück zurück, nachdem sie wieder abgezogen werden. Nichts hilft, außer das Monströse der Natur: „Und dann wieder so ein scharfer eisiger Windstoß, wie im Mai, und dieses Grollen. Dieses Grollen von dem Tier da unter unseren Füßen, das sich bewegte und drehte, dass die Erde schwankte und die Dachziegel fielen, und was beinah fertig gebaut war, krachte wieder ein. Auch diesmal haben wir Glück gehabt mit dem Haus. Und auch meine Schwester hat Glück gehabt, in all dem Hin und Her und dem Schreck und der Angst ist es ihr abgegangen, was sie da im Bauch hatte. Sie hat es mir am nächsten Abend gesagt, sie hat arg geblutet, aber es ging schon besser, und sie hat gelacht und geweint, es war ja auch alles so ein Schreck.“

Grenzenlose Ohnmacht: Esther Kinsky ist ganz und gar sozialrealistisch, wenn dem dem Elend überlassenen Landvolk hier geschieht, was ihm eben geschieht. Sie protokolliert es, die Stimmen sind viele in einem Collageroman, der sich weitgehend aus Erlebnisberichten und eingestaubter Sekundärliteratur zusammenfügt.

Ein brüchiges Unternehmen, wie das Bebauen eines Erdbebengebiets selbst oder die Analyse, alles Unglück sei eigentlich naturkatastrophal, also eine Unvermeidbarkeit und Schicksal. Die menschliche Ameisenperspektive auf der Sollbruchstelle der Erdkruste trägt „Rombo“ nicht zu. Kinsky schlägt dem Nature Writing und seinem Kurzschluss, Natur sei gleichzeitig verlorenes Paradies, Notunterkunft und Labor zur Lösung sozialer Probleme, nur ein halbes Schnippchen: Die Gesellschaft scheitert zweimal an der unbarmherzigen Mutter Erde, wo sie spätestens beim zweiten Mal an ihrer eigenen schlechten Einrichtung scheitert. Zeugnisse davon fehlen leider weitgehend in „Rombo“.

Esther Kinsky
Rombo
Suhrkamp Verlag, 267 Seiten, 24,– Euro

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"Der Schrecken, auf dem wir leben", UZ vom 23. September 2022



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