Wie deutsche Medienkampagnen überall russische Hacker finden

Der Russe war‘s

„Neuer Hacker-Angriff aus Russland“ titelte die „Bild“ am 30. Juni. Opfer seien deutsche Banken und die „kritische Infrastruktur“. Auch auf die Kanzlerkandidatin der Grünen hätten es „die Russen“ abgesehen: „Der Verfassungsschutz warnt im Jahresbericht: Putins Spione und Propagandamedien wollen Deutschland destabilisieren. Besonders im Visier: Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock“, hieß es in „Bild-Online“ am 15. Juni.

„Bild“ ist nicht allein, die übrige bürgerliche Presse stößt ins gleiche Horn. Die schwedische Supermarktkette „COOP“ schloss am 3. Juli 800 Filialen, nachdem die Kassensysteme durch einen Hackerangriff lahmgelegt wurden. In der „Süddeutschen Zeitung“ vom gleichen Tag ist zu lesen: „Die Spuren sollen nach Russland führen“. Warum? – das erfährt der Leser nicht.

Das „Handelsblatt“ geht in seiner Ausgabe vom 2. Juli der Frage nach, „was russische Hacker so erfolgreich und gefürchtet macht“ und kommt nach intensiver Analyse zum Ergebnis, das liege an der „hervorragenden mathematischen Ausbildung“ in Russland und weil es dort ansonsten „an lukrativen Einkunftsmöglichkeiten“ fehle.

Eine kleine, aber repräsentative Auswahl aus dem deutschen Blätterwald der vergangenen zwei Wochen: Trotz intensiver Nachsuche in den Berichten findet sich kein einziger Anhaltspunkt für einen Beweis russischer Urheberschaft. Im Gegenteil: Das „Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik“ (BSI) dementierte bereits wenige Stunden nach Erscheinen der „Bild“-Meldung das Vorliegen russischer Hacker-Angriffe auf deutsche Banken. Auch beim Cyber-Angriff auf „COOP“ handelte es sich, wie sich wenig später herausstellte, um eine Lösegelderpressung gewöhnlicher Krimineller. Und die angeblich mit Internet-Trollen inszenierte „Desinformationskampagne“ gegen Baerbock? Die liege bloß in den Berichten „der russischen Staatsmedien wie RT.de“, die den Grünen-Wahlkampf kritisch begleiten, wie der „Tagesspiegel“ vom 16. Juni kleinlaut feststellte.

Die bürgerliche Presse beruft sich für die steile These, russische Dienste steckten hinter den Cyber-Angriffen, auf „geheimdienstliche Quellen“ und die „Wohnzimmer-Spione“ („Frankfurter Rundschau“) der Netzplattform „Bellingcat“. Der Gründer von „Bellingcat“, Eliot Higgins, beschrieb im Schweizer „Tagesanzeiger“ vom 27. Februar anschaulich, was unternommen wird, um an Daten vermeintlicher russischer Hacker zu gelangen: „Jeder, der ein paar Rubel bezahlt, bekommt Zugriff. Versicherungsbetrüger und andere Verbrecher nutzen dies aus. Wir nutzen solche Daten in bestimmten Fällen auch – aber immerhin für einen guten Zweck.“

Hinter der antirussischen Pressekampagne stecken die deutschen Geheimdienste, allen voran der Bundesnachrichtendienst (BND). In der „Welt am Sonntag“ vom 8. Juni benennt der Präsident des BND, Bruno Kahl, mit Blick auf China und Russland die angeblichen Urheber der Cyber-Attacken: „Denken Sie nur an die Dominanz anderer Mächte, die uns ihren Willen aufzwingen wollen.“ Da werde „rauer und rücksichtsloser vorgegangen, Interessen werden unverhohlener als früher durchgesetzt“. Russland wies die Vorwürfe stets als „lächerlich“ zurück. Die Außenamtssprecherin Maria Sacharowa gegenüber der „Deutschen Presseagentur“ (DPA): „Es ist natürlich sehr lustig, die Anschuldigungen zu irgendwelchen Desinformationskampagnen zu hören, weil wir selbst nicht einmal hinterherkommen damit, unzutreffende Behauptungen zum Beispiel aus Berlin zu kommentieren“ und ergänzte: Deutsche Stellen hätten zu keinem Zeitpunkt der für die Untersuchung von Cyber-Kriminalität zuständigen russischen Behörde (Nationales Koordinationszentrum für Cybervorfälle (NKZ)) irgendeinen Beweis vorgelegt, geschweige denn eine Anfrage zur Klärung gestellt.

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"Der Russe war‘s", UZ vom 9. Juli 2021



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