Nach abgehörtem Gespräch von Luftwaffenoffizieren warnen Politik und Medien vor dem hybriden Krieg

Der Russe nebenan

Seit mehr als zwei Jahren treiben die großen bürgerlichen Medien die Militarisierung voran, schüren Hass gegen Russland und fördern nach Kräften das Ansehen von Rüstungslobbyisten und Weltkriegsabenteurern. Der journalistische Ehrgeiz erschöpft sich in der Kunstfertigkeit, eine kritische Debatte zu simulieren und doch im Gleichschritt zu marschieren.

Kein Wunder also, dass es auch fast zwei Wochen nach der Veröffentlichung einer geheimen Videokonferenz von hochrangigen Bundeswehroffizieren keine öffentliche Auseinandersetzung mit den Inhalten des Gespräches gibt. Dass der oberste Luftwaffengeneral Ingo Gerhartz darüber diskutiert, wie deutsche Waffen und Soldaten verdeckt oder offen gegen Russland ins Feld geführt werden können, scheint keinen Nachrichtenwert zu haben. Dass „der Russe“ mitgehört hat, hingegen schon. Diese Verdrehung von Hauptsache und Nebenschauplatz war mit erstaunlicher Geschwindigkeit etabliert und fortan beharrlich weitergesponnen worden.

Der zweite Erzählstrang, an dem sich die Schreiberlinge entlanghangeln, handelt vom „hybriden Angriff“. Ein Taktgeber dieser Geschichte war Konstantin von Notz (Grüne), der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste. Vor allem „Russland und China“ würden „bösartig mit großer Aggression gegen uns agieren“, sagte er kurz nach der Veröffentlichung des Luftwaffengesprächs im Interview mit dem „Deutschlandfunk“. Ausgerechnet die Bundesregierung, die ganz offen an der Destabilisierung Russlands arbeitet und einen Wirtschaftskrieg führt, der „Russland ruinieren“ soll, fühlt sich als Opfer eines Schattenkriegs, der auf die hinterlistigste Weise – nämlich durch die Verbreitung der Wahrheit – geführt wird.

Gefährlich ist das Geraune trotzdem. Einerseits wird die vermeintliche Opferrolle betont, um selbst den Angriff vorzubereiten. Das hat Tradition – Deutschland hat schon immer „zurückgeschossen“. Daher ist es kein Zufall, dass das Luftwaffen-Leak genutzt wird, um eine „Jetzt erst recht!“-Stimmung zu verbreiten und den Druck auf Olaf Scholz (SPD) zu erhöhen. Andererseits soll der behauptete Angriff auch innenpolitisch nutzbar gemacht werden, um einen weiteren Abbau demokratischer Rechte voranzutreiben.

Von Notz forderte Sicherheitsbehörden und Medien im „Deutschlandfunk“ auf, ihre „Analysefähigkeit“ zu verbessern, um den allgegenwärtigen feindlichen „Kampagnen“ zu begegnen. „Die Frage, wie die ganze Covid-Corona-Geschichte zugespitzt wurde, was es für Demonstrationen in dem Umfeld gegeben hat, jetzt die Bauernproteste, wer da so alles Einfluss nimmt und bei Telegram irgendwelche Leute losschickt, das ist ein relevanter Vorgang“, so von Notz. Die Ampel-Koalition, die sich dem Kampf gegen „Desinformation“ und „Verschwörungstheorien“ verschrieben hat, vermutet hinter ihren Gegnern also das finstere Wirken fremder Mächte.

Doch „der Russe“ stachelt nach dieser Vorstellung nicht nur Bauern und andere Unzufriedene auf, sondern kontrolliert auch Teile der Politik. „Hat uns Wladimir Putin in der Hand?“, fragte die „Bild“-Zeitung mitten in die „Taurus“- Debatte hinein. Die Antwort lieferte der als „Top-Militärexperte“ vorgestellte Carlo Masala im Podcast von „Bild“-Journalist Paul Ronzheimer. „Ich gehe davon aus, dass es natürlich Kompromate gibt“, sagte Masala und führte aus, worin diese bestehen könnten: „Da geht es bei Männern vor allen Dingen um Sex. Also Frauen, die Sex mit denen haben, und die dann dabei irgendwie gefilmt werden.“ Wenn es stimmt, dann wäre das die wirksamste bekannte Anwendung des alten Hippie-Slogans „Make love, not war“. Wahrscheinlicher ist, dass diese nebulösen Vermutungen weiter genutzt werden, um abweichende Meinungen als fremdgesteuert oder erpresst zu brandmarken.

In der Zwischenzeit arbeitet die Bundesregierung daran, den „hybriden Gegenschlag“ vorzubereiten. Die Spionageabwehr soll besser werden, Videokonferenzen geschützt und eine Teilstreitkraft für den „Cyber- und Informationsraum“ eingerichtet werden. Ob auch versucht wird, Sexvideos im Kreml zu drehen, ist nicht bekannt. Beim gegenwärtigen Zustand der Debatte wäre die Ankündigung, dass jetzt zurückgefilmt wird, jedoch nicht überraschend.

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"Der Russe nebenan", UZ vom 15. März 2024



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