Vier Beiträge zur Oktoberrevolution 1917

Der Rote Oktober und die Medien

Von Hans-Günther Dicks

1917 – Der wahre Oktober

1917 – Der wahre Oktober

Der Neue Mensch

Der Neue Mensch

Der Weg ins Leben

Der Weg ins Leben

1917 – Die russische Revolution

1917 – Die russische Revolution

Große Jahrestage sind auch Medienereignisse, und die Art, wie sie zelebriert werden, spiegelt oft weniger das historische Ereignis als die mediale Gegenwart. Das derzeit allgegenwärtige „Luther-Jahr“ ehrt nicht nur den Kirchenreformer. In Zeiten leerer Kirchenbänke dürften die vielen Luther-Sendungen in TV und Radio den christlichen Kirchen willkommene Werbung sein. Ähnlich und doch ganz anders verhält es sich mit einem anderen Jahrhundert-Jubiläum, dessen Resonanz in unseren Medien spürbar geringer ist und gewiss keinen Werbecharakter hat: die Oktober-Revolution 1917.

„In meinem Kopf schwirren viele Bilder herum. Entsprechen sie der Wahrheit oder sind sie geprägt von Sergej Eisensteins ‚Oktober‘?“, fragt sich die deutsche Dokumentaristin Kathrin Rothe – und nennt ihren Film trotzdem kühn „1917 – Der wahre Oktober“. Künstlerisch ambitioniert verbindet sie klassische Tricktechniken mit Archiv-Aufnahmen und Zitaten von Gorki, Majakowski und anderen Künstlern jener Tage zu einem subjektiven Filmessay über das Verhältnis von Kunst und Revolution. Ihr Film ist seit kurzem vereinzelt in Kinos zu sehen.

Größere Verbreitung dürfte eine DVD-Veröffentlichung der Filmedition Suhrkamp bei Absolut Medien erreichen, mit der die Herausgeber Rainer Rother und Alexander Schwarz filmhistorische „Nachhilfe“ leisten. Unter dem Titel „Der Neue Mensch“ machen sie Filmklassiker aus den frühen Jahren der Sowjetmacht auf zwei DVDs neu zugänglich, sorgsam restauriert und – soweit es sich um Stummfilme handelt – mit neu eingespielter Musik des in Weimar lebenden Stummfilmkomponisten Richard Siedhoff. Der recht ausführliche und informative Booklet-Text datiert die Filme der Jahre 1924 bis 1932 „zwischen Revolution und Stalinismus“, eine eher ideologische Etikettierung, die den Filmen selbst kaum gerecht wird.

Da finden sich pointiert agitatorische Kurzfilme („Der Samojedenjunge“ über die Eingliederung neuer Völker in den Sowjetstaat oder „Der schreckliche Wawila und Tante Arina“ zur Mobilisierung zum Frauentag), gemacht ohne künstlerischen Anspruch für ein noch großteils analphabetisches Publikum. Zwei Entdeckungen, die zuvor nur Experten kannten. Revolutionär in jeder, auch künstlerischer Hinsicht ist dagegen Dsiga Wertows berühmte Filmreihe „Kino-Prawda“, von der bis 1925 23 Ausgaben erschienen; in der hier ausgewählten Nr.18 zieht Wertow mit seinen drei Kameraleuten alle Register der Kamera- und Montagetechnik, um den „Neuen Menschen“ in eine ebenso neue, technisch geprägte Sicht auf die Welt einzuschreiben: Seine Hauptfigur, der Bauer Wladimir, und seine Mutter, die Arbeiterin, erleben am Ende ihre Apotheose als glückliche neue Bürger der kommunistischen Gesellschaft.

Während Wertows Arbeitsweise mit ihren kühnen Assoziationen die Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewusst sprengt, wirkt die Dramaturgie in Abram Rooms „Dritte Kleinbürgerstraße“ (auch bekannt als „Bett und Sofa“) fast hausbacken. Hier liegt der revolutionäre Sprengstoff nicht in der gewählten Form, sondern in der Umkrempelung kleinbürgerlicher Weltsicht und Moral. Aus der bekannten Dreiecksgeschichte – eine Frau zwischen zwei Männern – macht Room ein Melodram, das ganz im Sinne der Kolontaischen Reformen überkommene Vorstellungen über Familie, Ehe und Abtreibung gründlich aufmischt und eine selbstbewusste, aktive Frau in den Mittelpunkt stellt, die auch heute noch revolutionär wirkt.

Nikolai Ekks „Der Weg ins Leben“ dürfte von allen Filmen der Sammlung der bekannteste sein, denn er prägte in den sozialistischen Ländern weitgehend die Sozialpädagogik. Ekks Film war 1931 der erste sowjetische Film mit durchgehender Tonspur, die von den jungen Protagonisten gesungenen Lieder waren bald regelrechte Gassenhauer. Im Zentrum der Handlung steht eine jugendliche Bande von verwahrlosten Kleinkriminellen, wie es sie nach Revolution und Bürgerkrieg im Sowjetland zu Millionen gab. Sergejew, dem verständnisvollen Leiter einer Arbeitskommune, fällt die Aufgabe zu, sie mit einem gewagten Experiment ohne drakonische Strafen auf den Weg der Tugend zu leiten.

Dieser Sergejew, gespielt vom damaligen „Star“ Nikolai Batalow aus Rooms Film vier Jahre zuvor, hat keine Illusionen über die Dimension seiner Aufgabe, er muss immer wieder Rückschläge verkraften, aber er gibt nicht auf. Für den Realismus des Films spricht, dass selbst Sergejews triumphaler Erfolg am Ende mit dem Tod eines seiner Schützlinge erkauft werden muss. Der Weg zum „Neuen Menschen“ ist eben holprig, aber alternativlos, wie Alexandr Ptuschkos Puppentrickfilm „Beherrscher des Alltags“ 1932 zeigt. Hauptfigur ist ein Mann, der seine kleinbürgerlichen Gewohnheiten nicht ablegen will und seine alten Möbel in die neue Wohnung holt – und damit leider auch die Bettwanzen.

Ebenfalls bei Absolut Medien erschienen ist die DVD „1917 – Die russische Revolution“, die der Brite Paul Jenkins bereits 2007 zum 90. Jahrestag der Ereignisse erstellte und die nun der Sender arte „recycelt“. Um es gleich zu sagen: er hätte es besser gelassen. Denn was Jenkins da zusammengetragen hat an „Aufnahmen aus russischen, amerikanischen und europäischen Archiven, Tagebuch-Aufzeichnungen, Kunstwerken und Fotografien“ – so der Arte-Text – ist eine unstrukturierte Materialsammlung, in der die wenigen Entdeckungen im Wust des Bekannten oder Belanglosen untergehen. Ärgerlicher noch als das ist Jenkins‘ angestrengte Bemühung, die Ereignisse von 1917 auf seine Weise umzudeuten, wozu er neben eigenem Kommentar auch zahlreiche, meist unbekannte „Experten“ in Interviewausschnitten ins Feld führt. Und wenn unter diesen mal einer nicht ganz auf Jenkins‘ Linie ist, wird er mit dem Etikett „von Putin geschätzt“ gleich als unbedeutend ins mediale Abseits gestellt.

So ist dann die Rede von Lenins „fixer Idee, die Revolution zu machen“, die dann doch im Gegensatz zur Märzrevolution Kerenskis „nur ein Staatsstreich“ gewesen sein soll. Eine britische „Expertin“ kritisiert Lenins berühmtes Dekret über den Frieden als „unkonkret“, ein anderer sieht Kerenski „von Lenin fasziniert wie von einer Schlange“. Der Kommentar, der „roten Terror gegen weißen Terror“ setzt, ohne die massive Einmischung fremder Mächte zu erwähnen, schreibt Lenin einen „direkten Befehl“ zur Zerstörung der Kirchen und die „Erfindung des Gulag“ zu. Einen Beleg für solche Urteile sucht man in den Bildern vergeblich, wie überhaupt Jenkins mehr den Worten zu trauen scheint als den Bildern, die er als dekorativen Bildteppich unter den Interviews und Kommentaren vorbeirauschen lässt.

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"Der Rote Oktober und die Medien", UZ vom 9. Juni 2017



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