Zur Diskussion um die Auswirkungen der Automatisierung

Der Roboter und der Kapitalismus

Von Klaus Wagener

Man muss Heiner Flassbeck zugute halten, dass ihm seit langem klar ist, dass die gegenwärtige EU/Euro-Konstruktion und das Berlin/Brüsseler Austeritätsdiktat in einem Desaster enden muss. Nun hat er sich allerdings der vom „Spiegel“ aufgeworfenen Frage gewidmet: „Bedroht der Roboter die Arbeitsplätze?“ Und da lässt seine Antwort durchaus Luft nach oben. Sie lautet nämlich einfach: „Nein!“

Richtig ist natürlich, ein Roboter ist eine von Menschen gemachte Maschine, die aus sich heraus erst einmal gar nichts bedroht. Roboter, wenn sie denn richtig funktionieren, tun das, was ihre Hersteller, Programmierer etc. ihnen auftragen, inklusive dessen, wozu sie sich selbst optimieren können. Die Fähigkeit, Maschinen herstellen zu können, die selbstständig große Teile der materiellen Produktion, ihrer Organisation und Logistik übernehmen können, ist selbstredend ein gewaltiger Menschheitsfortschritt. Die Frage ist allerdings, auf welche gesellschaftlichen Verhältnisse, Produktionsverhältnisse, trifft so eine Revolution der Produktivkräfte? Und hier wird es für einen Sozialdemokraten kritisch, wir befinden uns mit unseren Robotern nicht in irgendeiner neoklassisch im Gleichgewicht vermuteten „Marktwirtschaft“, sondern im Kapitalismus. Und hier zählt nur eine Größe: Der Profit.

Wenn also, wie Flassbeck glaubt, „immer mehr und immer bessere Maschinen eingesetzt werden, die noch mehr stumpfsinnige Arbeit endgültig überflüssig machen“, dann passiert es eben nicht, „weil es den Verkehr sicherer macht und die Möglichkeit schafft, durch das steigende Einkommen für alle, das mit der Innovation verbunden ist, die ehemaligen Lastwagenfahrer sinnvoller zu beschäftigen“, sondern schlicht, weil der eingesparte Lohn für den Lkw-Fahrer den Profit erhöht. Ob der Ex-Fahrer dann tatsächlich „sinnvoller beschäftigt“ werden wird, ist dabei ebenso herzlich irrelevant wie Flassbecks hoffnungsfrohe Erwartung auf „steigende Einkommen für alle“.

Da Flassbeck sich als Neokeynesianer wohl ungern auf Jean-Baptiste Says Angebotstheorem („Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage“) berufen mag, nennt er es einen „Dreiklang von Produktivitätssteigerungen (durch die Technik induziert), von Reallohnzuwächsen (entweder durch die Produktivität infolge von Preissenkungen induziert oder ausgehandelt) und der Veränderung der Beschäftigung von Arbeit (als Funktion der Nachfrage der Arbeiter)“, den seine Kritiker „nicht auf die Reihe“ kriegten. Technische Innovation ist im Kapitalismus aber nicht „technisch“, sondern profitinduziert, und Reallohnzuwächse, wenn es sie denn gibt, nicht durch Produktivität, sondern durch Arbeitskampf erkämpft. „Wohlstandsgewinne“ und technologisch-emanzipativer Fortschritt können Ergebnis einer starken Arbeiterbewegung sein, müssen es aber nicht (s. Kernenergie, Klimakrise, Gentechnik). Trotz oder gerade wegen ihres technologischen Fortschritts marschiert die kapitalistische Anarchie mit verbissener Entschlossenheit auf den Klima-GAU zu.

Says Angebots-Theorem war schon 1803 eine steile These. Flassbecks „Dreiklang“ ist angesichts der aktuellen Krise eine geradezu autistische Übung. Es sollte sich doch mittlerweile herumgesprochen haben, dass es so etwas wie Kapitalakkumulation gibt und dass technologischer Fortschritt, makroökonomisch betrachtet, zuallererst den Kapitalbesitzern hilft, den Anteil des privat aneignungsfähigen Mehrwerts am gesellschaftlich erarbeiteten Produkt zu erhöhen und mittlerweile den Zugriff allein des Finanzkapitals auf mehr als 40 Prozent/BIP getattet. Und dass diese 40 Prozent mangels profitabler Anlagemöglichkeiten in der Realökonomie (tendenzieller Fall der Profitrate) zu einem hohen Anteil entzogen, im Finanzcasino landen, und eben nicht für Reallohnzuwächse oder Nachfragesteigerung zur Verfügung stehen. John Maynard Keynes hatte es zwar nicht so formuliert, aber 1936 zumindest als Phänomen akzeptiert. Heute stehen selbst in den entwickelten kapitalistischen Staaten große Teile der ehemals „wohlhabenden Mittelschicht“ trotz IT-Revolution und trotz größter individueller Anstrengung vor dem deprimierenden Faktum, dass es ihnen materiell schlechter geht als der Vorgängergeneration. Von den zivilisatorischen, humanen, arbeits- und sozialpsychologischen Verwüstungen gar nicht zu reden.

Stattdessen folgt ein mystischer Blick in die Geschichte. Der „Spiegel“ argumentiert analog des Rheinischen Grundgesetzes: „Et hätt noch immer joot jejange!“ Flassbeck glaubt das auch: „weil ja sonst die halbe Menschheit ständig arbeitslos wäre.“ Glaubt aber (Dreiklang) arroganterweise im Gegensatz zum „Spiegel“ auch zu wissen warum: „Genauso hat man auch schon vor mehr als zweihundert Jahren gefragt. Wie groß ist der geistige Fortschritt? Exakt Null!“

Nun, ganz so simpel liegen die Dinge nicht. Die Fähigkeit des Kapitalismus, technologischen Fortschritt im humanen Interesse krisenfrei zu implementieren, tendiert aus oben genannten Gründen schon seit der ersten industriellen Revolution hart gegen Null. Seit ersten Überproduktionskrise von 1825 empörten sich periodisch „die Produktivkräfte gegen die Produktionsverhältnisse“ (Manifest). Mit der Entwicklung der kapitalistischen Hauptstaaten zu imperialistischen Mächten stieg dann die Fähigkeit, diese Widersprüche elegant zu exportieren. Das Rennen um die Aufteilung der Erde, um den globalen Rohstoff-, Arbeitskräfte- und vor allem Absatzmarkt hatte vor allem Britannien gewonnen. Ohne ihn wäre das Empire eine höchst durchschnittliche europäische Macht geblieben, deren relativ geringe Einwohnerzahl (trotz Say) niemals die Kaufkraft für die „Werkstatt der Welt“ zusammengebracht hätte. Natürlich gab es und gibt es weiterhin (zwar nicht die „halbe Menschheit“, aber auch nicht viel weniger) das Elend der industriellen Reservearmee und der Landarmut, die Hungertoten, die Kinder- und Sklavenarbeit. Nur eben woanders.

Für den „alten“ industriekapitalistisch auftretenden Imperialismus bestand die Notwendigkeit, aus Angst vor den Roten und zur inneren sozialchauvinistischen Aufrüstung die „eigene“ Arbeiterklasse zu privilegieren. Mit der neoliberalen Gegenreformation und der Niederlage der Großen Alternative existieren diese Sozialstaatsversprechen genannten Korrumpierungen weit weniger. Für das entgrenzte Finanzkapital ist es egal, wo oder mit wem es seine Profite macht. Hauptsache, sie sind hoch genug. Die Sozialdemokratie hatte einst, wie Lenin bemerkte, ihr Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verschachert, nun ist sie dabei auch noch das Linsengericht zu verhökern.

Das neoliberale Race to the Bottom macht auch für die kapitalistischen Hauptmächte keine Ausnahme. Da es nach 1989 keine neuen Märkte mehr zu erobern gibt, werden die exportierten Systemwidersprüche allmählich reimportiert. Die rosa-olivgrüne Agendapolitik war da ein erster Vorgeschmack und zeigt, wohin die Reise geht. Zu fürchten ist, dass der nächste Technologieschub, wie schon die IT-Revolution, in diesem Sinne durchaus Katalysatorfunktion haben könnte.

Wie das Maschinenzeitalter den Kapitalismus erforderte, schreit die Fähigkeit zur Automatisierung der Produktion geradezu nach einer rationalen, vernunftgeleiteten Gesellschaftsordnung, in der ein zweckgerichteter Einsatz dieser genialen Fähigkeiten im Sinne einer qualitativ besseren, ökologisch nachhaltigeren und humaneren Lebens-, Arbeits- und Biosphäre zumindest denkbar ist. In der Anarchie der kapitalistischen Profitwirtschaft ist sie es sicher nicht. So viel sollte, spätestens nach 25 Jahren kapitalistischer Alleinherrschaft, klar sein. Zumindest empirisch. Flassbeck aber versucht genau diese sozialistische Perspektive mit dem Hinweis auf eine (staatliche Planungs-) „Kommission“ zu ironisieren, welche die „Grundbedürfnisse“ des Menschen, Orwell lässt grüßen, in etwa auf Basis eines linoleumgrauen 50er-Jahre-Standards (VW-Käfer, Urlaub im Schwarzwald, schwarzes Festnetztelefon) festlegt. Auch nach 25 Jahren bestimmt Thomas Manns „Grundtorheit der Epoche“ das Denken hartnäckig. Wie groß ist der geistige Fortschritt, lieber Heiner Flassbeck? Exakt Null?

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"Der Roboter und der Kapitalismus", UZ vom 23. September 2016



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