In „Unter Tage“ thematisiert John Harvey den Streik englischer Bergarbeiter 1984

Der Riss

Von Ellen Beeftink

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John Harvey

Unter Tage – Resnicks letzter Fall

Ars vivendi, 2016

Übersetzt von Gottfried Röckelein

308 S. 20,00 Euro.

Wie eine Besatzerarmee rückten die Polizeieinheiten 1984 in die Viertel der Bergarbeiter ein.

Wie eine Besatzerarmee rückten die Polizeieinheiten 1984 in die Viertel der Bergarbeiter ein.

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Die Kriminalromane des Briten John Harvey (Jahrgang 1938) gehören zum Besten, was die Insel in diesem Genre zu bieten hat. Trotzdem (oder gerade deswegen) ist er bei deutschen Krimilesern fast unbekannt. Das ist schade, denn seine Geschichten sind fest verwurzelt in der englischen Gesellschaft, deren grundlegende Veränderung in der Thatcher-Ära er an Hand von Kriminalfällen eindrücklich nachvollziehbar macht.

Harvey hatte Charlie Resnick schon in den Ruhestand geschickt, da wird im fiktiven Bledwell Vale, einer Kleinstadt im Kohlerevier des nördlichen Nottinghamshire, bei Abrissarbeiten eine Leiche entdeckt. Es ist die vor fast 30 Jahren im Dezember 1984 spurlos verschwundene Jenny Hardwick. Um die Umstände ihres Todes aufzuklären, wird Resnick in „Unter Tage“ reaktiviert. Als junger Polizist war er 1984 in der Stadt, um hier die Protagonisten des großen Bergarbeiterstreiks, der das Land nachhaltig verändert hat, zu observieren.

Es ist kein gewöhnlicher Streik. Hier geht es nur vordergründig um die mangelnde „Rentabilität“ der Zechen, die allesamt geschlossen werden sollen. Hier soll der neoliberale Umbau der Gesellschaft beginnen, die Zerschlagung der Gewerkschaften und damit die Entmachtung der organisierten Arbeiterbewegung. Und die Regierung Thatcher nimmt dafür bewusst die Verelendung der Minenarbeiter in Kauf.

Die Familie Harwick steht stellvertretend für den Riss, der damals eben auch mitten durch die Arbeiterklasse geht, bis hinein in die Familie. Die einen – wie Barry Hartwick – arbeiten, um ihre Familien zu ernähren. Die anderen hoffen durch den Streik ihre Arbeitsplätze sichern zu können. Barrys Frau Jenny steht auf der Seite der Streikenden, wird bald zu deren Wortführerin und Vertrauten des örtlichen Gewerkschaftsführers. Wir erleben das Leid der Menschen, die Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Streikbrechern und die Gewalt der Staatsmacht. Die greift zu allen Mitteln, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Polizei schickt Spitzel und Provokateure. Die Konten der Gewerkschaften werden „eingefroren“, die Streikenden stehen mittellos da. Doch es gibt Spenden. Hauptsächlich aus der UdSSR, aber auch aus Deutschland und Frankreich. Wie aber kommt das Geld an den Behörden vorbei zu den Kumpels?

Harvey erzählt seine Geschichte nicht nur parallel, sondern auf zwei Zeitebenen. Geschickt benutzt er für die Ereignisse des Jahres 1984 das Präsens. Das nimmt die zeitliche Distanz, als LeserInnen sind wir ganz nah dran. Die teils mühselige Ermittlungsarbeit 30 Jahre später wird in der Vergangenheitsform beschrieben. Resnick und sein Team, allen voran Catherine Njoroge, die er offiziell nur berät, haben mit allerlei Hindernissen zu kämpfen. Da müssen Zeugen aufgestöbert, falsche Fährten ausgeschlossen, Angehörigen kleine und große Familiengeheimnisse entlockt werden. Alles sehr zeitintensiv und zudem heikel. Die obere Etage der Polizeiführung zeigt keinerlei Interesse an einer neuerlichen Debatte zum Thema 1984 und die Folgen. Die Frage nach der Spur des Geldes stellt sich Resnick erst sehr spät. Und es setzt sich wieder die Erkenntnis durch: Gier ist ein starkes Motiv.

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"Der Riss", UZ vom 20. Januar 2017



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