Monate war von Joachim Gauck nichts zu hören. Jetzt hat er sich wieder zu Wort gemeldet. Zunächst vor zwei Wochen im „Spiegel“, dann in der „Zeit“ und auf „T-Online“. Denn er hat uns mit dem neuen Buch „Toleranz: einfach schwer“ beschenkt. Sein „Spiegel“-Interview hatte im Vorfeld eine Kontroverse ausgelöst. Denn dort hatte sich Gauck eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ gewünscht. Er forderte dabei, nicht jeden, der „schwer konservativ“ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten. Alle rätselten, was er denn mit „schwer konservativ“ meinte. Offensichtlich nicht, dass CDU und CSU ständig das Asylrecht verschärfen und im Inneren auf „Law und Order“ sowie die Einschränkung von Grundrechten, auf Militarisierung der Gesellschaft und Aufrüstung setzen. Oder nicht, dass die in vielen Fragen sicher „sehr schwer konservative“ Kramp-Karrenbauer die Meinungsfreiheit einschränken will, wenn es um Kritik an der CDU geht oder sie den „sehr schwer konservativen“ Friedrich Merz in die politische Arbeit der Partei einbinden will.
Eindeutig meint der parteilose Gauck vor allem die AfD beziehungsweise Teile der Partei und deren Wählerinnen und Wähler. Im Interview auf „T-Online“ erklärte er: „Solange diese Partei nicht verboten ist, sollten wir ihren Mitgliedern und Anhängern im Sinne der kämpferischen Toleranz vor allem mit Argumenten begegnen.“ Nicht nur in Bundestagsdebatten zeigt sich, dass das gar nicht geht. Und mit welchen Argumenten begegnet er Alexander Gauland, dem früheren CDU-Mitglied, mit dem er ja gar nicht reden will, der die faschistische Diktatur und ihre Menschheitsverbrechen als „Fliegenschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnete? Nicht hinnehmbar sei, meint Gauck nur, dass in dieser Partei verkappte Nazis aktiv sind und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geduldet wird – als wäre die Mitgliedschaft in der AfD keine bewusste Entscheidung. Und weiter erklärte er, als handele es sich um eine Partei und Wählerschaft von Kleinstkindern: „Treibt man, wenn man eine ganze Partei aus der kämpferischen Toleranz ausschließt und zu Feinden erklärt, ihre Mitglieder und Anhänger nicht noch weiter in eine Trotzreaktion?“
In einem Kommentar in der „taz“ wurde Gauck „Rechtsversteher“ genannt: „Das rechte Reden ist nicht harmlose Verirrung, es ist oft gespickt mit tiefer Verachtung. Gaucks wie immer weichgespülte Rhetorik verharmlost und meint, mit etwas zugewandtem Tätscheln ließe sich ‚die Trotzreaktion’ beheben. Der lautstarke Ruf nach mehr Toleranz geht vor allem in eine Richtung: für Toleranz in Richtung rechts. Wenn es um Einwanderungspolitik geht, kann man die Platte einfach umdrehen, da heißt es dann: Schluss mit der Toleranz! Rechte kann man angeblich mit Toleranz wieder in die Gesellschaft holen. Ausländische Communities hingegen bleiben mit Toleranz Parallelgesellschaften.“
Wie Gauck seit 1990 bei seiner Tätigkeit als Bundesbeauftragter für die „Stasi-Unterlagenbehörde“ wie danach, in seinen Äußerungen über die DDR wie auch in seinem Beitrag zum „Schwarzbuch des Kommunismus“ (1998) bewiesen hat, hat seine angebliche „Toleranz“, von der er meint, sie müsse sich auf alle Menschen erstrecken, „ausgenommen diejenigen, die das Prinzip der Toleranz leugnen“, auch noch ganz andere Grenzen.