Hans-Jürgen Goertz:
Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten.
Verlag C. H. Beck, München 2015.
351 S., 24,90 €
Der Vorsitzende der deutschen Thomas-Müntzer-Gesellschaft, der emeritierte Hamburger Prof. Hans-Jürgen Goertz, hat mit einer bemerkenswerten Biografie über Thomas Müntzer frühzeitig ein Zeichen zum bevorstehenden 500. Jahrestag der Reformation 2017 gesetzt. Bereits im Vorfeld des Jubiläums „fällt die Aufmerksamkeit besonders auf Martin Luther und sein Werk“, schreibt er. Es gelte aber, „die Anfänge der Reformation in Deutschland zu feiern und nicht einen einzigen Reformator“. Goertz verweist auf Müntzer als frühen „Gegenspieler Martin Luthers“ und auf seine aufrüttelnde Predigt 1524 auf dem Schloss zu Allstedt.
Mit Goertz ergreift ein international renommierter Wissenschaftler das Wort, der an zahlreichen Universitäten von Oxford und Cambridge über Liverpool, Yale und Havard bis Bern und Zürich zum Thema Gastvorlesungen hielt. Er versteht es, dem Leser den wissenschaftlichen Stoff spannend zu erzählen, ohne dass Langeweile aufkommt. Dabei vermittelt er einen fundierten Einblick in den deutschen Bauernkrieg, der ein entscheidender Bestandteil und Höhepunkt der frühbürgerlichen Revolution war, die bereits plebejische Züge aufwies. Auf der Tagesordnung der Geschichte stand, den wirtschaftlich und politisch überlebten Feudalismus zu überwinden und den Weg frei zu machen für eine bürgerliche Gesellschaft. Als die am meisten Ausgebeuteten und Unterdrückten wurden die Bauern zur entscheidenden Triebkraft dieser Revolution und Thomas Müntzer ihr herausragendster politischer Führer und radikal-revolutionärer Ideologe der Reformation, die sich gegen die Vorherrschaft der römisch-katholischen Kirche als Zentrum des Feudalsystems richtete.
Goertz legt den Werdegang des aus einer Handwerkerfamilie kommenden Müntzer dar, der Theologie studierte, zum Magister promovierte und bereits 1513 in Magdeburg eine gegen die fürstliche Macht gerichtete konspirative Handwerkervereinigung bildete, sich in Prag mit den Erfahrungen der Hussiten vertraut machte und als Geistlicher in Weißenfels, Aschersleben und Braunschweig wirkte. In Zwickau traf er als Prediger 1520/21 mit den Bergknappen und der unter ihnen tätigen chiliastischen Sekte der Wiedertäufer des Tuchmachers Nikolaus Storch (genannt Pelargus) zusammen. Während Luther mit seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ auf die Seite der Fürsten wechselte, trat Müntzer für eine radikale kirchliche und eine politische Erneuerung ein. 1523 wurde er Pfarrer in Allstedt bei Halle, das zum „Gegenwittenberg“ und Zentrum der reformatorischen Bewegung wurde. Im selben Jahr heiratete er die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen, mit der er einen Sohn hatte.
Mit dem „Allstedter Bund“, wollte Müntzer eine die Bauern einigende Organisation schaffen. Anfang 1525 schuf er in der Reichsstadt Mühlhausen mit dem „Ewigen Rat“ das Modell einer politischen und sozialen Umgestaltung, das er als Basis eines Bündnisses mit den städtischen Schichten sah. Mit der Vereinigung mehrerer Thüringer Haufen sollte Thüringen zum Zentrum der vereinigten Bauernbewegung werden. Nach einem erfolgreichen Feldzug im Eichsfeld traf Müntzer am 11. Mai in Frankenhausen ein und übernahm die Führung der dort versammelten Haufen.
Hier endete am 15. Mai 1525 die letzte Schlacht des großen deutschen Bauernkrieges (1524–26) mit einer Niederlage. Etwa 8 000 Bauern hatten sich auf einer Anhöhe hinter einer Wagenburg verschanzt. Das vereinigte Heer der Fürsten zählte über 10 000 erfahrene Kriegsknechte, viele beritten, und eine große Zahl Geschütze. Die Fürsten schlossen einen vierstündigen Waffenstillstand, vor dessen Ablauf sie die Wagenburg zusammenschossen und überrannten. Ein Teil der Bauern wehrte sich tapfer, wurde aber durch die Überzahl überwältigt. Viele flüchteten nach Frankenhausen, unter ihnen auch der verwundete Müntzer, der den nachsetzenden Kriegsknechten in die Hände fiel.
Müntzer, der grässlich gefoltert wurde, lehnte jeden Widerruf ab und klagte die anwesenden Fürsten nochmals unerbittlich an. Zu gegenteiligen Darstellungen vermerkt Goertz, dass ein Widerruf „durch und durch manipuliert worden“ sei. „Körperlich übel zugerichtet“ wurde er nach Mühlhausen gebracht und dort am 27. Mai enthauptet. Müntzer, dessen Geburtsjahr nicht genau bekannt ist, es war 1489 oder 1490, wurde kaum 35 Jahre alt. „Sein Tod war das Ende des Bauernkrieges in Thüringen, ungefähr zehntausend Aufständische gingen am Ende ins Verderben“, fasst Goertz zusammen. Das Buch gibt kund, dass der furchtlose Führer der Bauern und der Volksreformation ein Revolutionär war, der mit seinen kühnen Gedanken seiner Zeit weit voraus war. Wie an anderen Stellen führt der Verfasser dazu Friedrich Engels an: „ Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, die bei einer zentralisierten Nation die großartigsten Resultate erzeugt hätte, wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschauderten“.
Goertz verweist darauf, dass Müntzer in der DDR zum historischen Erbe gehörte, ihn dort „jedes Schulkind“. kannte, nach ihm „die thüringische Stadt benannt war, in der er zuletzt gewirkt hatte, Mühlhausen: Thomas-Münzer-Stadt, Arbeiterbrigaden und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, Schulen und Straßen seinen Namen trugen.“ Und der Verfasser stellt gegenüber: „Im westlichen Teil Deutschlands war Müntzer kaum bekannt. Kein Denkmal erinnerte an ihn und kein Platz.“
Im Literaturverzeichnis sind ausführlich die vorhandenen Publikationen zu Müntzer und der Forschung über ihn (etwa 400 Titel, aufgeschlüsselt nach Sachgebieten, in denen der Leser auch Publikationen des Autors findet) erfasst. Etwa 450 Anmerkungen verweisen darauf. Hinzu kommen ein Register von annähernd 300 Personen, ein Nachweis der 25 Bilder, eine Karte und eine Zeittafel.