Rede von Sergej Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation in der BRD, auf der Gedenkveranstaltung in Stukenbrock 2024

„Der neue Nationalsozialismus darf nie wieder den Kopf erheben“

Sergej Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation in der BRD

Der Erhalt der Gedenkstätte in Schloß-Holte Stukenbrock sei vor allem dem Verein Blumen für Stukenbrock zu verdanken, lobte der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, das jahrzehntelange Engagement des Vereins in seiner Rede auf der Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag am 7. September 2024 in Stukenbrock. Wir danken der Botschaft der Russischen Föderation in der BRD für die Genehmigung zum Abdruck der Rede des Botschafters, die wir hier in voller Länge dokumentieren:

Sehr geehrter Herr Kniesburges, sehr geehrter Herr Dr. Schneider,
liebe Landsleute, verehrte Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche,
sehr geehrte deutsche Kolleginnen und Kollegen, Freunde, meine Damen und Herren,

der Ort, an dem wir uns heute versammelt haben, hat eine tragische Geschichte. Mindestens 65.000 sowjetische Kriegsgefangene fielen hier der Nazi-Tyrannei zum Opfer. Sie starben an Schwerstarbeit, unerträglichen Haftbedingungen, Krankheiten und Hunger, Strafen und Misshandlungen. Ihr Leben, wie auch das von 27 Millionen sowjetischen Bürgern und Millionen Bürgern anderer Länder, wurde durch die Ideologie des Nationalsozialismus und die aggressive Politik ihrer Umsetzung vorzeitig beendet.

Den Organisatoren dieser Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag des Anfangs des Zweiten Weltkriegs, der unermessliches Leid über unser Volk gebracht hat, möchte ich meinen ganz herzlichen Dank aussprechen. Für unser Land ist die Bewahrung des Andenkens an den Großen Vaterländischen Krieg eine moralische und ethische Priorität. Das sowjetische Volk hat den höchsten Preis bezahlt. Die riesigen Opferzahlen durch eine gezielte Vernichtung der sowjetischen Bürger weisen alle Merkmale eines Völkermordes auf, was nicht geleugnet werden kann. Dies muss von allen Mitgliedern der Weltgemeinschaft, auch von Deutschland, anerkannt werden. Dennoch war es das sowjetische multinationale Volk, das entscheidend zur vernichtenden Niederlage des deutschen Nationalsozialismus beigetragen hat. Diese unbestreitbare Tatsache darf nicht in Vergessenheit geraten.

Die Gedenktraditionen und die Erinnerungskultur, die sich am Standort des Stalags 326 etabliert haben, wissen wir hoch zu schätzen. Mein besonderer Dank gilt dem Verein Blumen für Stukenbrock, dessen Aktivisten sich seit Jahrzehnten für die Bewahrung des historischen Andenkens und die Pflege der Gedenkstätte einsetzen. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass es in vielerlei Hinsicht ihrer Fürsorglichkeit zu verdanken ist, dass die Gedenkstätte bis zum heutigen Tag erhalten geblieben ist.

Es ist zutiefst symbolisch, dass wir uns gerade heute hier vor Ort zusammenfinden, weil am 8. September im Einklang mit der UNO-Resolution aus dem Jahre 1962 der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Faschismus begangen wird.

Wir danken der deutschen Seite und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für eine gewissenhafte Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem deutsch-russischen Kriegsgräberabkommen von 1992. Fast alle sowjetischen Kriegsgräber in Deutschland, und das sind mehr als 4.000, befinden sich in einem würdigen Zustand, werden regelmäßig gepflegt und bei Bedarf instand gesetzt. Eine ordnungsgemäße Erhaltung der sowjetischen Kriegsgedenkstätten in Deutschland betrachten wir als Ausdruck der historischen Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des NS-Regimes und des Bekenntnisses zur Nachkriegsaussöhnung zwischen den Völkern unserer Länder.

Wir kennen und begrüßen ausdrücklich die Pläne, die Gedenkstätte Stalag 326 umfassend zu erweitern und zu modernisieren und zu einer zentralen Gedenk- und Bildungsanlage in Deutschland zu machen, die an das tragische Schicksal von über 3 Millionen Rotarmisten in nationalsozialistischer Gefangenschaft als eine gesonderte Opferkategorie erinnert. Ich wünsche dieser Initiative eine erfolgreiche Umsetzung, vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden 80. Jahrestag des Sieges und der Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalsozialismus im Jahr 2025.

Von Herzen danke ich den in Deutschland lebenden Landsleuten und den mitfühlenden deutschen Bürgern, die sich aus eigenem Antrieb für die Instandhaltung und Pflege der sowjetischen Kriegsgräber einsetzen und dies zu ihrer Herzenssache gemacht haben.

Die Russische Föderation wird immer für die historische Wahrheit über die tragischen Ereignisse jener Jahre einstehen, die tiefe Wunden in der Seele eines jeden Bürgers unseres Landes hinterlassen haben. Der neue Nationalsozialismus darf nie wieder den Kopf erheben, egal wo und egal wann. Vielen Dank.

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