Die Verbal-Attacke des ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeisters Dirk Elbers (CDU) kam als böse Beleidigung an: Viele Städte im Ruhrgebiet seien so arm, dass er dort „nicht mal tot überm Zaun hängen“ wolle. Für seine Überheblichkeit bekam er die Quittung: Bei der Wahl 2014 verlor er sein Amt. Damit war Elbers zunächst einmal weg vom politischen Fenster. Aber die Armut der Städte im Ruhrgebiet und anderswo wurde dadurch nicht geringer. Im Gegenteil; der fiskalische Hochwasserpegel der Kommunen steigt.
Die neoliberale Denkfabrik Bertelsmann-Stiftung erkannte jüngst die Verursacher der städtischen Notsituationen: Die armen Bürgen sorgen dafür, dass die Städte ausbluten, denn die Sozialausgaben der Kommunen seien trotz guter Konjunktur in den vergangenen zehn Jahren „um mehr als 50 Prozent“(genau: 53 Prozent) gestiegen: „In 2014 summierten sie sich bundesweit auf rund 78 Milliarden Euro.“ In Duisburg (52 Prozent), Wiesbaden (54 Prozent), Eisenach (52 Prozent) und Flensburg (58 Prozent) machten die Sozialkosten mehr als die Hälfte des städtischen Haushalts aus. In der VW-Stadt Wolfsburg sind es 17 Prozent. Ein so niedriger Wert wird nicht einmal im Ländle erreicht.
Ursache für diese Etat-Belastungen ist der Kapitalismus, den die Stiftung als „struktur- und steuerschwache Städte und Kreise“ umschreibt. Die Wohnkosten aus Hartz IV machen 14 Milliarden Euro aus, noch mehr sind es bei der Sozialhilfe (27 Mrd. Euro) und bei der Kinder- und Jugendhilfe (39 Mrd. Euro). Wenn der Bund die Wohnkosten für Hartz IV-Bezieher übernähme, wäre dies der entscheidende Hebel, den armen Kommunen gezielt zu helfen. Die Kosten sind durch Gesetze festgelegt und können durch die Städte und Gemeinden nicht variiert werden. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link kennt das Konnexitätsprinzip: „Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie auch.“
Ursachen für die Wohnkosten werden in der Langzeitarbeitslosigkeit und in geringen Steuereinnahmen gesehen. Die Ursachen für diese Ursachen benennt die Studie wohlweislich nicht.
Der Bund trägt nur ein Drittel der Kosten, gemäß Koalitionsvertrag sollen es in Zukunft (ab 2018) zwei Drittel sein. Für NRW errechnete die Stiftung durch einen solchen Ausgleich eine Entlastung von 75 Prozent der jährlichen Defizite in den kommunalen Haushalten. Dieses scheinbare Licht am Ende des Tunnels hilft den Kämmerern allerdings heute nicht. Es bleibt düster in den Kommunen. OB Sören Link fordert deshalb in der Westdeutschen Zeitung, dass der Staat zu den Kosten der Eingliederung auch Wohngeld, Pflege und Asylkosten bezahlen soll.
Kassenkredite belaufen sich inzwischen auf 50 Milliarden Euro
Eine generelle Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden forderte wiederholt auch der „Deutsche Städtetag“, diesmal am Ende seiner Jahreshauptversammlung in einer „Dresdner Erklärung“. Die neue Präsidentin des Städtetages, Eva Maria Lohse aus Ludwigshafen, fordert generell: „Wir wollen Entwicklungschancen für alle Städte in Deutschland. Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse, damit die Menschen in jeder Stadt gute Chancen zur Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung, an sozialen und kulturellen Angeboten vorfinden.“ Genau diese Aufgabenstellung sieht der Städtetag gleichzeitig in Gefahr: „Damit unterstützende Maßnahmen für die Kommunen auch langfristig wirken können, ist eine Altschuldenregelung die Voraussetzung, die Perspektiven für einen schrittweisen Abbau kommunaler Altschulden schafft. Allein die Kassenkredite der Kommunen belaufen sich inzwischen auf etwa 50 Milliarden Euro.“ Sie sollen kurzfristige „Liquiditätsschwankungen“ ausgleichen und eine ordnungsgemäße Kassenwirtschaft ermöglichen und signalisieren: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Die DKP fordert deshalb für die Kommunen ein Moratorium und einen Schuldenschnitt. Michael Gerber, DKP-Ratsherr im Bottroper Rathaus: „Die Kommunen sind die Kühe der Banken. Sie werden gemolken und gemolken. Es geht nicht an, dass wir die Banken länger bedienen und schon dadurch immer mehr Schulden angehäuft werden.“
Den Investitionsrückstand bei der kommunalen Infrastruktur beziffert die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für 2015 auf 132 Milliarden Euro. Das Investitionspaket des Bundes für finanzschwache Kommunen umfasst aber nur 3,5 Mrd. Euro. Der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly fordert deshalb: „Wir brauchen eine nachhaltige Reform der föderalen Finanzbeziehungen, die auch die Investitionskraft der Kommunen stärkt.“ 60 Prozent der öffentlichen Investitionen müssen von den Kommunen gestemmt werden. Unter der Telefonnummer (02041) 70–5050 können in Bottrop seit 2012 bei der „Service-Stelle für Straßenschäden“ neue „Schlaglöcher, defekte Geh- und Radwege, beschädigte Schachtabdeckungen, Straßenabläufe und Verkehrszeichen, nicht funktionierende Straßenbeleuchtungen oder ausgefallene Ampeln gemeldet werden“. Gegen den Protest der DKP-Ratsfraktion ist die Stadt dem Stärkungspakt Kommunalfinanzen des Landes NRW beigetreten. Sie hofft auf 60 Millionen aus der Landeskasse, unterwirft sich dafür aber einer Haushaltskürzungsorgie von 11,2 Millionen Euro pro Jahr bis 2019. Kleine Löcher in der Straßendecke können jetzt vielleicht gestopft werden, nicht aber das große Loch im defizitären Stadthaushalt.
Noch ein Loch: Bottrop erreicht die bundesweite Versorgungsquote für Kinder unter drei Jahren nicht. Selbst der Trick der Gruppenvergrößerung um drei Plätze hat nicht geholfen. Es fehlt an Räumen und Personal. Die Stadt hat kein Geld für Neubauten. Private Investoren sollen bauen. Die Stadt will sich einmieten. Das fehlende Personal ist nicht nur ein Problem in Bottrop. Es fehlt bundesweit. Die Bertelsmann-Stiftung hat folgerichtig auch hier ermittelt, dass die Qualität der frühkindlichen Erziehung und Bildung zu wünschen übrig lasse. Unzureichende Quantität schlägt um in unzureichende Qualität.
Geld fehlt auch für den Sozial- und Erziehungsdienst
Selbst da, wo die Qualität erreicht wird, geht es zur Zeit ans Eingemachte, denn den erhöhten Anspruch ans Personal wollen die Kommunen nicht adäquat vergüten. Deshalb sind 240 000 Beschäftigte im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst für eine höhere Eingruppierung seit dem 8. Mai in den Streik getreten.
Sogar Düsseldorf mit seiner gezielt „errechneten“ Schuldenfreiheit kommt ins Wanken. Stadtkämmerer Manfred Abrahams (CDU) fürchtet am Ende seiner Amtszeit, dass der Kasse ein Loch von 100 Millionen Euro droht. Noch sind 14 Millionen in der Schatulle. Ende 2013 waren es aber 325 Millionen Euro. Wenn die Kasse im kommenden Monat leer sein sollte, müssten zunächst städtische Gesellschaften und Eigenbetriebe angepumpt werden. Die immanenten Ursachen trotz und wegen der Krise: Einbruch bei der Gewerbesteuer um 40 Millionen Euro, Mehreinnahmen bei der Einkommenssteuer um 12,5 Millionen Euro. Zu berücksichtigen sind Pensionszurückstellungen von 25 Millionen Euro und eine umstrittene Gewinnabgabe der Stadtsparkasse, Mietsteigerungen und schließlich steigende Lohnkosten bei den Erziehern.
In Düsseldorf sitzen angesichts dieser Situation dennoch (fast) alle in einem Boot: Im Rathaus wurde mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen und FDP beschlossen, dass der „glücklos“ abgewählte Oberbürgermeister Elbers ab sofort und lebenslang für eine Legislaturperiode im Rathaus eine monatliche „Rente“ von rund 5 000 Euro bekommt. Elbers ist 55 Jahre alt. Er macht bereits in Immobilien. Der Verkauf von Zäunen ins Ruhrgebiet gehört nicht zu seinen Angeboten.