Griechenland-„Rettung“ hat sozialdemokratische Europa-Illusionen pulverisiert

Der nackte Imperialismus

Von Klaus Wagener

Die linker Umtriebe unverdächtige „Le Monde“ titelte „Wolfgang Schäuble, Henker der Griechen, Idol der Deutschen“. Die Pariser Zeitung ist nicht die Einzige, die den deutschen Durchmarsch am vorletzten Wochenende mit Argwohn betrachtet. „Das Bild des hässlichen Deutschen ist wieder da“, bemerkt die „Süddeutsche“ „So viel Argwohn gegenüber Deutschland habe ich in Italien noch niemals erlebt“, zitiert das Blatt den Turiner Politikprofessor Gian Enrico Ruconi. Ähnliche Bemerkungen sind in der übrigen europäischen Presse leicht auffindbar.

Im Vorfeld war wieder einmal von einer „Achse Paris-Rom“ die Rede. Von einem Widerstand Matteo Renzis und François Hollandes gegen die weitere Verschärfung der Berliner Austeritätsdiktate. „Genug ist genug“, wurde Renzi zitiert. Geblieben ist davon nichts. Merkel und Schäuble hatten offensichtlich keine Schwierigkeiten über die Austerität hinaus auch noch die demonstrative Demütigung Griechenlands und seiner Regierung abgesegnet zu bekommen: Unbotmäßigkeit wird nicht geduldet. „An Empire Strikes Back“, wie der Chef der „Denkfabrik“ Stratfor, George Friedman, kommentierte.

Die Planungen für dieses „Empire“, besser bekannt als das Deutsche Reich, sind rund 150 Jahre alt. Und immer schon war die dicke imperiale Hose der Deutschnationalen und ihrer braunen Nachfolger ein paar Nummern größer als der reale ökonomische und militärische Arsch. Die Folge: Eine Mischung aus arroganter Machtpolitik, antihumanem Zynismus und spießiger Borniertheit. All das, was den chronisch zu spät gekommenen deutschen Imperialismus so widerlich macht. Inklusive zweier katastrophaler Weltkriege.

Der letzte mit derartig menschenverachtender Brutalität, dass die Herren des großen Geldes, gerettet nur durch ihre Expertise im Krieg gegen den Sozialismus, erst einmal reichlich Kreide fressen mussten. Diese Zeiten sind nun vorbei. Der deutsche Imperialismus hat wieder zu sich selbst gefunden: „Der Grieche hat lange genug genervt“, sagt CDU-MdB Thomas Strobl, was Schäuble und Merkel denken.

Das deutsche Personal von Adenauer bis Kohl hatte stets sorgfältig darauf geachtet, die strategischen Interessen des Reichs als demütiges Engagement für ein Europa „der Demokratie, des Friedens und der Einheit“, gegründet auf „Achtung und Zusammenarbeit“ (Charta von Paris, 1992) zu tarnen. Am vorletzten Wochenende durfte jeder, der es noch nicht wissen wollte, zur Kenntnis nehmen: Es ist Camouflage. Das neue Berliner Deutschland ist das alte.

Die Krise und die Großzocker hatten der Kanzlerin das ultimative Druckmittel in die Hände gespielt. Die gerade geretteten Zocker hatten begonnen gegen die Euro-Peripherie zu zocken. Der Import ihrer Zockerschulden in die Staatshaushalte machte es möglich. Frau Merkel hatte mit ihrer Kündigung von „Einheit“ und „Zusammenarbeit“ die Steilvorlage geliefert: „Jedes Land ist für seine Schulden selbst verantwortlich.“ Die Refinanzierungskosten für die „Krisenländer“ stiegen ins Untragbare. Die Staaten gerieten unter die Knute der von Berlin orchestrierten Euro-„Rettung“.

In einem Euro-Boot mit der weiter expandierenden Exportmaschine Deutschland droht auch Italien und Spanien und letztlich auch Frankreich die griechische Perspektive. Das stimmt Matteo Renzi und François Hollande sicher nicht froh. Die Crux: Sie haben ebenso wenig einen Plan B wie Alexis Tsipras. Die Sozialdemokratie hat seit Blair/Schröder ihren Anspruch auf konzeptionelle Alternativen aufgegeben und die neoliberale Formierung akzeptiert, ja sich häufig als neoliberales Stürmgeschütz positioniert. Im neoliberalen Rattenrennen der Standorte, früher Staaten, haben sie wieder zum Burgfrieden des I. Weltkriegs zurückgefunden.

Was Hollande und Renzi schweigen und Tsipras einknicken lässt, ist die alte Hoffnung, beim imperialen Euro-Großgermanien irgendwie mitmachen zu können. Den Grexit, Frexit oder was auch immer doch noch vermeiden zu können. Es ist die alte, devote Hoffnung derer, die „ihr Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkauft“ haben (Lenin), dass am Ende doch wieder ein paar Brosamen vom Tisch fallen. Eine Hoffnung, die nach Lage der Dinge, allenfalls für die Le Pens ein Konjunkturprogramm ist.

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"Der nackte Imperialismus", UZ vom 24. Juli 2015



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