Indien vor den Wahlen: Modi lässt ausgrenzen

Der Lynchmob und der Landesvater

Von Maxim Gren

Wenn am 12. April der neue Film über das Leben des indischen Premierministers Narendra Modi in die Kinos kommt, ist das Datum kein Zufall. Vom 11. April bis zum 11. Mai finden die Wahlen für das 17. indische Unterhaus, die „Lok Sabha“, statt und die Opposition ist sich einig, dass das Biopic nur einem einzigen Zweck dient, nämlich der Verklärung des autoritär und nationalistisch regierenden Modi als Vater der Nation, als gerechten Patriarchen, unter dessen Führung Indiens Glorie und Ansehen und Stärke wieder hergestellt wurde.

Die regierende Bharatiya Janata Party (BJP), der politische Arm der hindu-nationalistischen Rashtriya-Swayamsevak-Sang-Bewegung (RSS), präsentiert sich gerne in diesem Licht und der Nationalismus bildet das Hauptelement ihrer Wahlkampagne. Die Ehre der Nation wird gerettet, Indiens Aufstieg zur Weltmacht organisiert und der Hinduismus zur nationalen Religion gemacht.

Diese Offensive der konservativen Kräfte ist vor allem in dem westlichen Bundesstaat Gujarat und in Uttar Pradesh zu spüren. In Modis Heimatstaat Gujarat, in dem unter seiner Führung im Jahr 2002 bei Ausschreitungen und Lynchmobs zwischen 1000 und 2000 Moslems getötet wurden, ist die Zahl der Übergriffe auf Menschen der unteren Kasten bzw. der indigenen Bevölkerung um 32 bzw. 55 Prozent gestiegen. Insgesamt stieg die Zahl der auf Religion, Ethnie oder Kaste basierenden Übergriffe von 2014 bis 2017 um 28 Prozent.

Mit dem Staatsbürgergesetz von 2016 verweigert die Regierung Millionen muslimischer Menschen das Wahlrecht. Die meist aus Bangladesch stammenden Migranten waren in dem Gesetz, das illegalen Migranten mit hinduistischem, buddisthischem, christlichen, Sikh- oder Jain-Hintergrund die indische Staatsbürgerschaft verleiht, ignoriert worden.

Diese Polarisierung der Gesellschaft entlang der religiösen, ethnischen und kastenbedingten Spaltungslinien scheint dem altbekannten Muster der Ablenkungsstrategie der herrschenden Klasse zu folgen. Dies wird vor allem auf der Ebene der politischen Ökonomie deutlich. Die oberen 1 Prozent konnten in den letzten fünf Jahren ihren Anteil am nationalen Wohlstand von 49 auf 73 Prozent erhöhen. Die versprochenen 10 Millionen zusätzliche produktive Jobs pro Jahr blieb Modi dem Volk schuldig, die Lebensverhältnisse haben sich nicht nur nicht verbessert, sondern vielerorts, gerade im ländlichen Raum, sogar verschlechtert.

Die BJP arbeitet daran, ihre Macht auch strukturell auszubauen. Systematisch wird versucht, das Oberhaus „Rajya Sabha“ zu umgehen, die Kompetenzen der Zentralbank einzuschränken, sich in die Belange des Justizwesens einzumischen, RSS-Funktionäre in wichtigen Schlüsselpositionen zu platzieren und Gesetze zu erlassen, die die Rechte der Minderheiten beschneiden. Außenpolitisch biedert sich die Regierung derweil an die USA an und beteiligt sich rege an Washingstons Strategie der Einkreisung Chinas.

Nicht umsonst bezeichnet die Opposition die kommende Wahl als entscheidend für die Zukunft Indiens. So fußt der Gründungsmythos des Landes auf der Idee der Vielfalt in Einheit. Jawaharlal Nehru, erster Premierminister und Gründungsvater, wurde nicht müde, den Charakter Indiens als Vielvölkerstaat zu betonen. Ein Staat, in dem (zumindest theoretisch) jede Minderheit ihren durch die Verfassung garantierten Platz hat und jegliche Form der Diskriminierung bekämpft wird. Die Einheit des bürgerlichen indischen Staates nach der Unabhängigkeit konnte nur durch diese inklusive Vision gewährleistet werden. Der 1925 gegründete RSS hingegen definierte die drei größten Feinde Indiens zu dieser Zeit als 1. Muslime, 2. Christen und 3. Kommunisten. Diese Einteilung wird in leicht veränderter Form von konservativen Hindus noch heute so vorgenommen.

Ein erneuter Wahlsieg der BJP-geführten Wahlallianz „National Democratic Alliance“ (NDA) gilt als durchaus wahrscheinlich. Doch der „Long-Kisan-Bauern-Marsch“ im März 2018 mit gut 50 000 Marschierenden und der zweitägige Generalstreik mit fast 200 Millionen Streikenden im Januar dieses Jahres zeigen, dass sich breiter Widerstand gegen den BJP-Kurs formiert. Die Opposition scheint allerdings noch nicht ausreichend geeinigt und organisiert, um die Regierung aus dem Amt zu jagen.

Die Kommunistische Partei Indiens (Marxistisch) (CPI (M)) kandidiert für 45 der 543 Sitze. Bei der Wahl 2014 trat sie für 97 Sitze an und konnte neun Sitze erringen. Die meisten Kandidaturen erfolgen in den Hochburgen Westbengalens und Keralas. Dabei ist die CPI (M) größte Partei des „Left Front“-Wahlbündnisses, an dem auch die Kommunistische Partei Indiens (CPI) beteiligt ist.

Die CPI (M) ruft die indischen Wähler daher auf, die BJP-Allianz aus dem Amt zu jagen, die progressiven und kommunistischen Kräfte im Parlament zu stärken und sicherzustellen, dass eine alternative, säkulare Föderalregierung gebildet werden kann.

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"Der Lynchmob und der Landesvater", UZ vom 5. April 2019



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