Lew Jaschin, der FIFA-Torhüter des 20. Jahrhunderts

Der Löwe von Moskau

Dietrich Schulze-Marmeling,

Lew Jaschin

Der Löwe von Moskau

270 Seiten, Hardcover

Verlag Die Werkstatt Göttingen

19,90 Euro

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Zum ersten Mal liegt nun in deutscher Sprache eine umfangreiche Biographie über den Ausnahmesportler Lew Jaschin vor. Geschrieben hat sie Dietrich Schulze-Marmeling, der bereits eine Vielzahl von Büchern zur Fußballgeschichte und zu einzelnen bekannten Fußballern veröffentlicht hat. Sein Buch „Der FC Bayern und seine Juden“, mittlerweile in 3. Auflage erschienen, wurde 2011 zum „Fußballbuch des Jahres“ gewählt. Der Titel wurde auch eine Vorlage für den Fernsehfilm über Kurt Landauer, mehrfacher Präsident des Klubs. Landauer wurde verfolgt, verjagt und kehrte nach 1945 zurück nach München und zum Verein.

Die knappen Lebensdaten zu Lew Jaschin vorneweg: Geboren im Oktober 1929 in Moskau, dort gestorben im März 1990. Während des Krieges machte er eine Ausbildung zum Schlosser, 1947 zum Militärdienst einberufen, entdecken Trainer sein Talent und ab 1949 ist er offiziell Aktiver der Dynamo-Sportgemeinschaft. Noch schwankt er zwischen Eishockey und Fußball, aber ab 1953 wird er die Nummer Eins im Fußballteam und gewinnt ein Jahr später mit seiner Mannschaft die sowjetische Meisterschaft. Davon kamen in den nächsten Jahren noch vier weitere hinzu. Ab 1956 stand er auch im Tor der Nationalmannschaft und bestritt bis 1967 insgesamt 76 Länderspiele.

International zählen zu seinen großen Erfolgen die Titel Europameister 1960 und Vize-Europameister 1964 wie auch der vierte Platz bei der Weltmeisterschaft 1966.

Der damalige Chefredakteur des „Kicker“, Dr. Friedebert Becker, lobte seine Reaktionsschnelligkeit, seine „robuste Selbstbehauptung im Nahkampf“ und seinen Instinkt beim Herauslaufen. Viele sehen Jaschin als den ersten „modernen“ Torhüter: Er war nicht nur – wie einige andere auch – ein Meister auf der Torlinie, er beherrschte den Strafraum und war oft Taktgeber und Initiator für eingeleitete Angriffe seiner Mannschaft. Diese Fähigkeiten, neben seiner gerühmten Reaktionsgabe, hoben ihn aus der Riege der Klasse-Torhüter hinaus, heute würde man vielleicht Manuel Neuer vom FCB nennen können. Er erhielt Auszeichnungen wie „FIFA-Torhüter des 20. Jahrhunderts“, „Torhüter der Fußball-Weltauswahl des 20. Jahrhunderts“ und „Sportler des 20. Jahrhunderts“ durch das IOC und spielte mehrmals im WM-All-Star-Team und im EM-All-Star-Team.

Auch sein Land, die Sowjetunion, und seine Partei, die KPdSU, ehrten ihn. Als einziger Fußballer erhielt er den Lenin-Orden der SU, er wurde ausgezeichnet als „Held der sozialistischen Arbeit“, bekam den Verdienstorden Roter Stern und den Kreml-Orden. Und dies alles völlig zu Recht, denn er war ein Bürger, der es für selbstverständlich hielt, Mitglied der Partei zu sein, die Parteihochschule zu besuchen und als Abgeordneter des Moskauer Stadtsowjets zu arbeiten. Nach seiner aktiven Karriere ist Jaschin in der Fußballabteilung des Sportministeriums zuständig für alle Nationalmannschaften. Ideal für die Propaganda von „neuen Sowjetmenschen“ eignet er sich jedoch nur, wenn einige Laster unerwähnt bleiben: Jaschin rauchte zeit seines Lebens wie ein Schlot und dem Volksgetränk Wodka war er beileibe nicht abgeneigt. Er selbst sah keinen Anlass, die im zugetragene Rolle nicht zu spielen, er blieb authentisch, und zu seiner Zeit rauchten viele Sportler auch im Westen „wie die Schlote“ und der Alkohol war auch hier alltäglicher Kamerad und Freund.

Jaschin wurde im Alter von Krankheiten heimgesucht, bekam Magengeschwüre und beide Beine mussten ihm amputiert werden – die letzten sechs Jahre verbrachte er im Rollstuhl.

Einige deutsche Nationalspieler seiner Zeit wurden gute Freunde auch über die sportliche Zeit hinaus, Jaschin selbst zählte Uwe Seeler, Willi Schulz, Karl-Heinz Schnellinger und den damals noch sehr jungen Franz Beckenbauer dazu. Seine Haltung in Zeiten des sehr kalten Krieges und gerade mal 15, 20 Jahre nach dem Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht auf sein Land, machte er mit den Worten klar: „Wir (damit sind er und seine Ehefrau Walentina gemeint) betrachten die Deutschen nicht als Feinde, sondern als Freunde. Wir sehen Deutschland nicht als ein Land, gegen das wir Krieg geführt haben.“

Dietrich Schulze-Marmeling hat auf den rund 260 Seiten seines Buches informativ und kenntnisreich nicht nur das Sportliche und Persönliche dieses Ausnahmesportlers ausgebreitet, dazu eine Menge von Fotos, man erfährt viel über diese Zeit, in der westdeutsche Politiker noch von der Sowjetunion und „dem Russen“ sprachen, der kurz davor sei, unser Wirtschaftswunderland zu überfallen. Aber es gab auch andere Deutsche – und dazu zählten auch eine ganze Reihe von Sportlern.

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"Der Löwe von Moskau", UZ vom 28. April 2017



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