Erasmus Schöfer
Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers
Broschur, 144 Seiten, 12,-Euro
Verbrecher Verlag
Odüsseas von I. war ein königlicher Held, der lange vor dem berühmten Sokrates in Griechenland ein ebenso berühmtes Heldenleben geführt hat. Zwar hat ihn von den Griechen, die wir kennen, keiner gesehn. Von ihm erzählt aber wurde so oft und interessant, dass er in der Antike zu den bekanntesten griechischen Fürsten gehört. Und das ist bis heute so geblieben!
Nun waren griechische Männer bekanntlich nicht nur schön, wie wir von den Marmorstatuen in unsern Museen wissen, sondern sie liebten es auch, sich die schönen Gestalten bis aufs Blut und sogar bis zum Tod zu verunstalten, um dadurch unsterblich berühmt zu werden. Ich weiß nicht, wer ihnen diesen Unsinn eingeredet hat – der sich ja bis heute in bestimmten Kreisen der modernen Gesellschaften festgesetzt hat.
Dieser Odüsseas von I. war nun zwar ein Mann der sich auch mutwillig in Gefahren und Kämpfe begeben hat. Ich kann ihm aber dennoch eine Kalendergeschichte widmen, weil er sich dadurch beispielhaft vom Gros seiner militanten Mithellenen unterschieden hat, dass er kein Haudegen war, sondern versucht hat, deren Kämpfe ohne Waffen, nur mit Köpfchen, unblutig zu gewinnen.
Das hat er nicht immer geschafft, und am Ende seiner kriegerischen Laufbahn, als Frauengeschichten im Spiel waren, ist er – offenbar aus besinnungsloser Eifersucht – total ausgerastet (wird behauptet). Muss ein früher Fall von Amoklauf gewesen sein.
Vor dieser berühmten und gut befestigten Stadt am kleinasiatischen Skamandros, deren Mauern die griechischen Invasionstruppen seit Jahren vergeblich berannt hatten, hat er seinen unvergesslichen Geniestreich gelandet. Er hat nämlich, handwerklich geschickt wie er war, mit ein paar Helfern ein sauriergroßes hölzernes Pferd, fahrbar, gebaut, innen hohl, in dem er sich mit einer Handvoll seiner Genossen versteckt hat.
Die griechischen Heerführer schüttelten ihre Heldenköpfe, dachten: jetzt spinnt er mal wieder, dieser verdrehte König. Sie ließen sich aber, angesichts der frustrierend erfolglosen Belagerung, überreden, eine Abreise ihrer Invasionsflotte vorzutäuschen. Da fühlten sich die belagerten Städter endlich erlöst und endlagert und schleppten das zurückgelassene Pferd als Kriegsbeute in die Stadt. Zu diesem Zweck demolierten sie sogar ihre Stadtmauer, weil die Trophäe durch kein Tor passte. Und feierten ausgelassen den Erfolg ihrer Ausdauer.
In der Nacht nach der feuchtfröhlichen Siegesfeier stiegen dann Odüsseas und seine Genossen aus dem Pferdebauch und schlichen sich unbemerkt in den Königspalast. Dort nahmen sie den alten König als Geisel gefangen und zwangen so die Stadtverteidiger, sich den Griechen kampflos zu ergeben. Das war keine schlechte Lösung, denn mit den durch die kaputte Mauer nachrückenden kriegsmüden Soldaten wurde dann eine alle erlösende Friedensfeier veranstaltet – drei Tage lang!
Diese Feier nahm ein tragisches Ende. Durch die Freudenfeuer wurde ein verheerender Brand verursacht, der die Stadt großenteils zerstörte und viele Opfer forderte. Im ruhmredigen Athen wurde allerdings dieses Ereignis als heldische Großtat der griechischen Truppe kolportiert und jede Erwähnung der tatsächlichen Versöhnungsfeier wurde unter strenge Strafe gestellt.
Das war nur möglich, weil der listige König Odüsseas mit seinen Schiffen jahrelang auf dem Mittelmeer verschollen war und deshalb die Wahrheit nicht ans Licht kommen konnte.