Auf dem Sonderparteitag der SPD im Dezember 2017 hatte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert ausgeführt: Seine Generation müsse in ca. 15 Jahren die Führung der Partei übernehmen. Deshalb dürfe sie nicht zulassen, dass der „Laden“ – so sprach er wirklich – vorher durch den neuerlichen Eintritt in eine Große Koalition an die Wand gefahren werde. Auf dem nächsten Parteitag, am 21. Januar 2018, rechnete die SPD-Führung vor, dass sie in den Sondierungen mit der Union einiges herausgeholt habe: eine „Grundrente“ für Geringverdiener(innen), die immerhin etwas über der Mindestsicherung liege, paritätische Einzahlungen in die Krankenkassen, eine Mindest-Ausbildungsvergütung. Gehe man nicht in eine Groko, sei das alles wieder futsch und bei Neuwahlen drohe eine vernichtende Niederlage.
Damit bekam Kühnert ein Problem. Das von ihm befürchtete Auseinanderfliegen des „Ladens“ droht nicht erst 2021 zu kommen, nachdem die SPD sich in eine Große Koalition begab, sondern schon bei einer Neuwahl 2018.
Katarina Barley, Ministerin für Arbeit und Soziales, führte aus: Ein Problem der SPD bestehe darin, dass ihre akademisierte Führung nicht in demselben sozialen Milieu lebe wie die ärmeren Menschen, von denen sie gewählt werden wolle. Das sei dann nicht weiter schlimm, wenn sie deren Interessen gut vertrete. Frau Barley ist Juristin. Sie meint: die Partei habe ein advokatorisches Verhältnis zu den Unterschichten. Das ist ehrlich und realistisch. Bei den bürgerlichen Parteien, vor allem der FDP, atmet das politische Personal dasselbe Parfüm wie das ökonomische. Den Führungen von sich als links verstehenden Parteien – nicht nur der SPD – fehlt der Stallgeruch einer Basis. Die bourgeoise Leitung der AfD schmiert ihn sich künstlich ins Gesicht, damit ihre dumpfbackige Gefolgschaft nicht merkt, wie sie hinters Licht geführt wird.
Überraschenderweise argumentierte das SPD-Establishment auf dem Parteitag sozialpolitisch inhaltlich, wenngleich wohl vor allem zu dem Zweck, seine Haut zu retten. Kevin Kühnert dagegen vertrat letztlich Apparat-Interessen: der „Laden“ dürfe sich nicht selbst zerstören. Andrea Nahles wies darauf hin, genau das aber passiere bei dem „Scheitern“, von dem der Juso-Vorsitzende einige Tage später sagte, es müsse eine „Option“ sein. Jetzt konnte ihm vorgehalten werden, er wähle den sofortigen Selbstmord statt des langsamen Siechtums, gegen das bis 2021 ja vielleicht noch eine Wundermedizin gefunden werde.
Der Sache nach besteht kein Gegensatz zwischen Schulz/Nahles einerseits, Kühnert und den Jusos andererseits. An der Agenda 2010 wird nicht gerüttelt, trotz einiger durchaus sinnvoller Nachbesserungen. Der militärische und außenpolitische Kurs der SPD kam noch nicht einmal zur Sprache, offenbar haben die Jusos nichts dagegen einzuwenden. Worin die Erneuerung der Partei bestehen soll, die sie fordern, bleibt unklar. Vielleicht ist es ein eher optisches Problem. Als Redner für die Groko trat der Zombie Scharping auf. Der DGB-Vorsitzende Hoffmann wirkte wie ein alt gewordener Säugling, berief sich auf vieljährige Erfahrung in Brüsseler Einrichtungen und konnte so als Repräsentant jener Abgehobenheit durchgehen, die einer wachsenden Zahl von Mitgliedern offenbar höchst zuwider ist.
Tapeten- und Gesichterwechsel: ja. Aber die Richtung eines Kurswechsels wurde nicht einmal im Ansatz sichtbar. So könnte es am Ende bei einem Generationen- und Karrierekampf um die Kommandobrücke auf einem leckgeschlagenen Schiff bleiben. Die Mainstream-Medien machen Kühnert gerade zum Star. Mehrheitlich sind sie für die Große Koalition. Noch. Eine schöne bürgerliche Mehrheit nach Neuwahlen, kombiniert mit einem Absacken der SPD auf das Stimmenniveau ihrer französischen und niederländischen Schwesterparteien, wäre ihnen wohl lieber.
Vielleicht geht da noch was.