Referat auf der 5. PV-Tagung

Der kubanische Weg zum Sozialismus

Renate Koppe, internationale Sekretärin der DKP, referierte auf der 5. Tagung des DKP-Parteivorstandes (17./18. April 2021) über den kubanischen Weg zum Sozialismus. Dabei legte sie einen Schwerpunkt auf die ökonomischen Entwicklung Kubas und die Veränderungen seit der Revolution, die Probleme nach der Niederlage des Sozialismus in der Sowjetunion und Osteuropa sowie auf die Entwicklung danach. Wir veröffentlichen im Folgenden ihr Referat, das zeitgleich mit dem 8. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas stattfand, dessen Ergebnisse also nicht berücksichtigt werden konnten.

Ich beginne kurz mit den Voraussetzungen des kubanischen Wegs zum Sozialismus, das heißt, der Geschichte. Kuba war seit dem 16. Jahrhundert spanische Kolonie. Die ursprünglichen Einwohner wurden praktisch ausgerottet. Seit dem 17. Jahrhundert wurden afrikanische Sklaven nach Kuba gebracht. Diese wurden mit dem Beginn des Zuckerrohranbaus im 18. Jh. immer zahlreicher, zu Beginn des 19. Jh. lebten auf Kuba etwa 400.000 Sklaven. 1868 begann der Kampf um die Unabhängigkeit (Manuel de Céspedes), die revolutionäre Armee unterlag nach zehn Jahren Krieg. Im zweiten Unabhängigkeitskrieg ab 1895 (José Martí) wurde die spanische Flotte mit Unterstützung von US-Truppen 1898 besiegt, was allerdings nicht zur Unabhängigkeit führte, sondern dazu, dass Kuba eine US-Kolonie wurde. De facto blieb Kuba das bis zur Revolution. Auch die Abschaffung der Sklaverei führte nicht zu einer Verbesserung der Lage der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Weit über die Hälfte der Menschen hatte weder Wasser noch Stromversorgung und besuchte nie eine Schule. 1900 wurde die erste Verfassung Kubas beschlossen, die das Interventionsrecht der USA festschrieb. Damals wurde den USA das Recht auf Militärstützpunkte gewährt, einer von diesen – Guantánamo – existiert bis heute. In den folgenden Jahrzehnten, in der US-gestützte Diktaturen nur kurzzeitig von einer sogenannten Übergangsregierung abgelöst wurden, wurde der US-amerikanische Einfluss politisch vorherrschend und ökonomisch immer weiter ausgebaut: Der Zuckeranbau wurde weiter verstärkt. Der Außenhandel von den USA kontrolliert. Eine eigene industrielle Entwicklung gab es nicht. Kuba war vollständig von US-Importen abhängig, gegen die sich einheimische Produzenten nicht behaupten konnten. Auch die Bodenschätze und deren Abbau waren fast vollständig in der Hand von US-Konzernen.

Der Widerstand gegen den Kolonialismus und die Ausbeutung konnte seit den Unabhängigkeitskriegen trotz brutaler Repressionen nie unterdrückt werden. Widerstand gab es sowohl bei Bauern als auch bei Arbeitern – es gab immer wieder Streikbewegungen – als auch unter Intellektuellen.

1953 begann die kubanische Revolution mit einem Angriff auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba unter Führung von Fidel Castro. Dieser Versuch, das Regime zu stürzen, misslang. Castro wurde inhaftiert und ging zwei Jahre später nach Mexiko ins Exil. Im Dezember 1956 landete er mit weiteren 82 Mann mit der Jacht Granma in Kuba und begann mit dem Aufbau einer Revolutionsarmee, die in der Bevölkerung starke Unterstützung hatte. Zunächst erkämpften sich die Revolutionäre den Osten der Insel. Am 1. Januar 1959 floh der Diktator Batista ins Exil in die USA und im Februar übernahm Fidel Castro das Amt des Ministerpräsidenten.

Geschichte seit der Revolution

Auch darauf gehe ich nur kurz ein. Nachdem zunächst eine Landreform stattfand und die US-Konzerne verstaatlicht wurden, wurden wenige Jahre später auch die Unternehmen der nationalen Bourgeoisie verstaatlicht. Das Gesundheitswesen und das Bildungswesen wurden zügig ausgebaut, der Analphabetismus erfolgreich bekämpft, Wohnraum geschaffen. Eine Zahl als Beispiel: 1959 kam ein Arzt auf 1400 Einwohner, inzwischen sind es nur noch 150 Einwohner, die von einem Arzt versorgt werden.

Ab Mitte 1959 treten die ersten Sanktionen von Seiten der USA und des Westens in Kraft, ab 1962 die Blockade. 1961 misslang ein militärischer Interventionsversuch der USA in der Schweinebucht. Von Seiten der USA beginnt nun das seit Jahrzehnten andauernde Destabilisierungs- und Terrorprogramm. Außenpolitisch wurde nach einigem Zögern auf beiden Seiten ein Bündnis mit der Sowjetunion geschlossen. Dieses bezog sich auch auf den ökonomischen Bereich: Kuba erhielt Kredite von Seiten der UdSSR, es wurden langfristige Verträge über Lieferung von Öl gegen Zucker abgeschlossen. 1972 wurde Kuba Mitglied des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Ab 1968 wurden auch alle Betriebe im Handels-, Handwerks- und Dienstleistungsbereich verstaatlicht. Privat waren seit 1970 nur noch bäuerliche Kleinbetriebe. 1975 wurde die erste sozialistische Verfassung Kubas in einem Referendum beschlossen.

Kubanische Wirtschaft ab den 1980er Jahren

Die Arbeitsteilung innerhalb des RGW hatte für eine fortgeschrittene Spezialisierung in vielen Industriezweigen gesorgt. Über 700 Produkte wurden aus sozialistischen Staaten zu günstigen Konditionen importiert, die Industrie Kubas war systematisch in das ökonomische System des RGW eingebunden. Es gab eine klare internationale ökonomische Arbeitsteilung, das heißt, in Kuba wurde weiterhin stark auf den Zuckerrohranbau gesetzt und weitgehend auf eine Diversifizierung verzichtet. Die Unterstützung innerhalb des RGW war sehr stark. Es wurde beispielsweise eine große Menge Rohöl an Kuba geliefert, das dort weiterverarbeitet und wieder exportiert wurde, welches einen Anteil von etwa 40 Prozent der Deviseneinnahmen Kubas ausmachte. Auch bei der Zuckerindustrie gab es feste Abnahmequoten. Die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten war zwar weitaus geringer als vor der Revolution, aber immer noch sehr hoch. Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung im Rahmen des sozialistischen Systems war dies mit Sicherheit eine effektive Lösung, stellte sich jedoch später, mit der Niederlage des Sozialismus in der Sowjetunion und Osteuropa, als sehr problematisch heraus.

Diese Problematik begann bereits mit der Wahl von Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU. Bereits 1986 reduzierte die Sowjetunion den Zuckerpreis und den Preis für Nickel, während gleichzeitig die Preise für Lieferungen zum Beispiel von Fahrzeugen oder Zement an Kuba erhöht wurden.

Mit der Niederlage des Sozialismus und der Zerstörung der Sowjetunion brach diese Zusammenarbeit endgültig zusammen. Die Russische Föderation hielt die Zusagen der Sowjetunion nicht aufrecht. Ebenso wenig wie die BRD die DDR-Verträge. Sowohl große Teile des Imports als auch des Exports brachen weg. Viele Industriebetriebe standen still. In der Landwirtschaft gab es große Probleme (es fehlte an Düngemittel, Pestizide, Treibstoff), es kam zu Nahrungsmittelknappheit.

In den 1990er Jahren nahm die Knappheit an Konsumgütern weiter zu, wobei die Preise dennoch konstant blieben. Auch die Löhne wurden weiter ausgezahlt. Um das zu gewährleisten, nahm die Geldmenge bis 1993 von zuvor 4,2 Milliarden Pesos auf 11 Milliarden Pesos zu. Der inoffizielle Wechselkurs zum US-Dollar sank von 5 bis 7 Pesos auf 100 Pesos oder mehr.

Der Dollar wurde auf dem Schwarzmarkt zur beherrschenden Währung, es wird geschätzt, dass 1993 etwa 500 Millionen Dollar außerhalb des regulären Geldsystems im Umlauf waren. 1993 wurde der Devisenbesitz (also US-Dollar) legalisiert und Teile des ohnehin entstandenen Schwarzmarktes institutionalisiert (Bauernmärkte, Zulassung eines privaten Wirtschaftssektors). Gleichzeitig wurde der Tourismussektor als einer der wichtigsten Devisenbringer stark ausgebaut. Außerdem gab es Maßnahmen, die exportorientierte Zuckerproduktion teilweise umzustellen.

Gleichzeitig wurde die Wirtschaftsblockade von Seiten der USA weiter verschärft: Mit dem Torricelli-Gesetz von 1992 („Cuban Democracy Act“, von Demokraten initiiert, untersagt auch Tochtergesellschaften von US-Unternehmen jeglichen Handel mit Kuba, ebenso jegliche Überweisungen nach Kuba) und dem Helms-Burton-Gesetz von 1996 („Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act“, von Republikanern initiiert, weitere Verschärfung der Blockade).

Das duale Währungssystem ab 1994

Der Peso Cubano (CUP) ist die ursprüngliche nationale Währung. Zusätzlich wurde der Peso Convertible (CUC) eingeführt, der an den Wechselkurs des US-Dollars gebunden war. Der CUP kann in CUC umgetauscht werden, CUC dagegen war frei konvertibel. Es war ursprünglich als Notlösung in der Sonderperiode gedacht, war dann aber jahrzehntelang bis Ende 2020 gültig. Ein CUC (der einem US-Dollar entsprach und an diesen gekoppelt war) entsprach 24 CUP. Es gelang damit bis 2004 den Dollar zu verdrängen, der wieder verboten werden konnte. Devisenbezogene Güter wurden nun außerhalb des staatlichen subventionierten Preissystems für die Grundversorgung mit CUC gehandelt. Damit bekam man einen Teil des Schwarzmarkts unter Kontrolle, der in gewisser Weise „legalisiert“ wurde. Auf volkswirtschaftlicher Ebene führte dies, auch wenn es nicht beabsichtigt war, zur Entstehung von zwei Kategorien von Staatsbetrieben: solche, die ihre Devisen selbst erwirtschaften können und solche, die auf staatliche Devisenzuteilungen angewiesen sind. Dabei wurde bis zum Schluss dieses Systems der Wechselkurs von einem Dollar zu einem CUC beibehalten, auch wenn dies natürlich in keiner Weise die Marktverhältnisse abbildete. Dies machte für die Betriebe, die Devisen selbst erwirtschaften konnten, dieses nicht attraktiv, weil sie für 500 Dollar, die erwirtschaftet wurden, nur 500 CUP (= 20 US-Dollar) erhielten.

Auf der anderen Seite wurden Importe für die einzelnen Betriebe günstig, die so entstehenden Defizite wurden vom Staatshaushalt ausgeglichen. Teilweise wurden dann eigene Wechselkurse zwischen CUP und CUC für bestimmte Wirtschaftsbereiche eingeführt. Das Planungssystem wurde immer schwieriger und unübersichtlicher. Ob ein Betrieb effektiv arbeitete, ließ sich nur anhand aufwendiger Berechnungen feststellen oder auch nur grob schätzen. Ein großes Problem war, dass für einzelne Betriebe der Import aufgrund der oben genannten Berechnungen günstiger war als die Auftragsvergabe auf dem Binnenmarkt. Es wurde auch begonnen, Teile der Löhne in CUC auszuzahlen, was sich in der Buchhaltung einzelner Betriebe nur verfälscht widerspiegelte, da ein CUC dort einem CUP entsprach.

Zuletzt erhielt ein Drittel der in Staatsbetrieben Beschäftigten Teile des Lohnes in CUC. Gleichzeitig wurde die Ungleichheit in der Bevölkerung verstärkt, da ein großer Teil der Bevölkerung (2013 waren es 40 Prozent) keinen Zugang zum CUC hatte. Gleichzeitig führte es dazu, dass dringend benötigte Fachkräfte sich fachfremde Tätigkeiten zum Beispiel im Tourismussektor suchten.

Wie schon aus dieser kurzen Zusammenfassung deutlich wird, waren und sind die ökonomischen und sozialen Probleme enorm. Das war aber nicht anders zu erwarten. Es ist schon eine enorme Leistung des kubanischen Volkes und seiner Regierung, nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in der Sowjetunion und Osteuropa einen solchen Prozess auf Kuba zu verhindern. Die geschilderte Notlösung, die zur Rettung der Revolution notwendig war, war niemals als dauerhafte Lösung gedacht. 2008 bis 2010 gab es eine weitere Zuspitzung der Krise durch die Folgen von Hurrikans und der weltweiten kapitalistischen Krise. Die sich damit verschärfende Devisenknappheit, die durch konsequente Sparmaßnahmen bekämpft wurde, machte eine Aufhebung des Systems aber unmöglich.

Ab 2011 wurden aufgrund all dieser Probleme abermals Reformen diskutiert und beschlossen (auch 1975, 1986 und 1992/92 gab es bereits intensive Reformdiskussionen). Der jetzt durchgeführte Reformprozess hat also vor bereits zehn Jahren begonnen. „Wir können nicht mehr länger auf Messers Schneide balancieren“, sagte Raúl Castro damals. Eine Währungsreform, die die Abschaffung der doppelten Währung vorsah, wurde bereits damals geplant. Ein weiteres Thema war damals die Ineffektivität staatlicher Betriebe, die die Entwicklung der Produktivität eingeschränkte.

Im Jahr 2020 kam es zu einem Einbruch des Tourismus aufgrund der Corona-Pandemie. Unter anderem dieses führte dazu, dass die Importe 40 Prozent unter den Planziffern lagen. Dies betraf wegen fehlender Futter- und Düngemittel auch die Landwirtschaft. Es kam zu akuten Versorgungsproblemen. Bereits zuvor, 2019, war es auch wegen der Sanktionen im Energiebereich zu großen Problemen gekommen, was auch wieder zur Zirkulation des Dollars im Einzelhandel (in Form von Kreditkarten führte).

Mitte 2020 wurden weitreichende Reformen eingeleitet:

  • Produktions- und Dienstleistungsgenossenschaften (seit 2014 auch über den Landwirtschaftsbereich hinaus zugelassen) dürfen sich künftig frei gründen.
  • Die Liste „erlaubter Berufe“ im Privatsektor wird durch eine Negativliste „nicht erlaubter“ ersetzt. Bisher waren 127 Berufe von 2110 Berufen im Privatsektor erlaubt, jetzt sind nur noch 124 ganz oder teilweise ausgenommen. Zu diesen 124 gehören Berufe in Bildung, Gesundheit, Medien, Militär, Großhandel, Wasser- und Energiewirtschaft. Kaum Einschränkungen gibt es jedoch in den Bereichen Landwirtschaft, Baugewerbe, produzierende Industrie und IT. Gleichzeitig werden im landwirtschaftlichen Bereich die Vermarktungsmöglichkeiten für private Betriebe erweitert.
  • Staatsbetriebe dürfen eigene Devisenkonten betreiben, Produkte und Preise gestalten, Exporte selbständig vornehmen, deren Gewinne zu 80 Prozent im Betrieb bleiben, um diesen auszubauen. Es gibt Sonderkonditionen für „Hochtechnologiebetriebe“ im staatlichen Bereich.
  • Ab dem 1.1. 2021 ist der CUC verschwunden und der Peso erhielt nun einen einheitlichen Wechselkurs von 24:1 zum US-Dollar, der für die gesamte Ökonomie gilt. Dadurch haben sich die Kosten für viele Staatsunternehmen enorm erhöht, was sich auch im Handel niederschlägt.
  • Um dies auszugleichen, gilt seit Anfang des Jahres ein Mindestlohn von 2.100 Pesos. Durch neue Lohnskalen sollen die unteren Lohngruppen überproportional gewinnen. Einige Beispiele: Das Einstiegsgehalt einer Pflegekraft liegt jetzt bei 3.110 Pesos und steigt in vier Schritten auf 4.610 Pesos für die höchste Fortbildungsstufe. Der Lohn eines Grundschullehrers beträgt 4.010 Pesos. Ein Hochschuldozent verdient mit 5.060 Pesos genau gleich viel wie ein Familienarzt im ersten Jahr. Der Leiter einer Behörde oder ein Betriebsdirektor kann mit mindestens 7.310 Pesos rechnen. Ein Bürgermeister wird mit 7.660 Pesos, ein Gouverneur mit 8.510 Pesos entlohnt. Deutlich wird hier, dass die Lohnunterschiede im Vergleich zu kapitalistischen Ländern sehr gering sind. Die Lohnskalen gelten in allen staatlichen Unternehmen. Gleichzeitig sind in der Industrie sämtliche Beschränkungen für Prämien entfallen, die jetzt allein durch das Betriebsergebnis bestimmt werden, was bei gewinnbringenden Unternehmen dazu dient, Arbeitskräfte zu binden. Gleichzeitig ist klar, dass dies auch sehr negative Folgen haben kann. Erstmals gibt es auch Sozialabgaben zur Rentenfinanzierung von fünf Prozent sowie eine Einkommensteuer von drei bzw. fünf Prozent je nach Einkommen.
  • Die Mindestrente wurde von 280 Pesos auf 1528 Pesos erhöht, wobei alle Renten um diesen Mindestrentenbetrag erhöht wurden.
  • Insgesamt wird das Ziel verfolgt, „exzessive Subventionen und Gratisleistungen“ abzuschaffen, wie Diaz-Canel sagte. Das heißt, sehr weitgehende staatliche Subventionen sollen zurückgefahren werden. Dadurch steigen die Preise, während gleichzeitig die Löhne erhöht werden. Damit soll der Anreiz geschaffen werden, einer offiziellen Beschäftigung nachzugehen, was derzeit nur 64 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter tut. 2011 waren es noch 76 Prozent. Im Rahmen dieser Politik werden nun auch Grundnahrungsmittel zum Erzeugerpreis verkauft, was teils zu erheblichen Preissteigerungen führt (ein Beispiel: ein Pfund Reis kostet nun statt 0,25 Pesos 6 Pesos). Dies bezieht sich nicht auf die Sonderzuteilungen beispielsweise für Kleinkinder und nicht auf Medikamente. Dass damit die Gefahr einer Inflation entsteht, liegt auf der Hand. Daher wurde für den Privatsektor ein maximaler Faktor von 3 für Preiszuwächse definiert (während die staatlichen Löhne um einen Faktor 4,9 gewachsen sind).
  • Für staatliche Betriebe, die in finanzielle Probleme geraten, gibt es einen Sonderfonds für Hilfskredite. Die Betriebe sollen jedoch aus eigener Kraft in die „schwarzen Zahlen“ kommen. Hierbei handelt es sich um Produktionsbetriebe, nicht um Infrastrukturbetriebe.

Bei all dem wird betont, dass der sozialistische Entwicklungsweg dadurch nicht verlassen, sondern gestärkt werden soll. Das heißt, dass die sozialen Garantien für die Bevölkerung, die Errungenschaften etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen erhalten bleiben sollen.

Inwieweit diese Reformen erfolgreich sein werden, wird sich zeigen müssen. Sicher bergen sie eine Menge Gefahren durch die Zunahme des Privatsektors. Hier wird sicher sehr viel von geeigneten Kontrollmaßnahmen abhängen. Und sicher auch davon, wie der kapitalistische Privatsektor sich weiterentwickeln wird. Derzeit sind alle Großunternehmen noch in staatlicher Hand und daran scheint bislang keine Änderung geplant zu sein.

Einen Monat nach Beginn dieser Reformen, im Februar dieses Jahres, haben Vertreter der kubanischen Regierung eine erste Zwischenbilanz gezogen. Es gab erhebliche Einsparungen beim Energieverbrauch: in Havanna wurde um 18 Prozent weniger verbraucht als erwartet. 80.000 Personen, die bisher im informellen Sektor beschäftigt waren, haben sich bei den Arbeitsämtern gemeldet. Die Hälfte konnte vermittelt werden. Es gibt allerdings auch Fälle überhöhter Preise und Versorgungsprobleme. Vieles ist nur über den Schwarzmarkt erhältlich. Der massive Devisenmangel besteht nach wie vor, was mit dem Einbruch des Tourismus zusammenhängt.

Eine ausführlichere Bilanz der bisherigen Ergebnisse der Reformen wird sicher beim Parteitag der KP Kubas gezogen werden, der dieses Wochenende stattfindet.

Obwohl ich mich in dem Referat vor allem auf ökonomische Prozesse konzentriert habe, sollte auch die 2019 in einem Referendum breit bestätigte und zuvor ebenso bereit diskutierte neue Verfassung erwähnt werden. Denn diese macht deutlich, dass es in Kuba tatsächlich nicht von einer Rückkehr zu kapitalistischen Verhältnissen die Rede ist. Gleichzeitig sind in der Verfassung auch die neuen Herangehensweisen in der Ökonomie festgehalten. In der Verfassung ist die führende Rolle der KP als marxistischer und leninistischer Partei festgehalten, der Aufbau des Sozialismus bis hin zu einer kommunistischen Gesellschaft (letzteres, die kommunistische Gesellschaft, kam im Rahmen der Verfassungsdiskussion in die Verfassung). Es heißt allerdings nun von der Partei „organisierte Avantgarde der kubanischen Nation“ statt wie in der alten Verfassung „marxistisch-leninistische Avantgarde der Arbeiterklasse“.

Auch zur Ökonomie wird in der Verfassung die staatliche Planung und Kontrolle festgeschrieben: „Die Konzentration von Eigentum bei natürlichen oder juristischen, nicht-staatlichen Personen wird vom Staat reguliert, der darüber hinaus eine immer gerechtere Verteilung des Reichtums garantiert, um die mit den sozialistischen Werten von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit vereinbaren Grenzen einzuhalten.“

Die vorherrschende Rolle der Planung und des sozialistischen Staatsbetriebs wird auch im finalen Text weiter beibehalten. Allerdings genießen diese im Unterschied zur 1976er Verfassung heute Autonomie in der Verwaltung, womit der in den letzten Jahren erfolgten Gründung staatlicher Unternehmensgruppen, welche die Ministerien bei der direkten Steuerung der Wirtschaft ablösten, Rechnung getragen wird. Artikel 27 führt aus: „Das sozialistische Staatsunternehmen ist Hauptgegenstand der nationalen Ökonomie. Es verfügt über Autonomie in seinem Management und seiner Verwaltung, übt die wichtigste Rolle bei der Herstellung von Waren und Dienstleistungen aus und kommt seinen sozialen Verpflichtungen nach.“

Neu hinzu kam Artikel 20, der die Beteiligung der Arbeiter an der Planung regelt: „Die Arbeiter beteiligen sich an den Planungsprozessen, an der Regulierung, Verwaltung und Kontrolle der Wirtschaft. Das Gesetz reguliert die Beteiligung der Arbeitskollektive im Management und der Verwaltung der staatlichen Unternehmenseinheiten sowie den vom Staat budgetierten Einrichtungen.“

Interessant ist es nun, die Reformen auf Kuba in einem Gesamtzusammenhang zu bringen. Welche Rolle spielen Marktmechanismen und sogar kapitalistische Wirtschaftssektoren bei der Entwicklung eines sozialistischen Systems? Das lässt sich sicher nicht allgemein beantworten. Wie die Neue Ökonomische Politik in der frühen Sowjetunion war der Beginn der Wiederzulassung von Privatunternehmen auf Kuba das Ergebnis einer extrem schwierigen wirtschaftlichen Lage, in Kuba aufgrund des Zusammenbruchs des sozialistischen Systems, in das es im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung eingebunden war. Auch in China war es offenbar nicht möglich, eine erhebliche Produktivitätssteigerung, das heißt Produktivkraftentwicklung, ohne Markt – das heißt kapitalistische Methoden, wenn auch unter Kontrolle eines Staates, in dem die Arbeiterklasse die herrschenden Klasse ist – zu erreichen.

Die Erfolge dieser Strategie sind im ökonomischen Bereich deutlich sichtbar. Ebenso die Gefahren. Denn klar ist auch, dass Kapitalismus – auch unter Kontrolle der Arbeiterklasse – Kapitalismus hervorbringt. Dies gilt im Übrigen meines Erachtens auch nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für Genossenschaften, die im Sozialismus immer auch ein Bereich sind, in dem kapitalistische Eigentumsverhältnisse bewahrt werden. Offen ist aber die Frage, wie diese kapitalistischen Sektoren bei der weiteren Entwicklung des Sozialismus wieder zurückgedrängt werden können. Denn das dies notwendig ist, um die Ware-Geld-Beziehungen überhaupt zu überwinden, liegt meines Erachtens auf der Hand. In China sieht man jetzt eine wieder verstärkte staatliche Einflussnahme auf die privaten kapitalistischen Unternehmen, aber genauso eine Ausweitung von Marktmechanismen bei der Leitung staatlicher Unternehmen. Die Frage, inwieweit ein Abgehen von solchen Mechanismen unter der Voraussetzung der Dominanz des Imperialismus und eines kapitalistischen Weltmarkts überhaupt möglich ist, ist dabei auch eine sicher nicht schnell zu lösende Frage.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es bis Anfang der 60er Jahre in der Sowjetunion (unter Bedingungen, als so gut wie alle Produktionsmittel mit Ausnahme von landwirtschaftlichen Genossenschaften, in denen aber auch der Boden staatlich blieb, in staatlicher Hand waren) eine bereits sehr konkrete Diskussion gab, die zunehmende Ineffektivität der zentral gelenkten Wirtschaft durch Methoden der Datenverarbeitung (wo die Sowjetunion damals noch führend war) zu beseitigen, eine großen Teil der Werktätigen in die Leitung einzubeziehen und so auch in der Perspektive die Warenproduktion aufzuheben. Es handelte sich um das gesamtstaatliche automatisierte System zur Datenerhebung und -verarbeitung, an dem führend der sowjetische Kybernetiker Wiktor Gluschkow mitarbeitete. (Auf die damaligen wissenschaftlichen Ausarbeitungen wurde kurzzeitig erfolgreich bei der Planung für staatliche Betriebe in Chile unter der Allende-Regierung zurückgegriffen).

Mit den Kossyginschen Reformen wurde dieses Projekt zugunsten von marktwirtschaftlichen Mechanismen – ohne Verstärkung der privaten Sektoren – aufgegeben. Zumindest unter diesen Bedingungen war dies nicht erfolgreich. Die Sowjetunion verlor in den darauffolgenden Jahrzehnten in vielen Bereichen ihre führende Position, was schließlich zur Niederlage des Sozialismus dort führte – wenn die Arbeiterklasse einmal die Macht ergriffen hat und eine sozialistische Entwicklung eingeleitet hat, ist das eben kein unumkehrbarer Prozess, wie bis in die achtziger Jahre oft gesagt wurde.

Genauso wenig bedeutet aber die – zeitweilige – Nutzung von Marktmechanismen und sogar privatwirtschaftlichen kapitalistischen Sektoren der Wirtschaft, dass die sozialistische Entwicklungsrichtung aufgegeben wurde. Das ist meines Erachtens weder in China noch in Vietnam oder Kuba der Fall, wo derzeit überall eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten ist.

Entscheidend ist hier die Frage der politischen Macht der Arbeiterklasse, die einen sozialistischen Entwicklungsweg sicherstellen kann. Wie die damit verbundenen offenen Fragen gelöst werden, ist eine Frage der Weiterentwicklung und der wissenschaftlichen Diskussion in den Ländern und der kommunistischen Weltbewegung überhaupt.

Für uns als Kommunisten ist die Solidarität mit den Ländern, die einen sozialistischen Entwicklungsweg verfolgen, von großer Bedeutung, also auch mit Kuba. Sehr wichtig ist hier, gerade die Solidarität mit dem Sozialismus in diesen Ländern politisch deutlich zu machen, auch angesichts aller Versuche von links, sich von dieser Solidarität zu verabschieden. In Falle von Kuba ist dies auf der einen Seite bei der Linkspartei zu beobachten, die im Parteivorstand einstimmig eine Resolution zur „Solidarität mit Kuba“ verabschiedet hat, in der der Dialog mit konterrevolutionären Kräften gefordert wird. Trotz zusätzlicher Äußerungen wurde dieser Beschluss nicht zurückgenommen. Und die Solidarität mit Kuba beschränkt sich in der Linkspartei häufig auf Forderungen nach Aufhebung der Blockade – wo sie sich mit der EU in einer Reihe sehen können – nicht jedoch auf die Solidarität mit dem sozialistischen Entwicklungsweg. Auf der anderen Seite sind in der linken Bewegung Kräfte vorhanden, die die sozialistische Entwicklung Kubas aufgrund der oben skizzierten Wirtschaftsreform grundsätzlich in Frage stellen (dieselben Kräfte tun dies auch im Falle von China oder Vietnam) und den kubanischen Präsidenten Díaz-Canel als Konterrevolutionäre bezeichnen.

Deswegen muss es von unserer Seite heißen: Uneingeschränkte Solidarität mit dem sozialistischen Kuba! Neben der genannten politischen Solidarität kommt gerade im Fall von Kuba noch hinzu, dass dieses kleine Land vor den Toren des US-Imperialismus liegt und seit Jahrzehnten von Wirtschaftsblockaden und unmittelbaren Angriffen des US-Imperialismus betroffen ist. Deswegen ist hier auch unsere materielle Solidarität in Absprache mit den kubanischen Genossinnen und Genossen sehr wichtig. Ein weiterer Schritt dazu ist, dass wir vor wenigen Wochen 15.000 Euro an Spenden für die Beschaffung dringend benötigten medizinischen Materials übergeben konnten.

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