UZ-Debatte: Wie ist der Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie zu bewerten?

Der Krisentarifvertrag

Isa Paape

Der Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie kam unter besonderen Bedingungen zustande. Mit Hinweis auf die „Corona-Krise“ bot der IGM-Vorsitzende Jörg Hofmann den Metallkapitalisten ein Moratorium an, die IG Metall verzichtete auf eine „bezifferte Forderung“, wie es beim WSI-Tarifarchiv formuliert wird. Der Tarifabschluss folgte am 19. März in Nordrhein-Westfalen.

In der UZ vom 27. März dokumentierten wir die Einschätzung der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“, die den Abschluss als „mickrig“ bezeichnete und kritisierte, dass er unter Umgehung der Mitgliedschaft der IG Metall zustande gekommen sei. Dazu gab es Widerspruch, den wir zum Anlass nehmen, eine Debatte zur Einschätzung dieser wichtigen Tarifrunde in der UZ zu starten. Weitere Beiträge erscheinen in den nächsten Ausgaben der UZ.

Unter schwierigsten Bedingungen und großem Zeitdruck haben die Tarifkommissionen der IG Metall Mitte März einen „Solidartarifvertrag“ abgeschlossen. Geregelt sind die Weitergeltung der Entgelttarife, Verbesserungen bei Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld zur Vermeidung von Entlassungen, die Möglichkeit für Eltern in der Kinderbetreuung, bis zu 13 Tage mit Teillohnausgleich von der Arbeit freigestellt zu werden, sowie ein Finanzierungsbeitrag von 350 Euro pro Beschäftigtem, der nach Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung auch zur Vermeidung sozialer Härten verwendet werden kann.

Es gehe für die Beschäftigten um „existenzielle Fragen“, hatte Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, zuvor noch deutlich gemacht. Auch knapp zwei Monate später lassen sich die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie nur schwer einschätzen. Der Solidartarifvertrag der IG Metall gilt bis Ende 2020 und stellt tatsächlich ein Stück existenzieller Sicherheit für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie dar. Angesichts der steigenden Insolvenzen vor allem im Einzelhandel und im Dienstleistungsbereich, angesichts der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen oder im Transportgewerbe wächst die Zustimmung zu diesem Tarifvertrag eher noch.

Hinzu kommt, dass die IG Metall über den Tarifvertrag hinaus ihren Einfluss zugunsten von Kolleginnen und Kollegen geltend macht. Denn bei Weitem nicht alle Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet und die Werks­tore geschlossen. Im laufenden Betrieb lässt sich dann schnell feststellen, dass Corona auch im Arbeitsalltag eine ganze Menge Probleme verursacht, die mit einem Tarifvertrag gar nicht oder jedenfalls nicht kurzfristig zu lösen sind. Von der fehlenden Kinderbetreuung und der Angehörigenpflege über Arbeitsschutzmaßnahmen bis hin zu Steuererleichterung bei Kurzarbeit: Die IG Metall macht Druck für Lösungen im Interesse der Beschäftigten.

Und trotzdem wächst überall das Unbehagen. Die Corona-Krise wird uns weit länger beschäftigen als die Laufzeit dieses Tarifvertrags. Weit schlimmer noch, sie wird sich verschränken mit der Klimakrise, sie wird begleitet werden von einem weltweiten Wirtschaftsabschwung, beispiellosen Staatsverschuldungen und damit einhergehenden Finanzspekulationen. Man benötigt nicht viel Fantasie, um sich die künftigen Verteilungskämpfe auszumalen. Die derzeit drängendsten Fragen sind daher die nach möglichen Handlungsoptionen für die kommenden gewerkschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen.

Kurzarbeit: Ende April hatten bereits 725.000 Betriebe in Deutschland Kurzarbeit bei der Bundesagentur für Arbeit angezeigt. Allerdings lag die Zahl im Dezember 2019, also weit vor Corona, schon bei über 90.000. Dies und weitere Hinweise wie die sinkende Investitionstätigkeit der Unternehmen lassen vermuten, dass das Virus auf eine bereits schwelende Wirtschaftskrise traf und diese nun verstärkt. Selbstverständlich ist Kurzarbeit keine Dauerlösung, aber zur Vermeidung von Arbeitsplatzvernichtung ein erprobtes Instrument. Sie lässt sich zudem mit der Auszahlung von Hilfsgeldern an Unternehmen verbinden. Subventionen müssten allerdings zwingend an Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung und entsprechende Qualifizierungen für die Beschäftigten gebunden sein.

Entgelt: Entgeltsicherung in der Kurzarbeit darf nicht auf dem aktuellen Niveau verbleiben, sondern muss dauerhaft mit betrieblichen Zuzahlungen angehoben werden. Mittel- und langfristig muss auch die Arbeitslosenversicherung von diesen Zahlungen entlastet werden. Ohne Beitrag aus den liquiden Mitteln der Unternehmen, aus Gewinnabschöpfung und einer erneuerten Vermögensteuer ist das Kriseninstrument Kurzarbeit ein Beitrag zur Umverteilung von unten nach oben.

Transformation: In der Automobilindustrie, im Energieanlagenbau und im Maschinenbau sitzen milliardenschwere Konzerne auf ihren Geldbergen und verweigern notwendige Investitionen in die Energie- und Mobilitätswende. Ohne weit größeren Druck aus Gewerkschaften und Bewegungen bleiben Arbeitsplätze in Gefahr, bleiben Kolleginnen und Kollegen ohne jede Perspektive.

Durchsetzungsfähigkeit: Kurzarbeit, Home-Office, leere Hallen und Büros einerseits und Stau im Internet andererseits erzwingen neue Kommunikations- und Aktionsformen. Welche Chancen darin stecken für die Durchsetzungs- und Streikfähigkeit der Gewerkschaften, bleibt zu diskutieren. Solidarität aber bleibt auch im Netz unverzichtbar.

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"Der Krisentarifvertrag", UZ vom 15. Mai 2020



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