Der Krieg der AKP

Thanasis Spanidis im Gespräch mit Max Zirngast

UZ: Du warst Zeuge des Bombenattentats vom 10. Oktober in Ankara. Was hast du beobachtet?

Max Zirngast lebt und studiert in Ankara und hat den Terroranschlag vom 10. Oktober in Ankara nur mit Glück überlebt.

Max Zirngast lebt und studiert in Ankara und hat den Terroranschlag vom 10. Oktober in Ankara nur mit Glück überlebt.

( politicas.at)

Max Zirngast: Am 10. Oktober sollte in Ankara vom Bahnhof aus eine Demonstration gegen die Politik des AKP-Regimes unter dem Motto „Arbeit, Frieden und Demokratie“ stattfinden. Aufgerufen hatten: die Gewerkschaften DISK und KESK, die Architektenkammer TMMOB und die Ärztekammer TTB. Auch die Demokratische Partei der Völker (HDP) war stark vertreten. Viele Tausende kamen zur Demo, viele waren noch auf dem Weg, aber die Demo begann ja nie richtig.

Mein Genosse Alp Kayserilioglu und ich waren auf dem Weg zur Demo und waren schon spät dran. Wir gingen zügig in die Demo hinein, als ca. 200 Meter vor uns mit einem großen Knall und einer Schockwelle eine 10 Meter hohe Feuersäule aufging. Das war dort, wo wir auch vorbeigegangen wären.

Was dann passierte, war eindeutig: Die Rettungsfahrzeuge kamen nur langsam und vereinzelt, die Bereitschaftspolizei blockierte den Weg und ließ die Wagen auch nicht immer gleich durch. Auf der anderen Seite der Demo war es noch schlimmer, dort blockierte die Polizei die Rettungswagen zeitweise gänzlich, setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Da es bei den Verletzten um Sekunden ging und von den bisher bekannten 128 Toten „nur“ 52 am Ort des Geschehens gestorben sind, waren diese Blockaden schlicht Mord.

UZ: Ministerpräsident Davutoglu hat vier „verdächtige Organisationen“ genannt, die hinter dem Anschlag stehen könnten – nämlich außer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ausgerechnet die PKK und zwei linksradikale Organisationen. Wer hatte wirklich ein Interesse an dem Massaker?

Max Zirngast: Die Reaktionen der AKP-Führungsriege, nicht nur von Davutoglu, waren nichts als blanker Hohn und Verachtung der Opfer. Das Massaker reiht sich ein in die Kriegspolitik der AKP, die sie schon vor den Wahlen am 7. Juni betrieben hatte, als es über 200 Angriffe auf die HDP gab inklusive mehrerer Bombenanschläge. Danach eskalierte die AKP diese Kriegstaktik weiter und entfachte auch den Krieg in Nordkurdistan (der Südosten der Türkei) gegen die PKK wieder. Der Anschlag von Suruc, bei dem 33 linke AktivistInnen ums Leben kamen, diente dabei als Vorwand. Damals war der IS verantwortlich, aber jeder weiß, dass der türkische Geheimdienst direkt an der Grenze zu Kobane alles überwacht.

Der Krieg der AKP hat mit diesem Anschlag eine neue Dimension erreicht. Die Botschaft ist klar: Es konzentriert sich nicht mehr nur auf Kurdistan. Es kann jeden treffen, der gegen die AKP kämpft.

Die Hegemonie der AKP ist vollends zerbrochen. Ihre Führungsclique hat so viel Korruption und so viele Tote zu verantworten, dass sie nicht einfach ihre Posten abgeben kann – es geht um ihr Hab und Gut, evtl. um ihr Leben, daher kennen sie keine Skrupel mehr. Es ist verständlich, aber auch nicht ganz richtig, die Wut nur auf Erdogan zu lenken – er kann sich immer noch auf beträchtliche Unterstützung bestimmter Fraktionen der herrschenden Klasse in der Türkei stützen.

UZ: Was bedeutet es für dich, überlebt zu haben, während über hundert MitstreiterInnen ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt haben?

Max Zirngast: Es gibt jetzt kein Zurück. Wir sind den Verstorbenen schuldig, die Sache weiterzutragen. Der Anschlag galt uns allen. Zwar dürfte sich der Anschlag schon gezielt gegen die HDP gerichtet haben, aber es hätte jeder von uns dort stehen können und es gab viele Opfer auch von anderen Organisationen.

Es kann nur gelten: Jetzt erst recht!. In der Türkei werden die Mörder und Folterer nie zur Verantwortung gezogen, die Staatsstrukturen sind autoritär. Wir müssen den Kampf für echte Demokratie und Revolution intensivieren, damit diese Mörderbande endlich zur Rechenschaft gezogen werden kann.

UZ: Gibt es eine Mitverantwortung des deutschen Staates für das Massaker? Worin siehst du angesichts dessen die Aufgaben von KommunistInnen und Revolutionären in Deutschland?

Max Zirngast: Die internationalen Erklärungen zum Massaker waren absurd. Die EU und Obama bekunden gegenüber der Türkei ihren Beistand gegen den „Terrorismus“. Kondoliert haben sie Erdogan und Davutoglu – also den Mördern, nicht den Veranstaltern der Demonstration.

Der deutsche Staat und die EU sind mitverantwortlich. Kürzlich haben sie mit dem türkischen Staat einen Deal zur „Abwehr“ der Flüchtlinge beschlossen, was kümmern sie da die Zustände im Inneren. Deutschland ist seit über 100 Jahren ein verlässlicher Waffenbruder des türkischen Staates. Deutschland hilft bei der Unterdrückung der kurdischen Befreiungsbewegung und der deutsche Geheimdienst kooperiert eng mit dem türkischen.

Internationale Solidarität ist sehr wichtig. Das Regime muss überall bloßgestellt werden. Revolutionäre in Deutschland sollten sowohl gegen die Kooperation mit diesem türkischen Staat kämpfen, als auch den Kampf auch in Deutschland intensivieren. Organisationsfreiheit türkischer und kurdischer Gruppen in Deutschland hilft auch dem Kampf in der Türkei.

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"Der Krieg der AKP", UZ vom 16. Oktober 2015



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