Die Aufgaben linker Politik in der „Zeitenwende“ des Imperialismus

Der Klassenkampf um Frieden und Demokratie

Jürgen Lloyd

Das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden (OKV) diskutierte am 20. Juni in Berlin die Gefahr eines neuen Faschismus. Jürgen Lloyd referierte zu den „Anforderungen an linke Politik“ in einer Welt, die laut Konferenztitel von „globalen Kriegen, Sozialraub, Repression“ geprägt sei. Zu Beginn seines Vortrags beschäftigte Lloyd sich mit der Frage, welche Bedeutung der Begriff „links“ heute noch haben könne. Er griff dabei auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels Begriff der Weltgeschichte als „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ zurück. „Links“ sei das Synonym für die Richtung dieses Fortschritts. Er konkretisierte dann allgemeine Forderungen an „linke Politik“, die – als Notwendigkeiten – erbracht werden müssen: „Linke Politik hat zu bewirken, dass der Imperialismus daran gehindert wird, uns in den nächsten großen Krieg zu stürzen! Und linke Politik hat zu verhindern, dass das herrschende Monopolkapital erneut seine Herrschaft in Form des Faschismus ausüben kann!“ Wir dokumentieren hier den zweiten Teil von Lloyds Referat und danken dem Autor und dem OKV für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.

Es reicht nicht, etwas „gegen rechts“ zu tun, wenn es gilt, Krieg und Faschismus zu verhindern! Es reicht nicht, sich damit zu begnügen, „auf der Seite der Guten“ zu stehen! Denn das würde bedeuten, gegenüber unserer Verantwortung zu versagen. Es würde heißen, sich in Opportunismus davor zu drücken, die wirklich angeforderte Leistung zu erbringen.

Was aber gehört dazu, diese Leistung erbringen zu können?

Es gibt zwei Wege, auf denen wirksam Krieg und Faschismus zu verhindern sind:

Der eine ist radikal – setzt also an der Wurzel an – und beseitigt die Ursache, welche Kriegs- und Faschismusgefahr hervorruft.

Der andere Weg beseitigt nicht die Ursache, aber er beseitigt die Voraussetzungen, die notwendig sind, damit diese Ursache Krieg und Faschismus hervorzubringen vermag.

Für beide Wege gilt gleichermaßen: Sie sind tauglich, um auf ihnen der Anforderung, Krieg und Faschismus zu verhindern, gerecht zu werden. Und ebenso gilt für beide Wege: Sie verlangen von uns, dass wir verstehen, worin die Ursache von Krieg und Faschismus besteht und unter welchen Bedingungen sich diese Gefahr realisieren kann. Mit dieser Erkenntnis lässt sich aus der – noch allgemein formulierten – Anforderung an linke Politik eine erste konkrete Aufgabe ableiten:
Denn zu konstatieren ist: Ohne dieses Verständnis der Gründe und Bedingungen von Kriegs- und Faschismusgefahr werden wir nicht in der Lage sein, die angeforderte Leistung zu erbringen.

Auch wenn es stets sinnvoll und auch notwendig ist, das bereits erarbeitete Verständnis dieser Gründe und Bedingungen noch weiter zu vertiefen und zu erweitern – das wesentliche Fundament für dieses Verständnis ist schon vor Jahrzehnten von der marxistisch-leninistischen Wissenschaft gelegt worden. Dazu gehören die von Lenin ausgearbeitete Imperialismus-theorie, die von Georgi Dimitroff gegebene Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus und die darauf aufbauenden Arbeiten unter anderem des in der DDR tätigen Historikers Kurt Gossweiler und seines westdeutschen Freundes Reinhard Opitz. Zu unseren Aufgaben gehört es, diese Arbeiten zu studieren, zu verbreiten und für unseren Kampf in nützliche Wirkung zu bringen.

Zwei Wege

Der erste oben genannte Weg, der radikal an die Wurzel geht und die Ursache von Kriegs- und Faschismusgefahr beseitigt, ist – oder sollte es für uns jedenfalls sein – leicht verständlich: Es ist das „Einfache, das schwer zu machen ist“. Der Wegweiser hierfür ist die Erkenntnis, dass es die zugespitzten Widersprüche des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium sind, welche die Monopolbourgeoisie in die Lage bringen, unter bestimmten Bedingungen Krieg und Faschismus wollen zu müssen. Die Befreiung der Gesellschaft von der Herrschaft des Kapitalismus ist daher gleichbedeutend damit, das objektive Interesse abzuwenden, welches eine herrschende Klasse an Krieg und Faschismus haben kann.

Dieses Verständnis der Ursache für Kriegs- und Faschismusgefahr, das uns zu der Einsicht führt, dass der Kapitalismus überwunden und der Sozialismus aufgebaut werden muss, können und sollten wir fleißig propagieren. Aber damit ersetzen wir nicht die aus Kampferfahrungen genährten eigenen Einsichten der Menschen. So kann es aber geschehen, dass diese notwendigen Einsichten noch nicht präsent sind, während der Kampf zur Verhinderung von Krieg und Faschismus bereits heute wirksam bestanden werden muss. So kann die Lage entstehen, dass unser Verständnis der Ursachen noch so umfassend und richtig sein kann, dass ebenso auch das Urteil zutrifft, es bedürfe der Ablösung der kapitalistischen Gesellschaftsformation durch den Sozialismus – dass der Fakt, dass all dies richtig ist, aber nicht hinreicht, um der Anforderung gerecht zu werden, konkrete Kriegs- und Faschismusgefahr abzuwenden.

Das Verständnis der Gründe und Bedingungen von Kriegs- und Faschismusgefahr ist notwendig für einen wirksamen antifaschistischen und Friedenskampf.

Mit dieser Situation ist der historische Platz gekennzeichnet für den zweiten genannten Weg. Als Wegweiser für diesen zweiten Weg dient die Erkenntnis, dass Erfahrungen im Kampf um Gegenwartsinteressen gemacht werden. Lenin hat dies vielfach betont und es gibt einen wichtigen Aufsatz von Gossweiler, in dem er diese Erkenntnis zur Grundlage einer Untersuchung über die antifaschistischen Strategien von Sozialdemokratie und KPD in der Weimarer Republik machte.
Die Verhinderung von Krieg und Faschismus ist auch dann notwendig, wenn die Mehrheit sowohl der Bevölkerung als auch der Arbeiterklasse den Sozialismus noch nicht als ihr Gegenwartsinteresse erkannt hat. Die durch Kampferfahrung vermittelten Einsichten lassen sich eben nicht einfach überspringen.

Der Kampf für die Verhinderung von Krieg kann jedoch auch von Menschen als Kampf um ihr eigenes Interesse erkannt werden, die nicht so weit sind, zum Sozialismus übergehen zu wollen. Ebenso können diese Menschen die Erkenntnis erlangen, dass sie Grund haben, ihre demokratischen Rechte zu verteidigen; sie können die Erkenntnis erlangen, dass sie eigene Interessen haben und dass ihnen das Recht zusteht, diese zum Ausdruck zu bringen und sie zusammen mit weiteren, die ebensolche Interessen haben, gemeinsam zu vertreten.

Kampf um Frieden und Demokratie …

Solche Kämpfe stellen nicht den Sozialismus als nächstes Kampfziel – das können sie nicht, weil und solange die dafür nötige Einsicht nicht im erforderlichen Umfang vorhanden ist. Aber dennoch ist es richtig und es ist wichtig, diese Kämpfe als Klassenkämpfe zu begreifen – nämlich als Kämpfe gegen die Angriffe der herrschenden Monopolbourgeoisie, ihre Klasseninteressen gewaltsam durchzusetzen –, nach innen mit der terroristischen Diktatur, nach außen mit Krieg. Diese Kämpfe müssen auch als Klassenkämpfe geführt werden. Und zwar sowohl um erfolgreich sein zu können als auch um ihre Funktion als Vermittler von notwendigen Erfahrungen zu erfüllen. Es ist ein Fehler von rechten und „linken“ Opportunisten, diese Kämpfe nicht als Klassenkämpfe zu verstehen.

Die rechten Opportunisten sträuben sich dagegen, den Kampf als Klassenkampf zu führen, weil sie befürchten, das würde ihrer Bündniskonzeption zuwiderlaufen, würde Bündnispartner verschrecken, würde vom vermeintlich eigentlichen Ziel ablenken. Sie verzichten in ihrem Opportunismus darauf, die Ursachen von Kriegs- und Faschismusgefahr zur Kenntnis zu nehmen und die eigene Strategie darauf zu begründen. Stattdessen verorten sie die Gefahr in der verführten Bevölkerung (Slogan: „Menschenrechte statt rechte Menschen“) oder in den Verführern („Höcke ist ein Nazi“) –, nicht aber dort, wo wir die Ursache der drohenden Entwicklung tatsächlich zu suchen haben, nämlich dort, wo aus dem Herrschaftsinteresse der monopolkapitalistischen Klasse der Bedarf an Verführung erwächst.

Die „linken“ Opportunisten sind schematisch auf den Übergang zum Sozialismus fixiert. Dieses Ziel nicht zu vergessen ist löblich. Mehr noch: Es ist unverzichtbar für die gegenwärtigen Kämpfe. Das Problem ist jedoch: Die „linken“ Opportunisten verdächtigen alle unterhalb dieses Ziels befindlichen Zwischenforderungen des Abweichens von der revolutionären Linie. Insbesondere erkennen sie in der Verteidigung der parlamentarisch-liberalen Herrschaftsform der Bourgeoisie gegenüber der faschistischen Form derselben Herrschaft ausschließlich eins – nämlich die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems.

… als Klassenkampf

Ebenso wie ihre rechtsopportunistischen Gegenspieler übersehen sie dabei die wesentlichen Zusammenhänge. Beide verkennen sie, wem die parlamentarisch-liberale Form zu eng für seine weitere Machtentfaltung geworden ist und von wem der Angriff auf die bürgerliche Demokratie daher erfolgt. Beide Varianten des Opportunismus nehmen nicht wahr, dass es die Monopolbourgeoisie ist, deren Herrschaft es erforderlich macht, die Artikulation von abweichenden Interessen zu unterdrücken – und dass diese Klasse es ist, die unter bestimmten Umständen zu dem Entschluss kommt, mit ihrer bisherigen Herrschaftsform nicht mehr weiterzukommen. Wenn das herrschende Monopolkapital dann – weil ihm diese Herrschaftsform nicht mehr zuträglich erscheint – Kurs nimmt weg von der bürgerlichen Demokratie, dann stellt die Verteidigung dieser bürgerlichen Demokratie nicht etwa ein Zurückweichen im Kampf dar – etwa auf ein vermeintlich kleineres Übel –, sondern es ist der konsequente Schritt im Klassenkampf gegen die herrschende Klasse. Wir verteidigen das, womit die Herrschenden nicht mehr leben können.

Dazu gehört dann allerdings auch, dass wir nicht sogleich wieder vergessen, vom wem die Angriffe kommen; dass wir also begreifen, dass der Widerruf der Rechte und Möglichkeiten, die zum Rahmen der parlamentarisch-liberalen Herrschaftsform gehören, nicht originär von der AfD oder anderen rechten Akteuren ausgeht, sondern von der herrschenden Klasse selbst.

Unser Verständnis von Ursachen und Bedingungen war, ist und bleibt Bedingung für einen wirksamen antifaschistischen und Friedenskampf.

Aufgaben

Der Monopolkapitalismus bildet die Basis für eine Formierung der Gesellschaft, bei der alle Glieder möglichst optimal zusammenwirken und bei der die Kooperation der Menschen effizient in Wirkung gesetzt wird für die von den Monopolen vorgegebenen imperialistischen Zwecke.

Im Konkurrenzkampf mit anderen Nationen – sowohl bei der ökonomischen Konkurrenz als auch im offenen Krieg – wird der Zugriff auf die Gesamtheit der Kooperationsprozesse der Gesellschaft, wird die Schaffung einer „geschlossenen Heimatfront“ zum zwingenden Gebot für die Monopolherrschaft. Dies gehört dazu, die hiesige Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen.

Worin bestehen also die Anforderungen an linke Politik, wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden soll, Krieg und Faschismus zu verhindern?

  • Linke Politik muss realisieren, dass Krieg und Faschismus wirkliche Gefahren der Gegenwart sind! Das hat nichts mit Alarmismus zu tun. Es hat nichts damit zu tun, wegen der drohenden Gefahr nun vermeintlich auf den klaren Kopf und auf unsere Analysefähigkeit verzichten zu dürfen – im Gegenteil!
  • Linke Politik muss das Verständnis bewahren – oder wieder erlangen –, von wo die Kriegs- und Faschismusgefahr ausgeht; worin der Charakter dieser Gefahr besteht! Ohne Verständnis von Gründen, Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten bleiben wir – wie Lenin es einmal ausdrückte – „stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug“ und unfähig, die Wirklichkeit erfolgreich zu ändern.
  • Linke Politik muss aufhören, vermeintlichen Auswegen und Lösungen nachzulaufen, die in irgendeinem anderen Terrain zu suchen seien als im Klassenkampf gegen die Herrschaft der imperialistischen Monopolbourgeoisie!
  • Linke Politik muss den Mut haben, in kleinen, gewinnbaren Kämpfen den Weg zu suchen, auf dem Massen von Menschen die Erfahrung sammeln, sich für die eigenen Interessen starkzumachen – und dabei muss sie die Prinzipienfestigkeit bewahren, den Klassencharakter dieser Kämpfe erkennbar machen zu können!

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Der Klassenkampf um Frieden und Demokratie", UZ vom 2. August 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit