In den vergangenen drei Jahrzehnten mussten die Menschen in Ostdeutschland schon vieles erdulden: den Ausverkauf durch die Treuhand, die Deindustrialisierung von Regionen und die Entvölkerung ganzer Landstriche. Doch die Konterrevolution hat einen langen Atem. Mit unverminderter Bitterkeit zieht sich der Kampf gegen die letzten Überbleibsel der DDR bis in die Gegenwart. Derzeit rollt eine Enteignungswelle durch das Land. Sie betrifft die Eigentümer von Datschen und Garagen.
Knapp die Hälfte aller Liegenschaften in der DDR waren Volkseigentum und somit grundsätzlich unverkäuflich. Bürgerinnen und Bürger konnten volkseigene Grundstücke jedoch für einen festgelegten Zweck pachten, um dort Gebäude zu errichten. Das bürgerschaftliche Engagement machte Flächen nutzbar und entlastete den staatlichen Baubetrieb. Die Pächter gestalteten das Land und erhielten im Gegenzug das Eigentum an den Gebäuden, ohne dabei Grundbesitz zu erwerben. So entstanden Garagenhöfe und Erholungssiedlungen. In der DDR gab es bis zu 3,4 Millionen Datschen, also Gartenlauben und Wochenendhäuschen im Grünen. Im Jahr 2010 bescheinigte die „Rheinische Post“ der DDR post mortem die „weltweit höchste Dichte an Gartengrundstücken“. Die Datschen waren Treffpunkte, grüne Inseln und Erholungsorte. Auch in den Garagenhöfen kamen die Menschen zusammen. Ihr öffentlicher Zweck bestand darin, den ruhenden Verkehr zu regeln und die Autos aus den Wohnbezirken herauszuhalten. Für ihre Erbauer waren sie eine Erweiterung der Wohnung und ein Ort für den nachbarschaftlichen Austausch.
Nach 1990 durfte es kein Volkseigentum mehr geben. Die Gebäude von Millionen Datschen- und Garagenbesitzern befanden sich plötzlich nicht mehr auf volkseigenen Flächen, sondern auf kommunalen Liegenschaften. In der kapitalistischen Bundesrepublik gehören die Bauten auf einem Grundstück jedoch grundsätzlich dem Grundstückseigentümer. Mit dem „Schuldrechtsanpassungsgesetz“ von 1995 sollte dieses Problem gelöst werden. Die Grundstücksnutzung wurde weiter erlaubt und die Gebäude verblieben zunächst bei den bisherigen Besitzern. Bei Kündigung der Pachtverträge ging das Eigentum an den Datschen und Garagen automatisch auf die Gemeinde über, die dafür eine Entschädigung zahlen musste. Diese Pflicht erlosch zum 3. Oktober 2022. Eine Entschädigung wird jetzt nur noch in Ausnahmefällen gewährt, wenn das Gebäude den Verkehrswert steigert. In den vergangenen Wochen häuften sich die Meldungen von gekündigten Pachtverträgen. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend nach dem Jahreswechsel weiter verstärken wird. Denn ab dem 1. Januar 2023 müssen die Pächter vollständig für den Abriss der Gebäude aufkommen, wenn ihr Vertrag endet. Wie die „Volksstimme“ ermittelt hat, kann der Rückbau einer Datsche bis zu 30.000 Euro kosten. Die geräumten Flächen können dann leicht verkauft oder bebaut werden.
Das Volkseigentum an Grund und Boden ermöglichte eine freie Stadtentwicklung. Weder Bodenpreise noch Investoren bestimmten darüber, was und wo gebaut wurde. In der ausverkauften BRD ächzen die Städte heute unter einem Mangel an eigenen Flächen, sind die Entwicklungsmöglichkeiten immer auch vom privatwirtschaftlichen Interesse abhängig. Die Stadtplanung der DDR war gewiss nicht frei von Fehlern und Problemen – doch verkauft hat sie sich nicht. Dieses „Versäumnis“ soll nun nachgeholt werden. Die Versilberung des früheren Volkseigentums wird absehbar zum Ende der Datschen- und Garagenkultur führen und erhebliche Belastungen für die zumeist älteren Betroffenen mit sich bringen. Das ist die wahre Geschichte von „Omas kleinem Häuschen“: Die sozialistischen Verhältnisse halfen ihr dabei, es aufzubauen. Der Kapitalismus nimmt es ihr jetzt weg.